Das nicht zu verwechselnde Kürzel JFDR gehört dem Soloprojekt der isländischen Singer-Songwriterin Jófríður Ákadóttir, die ansonsten bei einigen interessanten isländischen Bands der jüngeren Generation, wie Samaris und Pascal Pinon mitspielt. White Sun Live. Part I: Strings (Morr Music, VÖ 3.8.) präsentiert Stücke ihres zwischen Bedroom-R’n’B und IDM-Electronica changierenden Debütalbums Brazil (White Sun Rec) im Unplugged-Format. Diese kammermusikalische Umwidmung der Songs und die „Live im Studio“-Aufnahmesituation bringt die fragile wie kunstvolle Konstruktion ihrer Songs erst richtig zum Vorschein, diese Qualität des flirrenden, schwebenden fast-nicht-mehr Songwritings für das Bands wie Talk Talk oder The Durutti Column bis heute verehrt werden. Damit rückt das auf JFDRs Debüt unter Beatgetümmel verschüttete Versprechen von Nähe in ihren Songs deutlicher in den Vordergrund. So wird klar, dass es die Stimme ist, die hier die Musik macht. Die kargen Akzente, die ein einsames Cello, Piano und Akustikgitarre setzen, dienen einzig Ákadóttirs Gesang, der sich auf dieser feinherben EP eigenständiger und intensiver denn je präsentiert, und auf stimmliche Island-Manierismen nach Björk weitgehend verzichtet.


Stream: JFDR – Somewhere (String Version)

Eine eher positive Perspektive die sich in unserer postmodern durchglobalisierten Popkulturwelt gerade durchzusetzen beginnt, ist die zunehmende Unmöglichkeit von Exotismus. Kulturen und Ausdrucksformen bleiben weiterhin überaus spezifisch, lokal, ortsbezogen und geschichtlich, stehen aber dennoch nicht am Rand von irgendetwas, sondern mitten im Zentrum von allem. Zum Beispiel das fantastische Debüt des London-Johannesburger Duos Okzharp & Manthe Ribane. Hochartifiziell und urwüchsig zugleich bedient sich die wunderbar hybride und tanzbare Electronica von Closer Apart (Hyperdub) britischer und US-amerikanischer Sitten und Gebräuche wie Dubstep und R&B/Trap/Hip-Hop. Mindestens genauso gut kennt sie Berliner „Deconstructed-Club“-Styles und südafrikanische „Traditionen“ wie Shangaan Electro. Der Bass grummelt gewaltig, die Beats sind komplex und doch tanzbar, bleiben jedoch immer im ambienten Bereich. Tolle Aussichten jedenfalls. Die “Gangsta Electronics” des Sami Baha von der Londoner Schäl Sick (der „falschen“ Seite des Stroms) greift nicht ganz so weit, kommt aber nicht weniger dringlich daher. Free For All (Planet Mu) ist einer dieser typischen London-Hybride aus Instrumental-Hip-Hop und Grime. Zwischen aggressiv konfrontativen Battle-Tunes (diese meist mit Rapper) und kontemplativen Rauchwarenbegleitbeats (diese meist Instrumental), hat sich Baha gemütlich Hip-Hop Tradition und Dubstep-Postmoderne eingerichtet, gerne auch mal mit Samples aus seiner türkischer Heimat.


Video: Okzharp & Manthe Ribane – Kubona

Molliges Gitarrengewaber und nervenzerrende Terrorbeats. Geht das gut zusammen? Das unwahrscheinliche Duo des amerikanischen Breakbeat-Anarchisten Aaron Funk alias Venetian Snares mit dem kanadischen Starproduzenten Daniel Lanois (unter anderem mit Brian Eno für die Erfolgsalben von U2 verantwortlich) bejaht das euphorisch. Die Gleichung Venetian Snares x Daniel Lanois (Timesig) ergibt durchaus respektable Electronica, vielleicht weil sich Funk in der Zusammenarbeitssituation zusammenreißen musste und Ansätze von Songs nicht direkt in kleinste Teile schreddern durfte, und weil Lanois seinen altbewährten Sound mit neuem Schwung beisteuerte.

Der Münchner Sebastian Schnitzenbaumer alias BELP findet auf Hippopotamus (SVS/Jahmoni) eine ähnliche Synthese von grollenden Dub-Bässen, nervösen Grime- und Dancehall-Beats mit weitläufigen und melodramatischen Flächensounds die wie für einen alten Hollywood-Schmachtfetzen gemacht klingen. Anna Suda aus dem polnischen Breslau nennt sich An On Bast und produziert seit über zwölf Jahren minimalistische Electronica, mit mal mehr mal weniger Beats, die sich bisher meist im IDM-Register bewegten, in den vergangenen Jahren aber gerader und housiger wurden. Auf dem Tape Summer Camp (Modularfield) hat sich ihr Sound noch deutlicher in Richtung Techno verschoben. Zu Techno der wärmeliebenden, Open-Air Sorte allerdings. Ihre Expertise in der Verwendung von allerlei Vintage-Effektgeräten und Analogsynthesizern gibt den Tracks die gewisse Extrawärme mit. Der Sommer kann bleiben.


Stream: X-Altera – Check Out The Bass

Im Motherboard vor zwei Monaten war es noch eine vorsichtige Vermutung. Doch die Zeichen mehren sich: der smoothe Lounge-kompatible Mittneunziger Drum’n’Bass von 4Hero und LTJ Bukem erlebt gerade einen zweiten Frühling. X-Altera, jüngstes Alias von Tadd Mullinix, der als Dabrye äußerst erfolgreich Hip-Hop Beats schneidet und als James T Cotton acidlastigen Techno produziert, geht dabei direkt in die vollen. Fette Streicherflächen, liebliches Synthiegezwitscher und geschnitzelte R&B Vocals, die es sich über beliebt-bekannten Breaks, ausuferndem Drumming und wubbernden Bässen behaglich einrichten. Das überbordende Debütalbum X-Altera (Ghostly International) fängt das Neunziger-Gefühl perfekt ein.

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