Elektronische Körpermusik zwischen Anspannung und Entspannung. Zum Dehnen, Strecken und Atmen. Das klingt nach Yoga oder Qigong und ist im Fall von JOY (Potomak), dem zweiten explizit den Leibesübungen gewidmeten Album von Alexander Hacke und Danielle de Picciotto alias hackedepicciotto genau so gemeint. Wie erfreulich dass sowas nicht unbedingt nach New Age klingen muss. Hacke und de Picciotto machen das schon richtig. Immer hübsch zwischen Song und Drone bleiben und mit allen notwendigen Klischeeklängen jonglieren: Klangschalen, Zimbeln, Glöckchen, Shruti-Box, Goa Strand-Percussion, Vogelgezwitscher und natürlich de Picciottos beruhigender Stimme. Die clevere und völlig unironische Nutzung all dieser Klischees macht JOY zu einem richtig guten Ambientalbum, das auch für Bewegungs- und Esoterikmuffel bestens geeignet ist.
Der kanadische Schlagzeuger Debashis Sinha war bislang vor allem im „ernsten“ Fach unterwegs, etwa mit Auftragskompositionen für Torontoer Theater. Sein transatlantischer Kollaborationspartner Robert Lippok vom Raster-Media Label hat ihn für die elektronische Popmusik entdeckt. Sinhas subtiles Albumdebüt The White Dog (Establishment Records) erfindet eine erstaunliche Synthese von Stilen und Charaktereigenschaften. Es abstrahiert und entfremdet das musikalische Erbe seiner familiären Wurzeln im nordostindischen Bengalen, entdeckt und feiert sie aber im selben Prozess auf eine nicht kolonisierende Weise. Das Album stellt sich darin quer zum aktuellen Hype der Neuerfindung europäisierter „Fourth World“-Ethno-Klänge. Sinhas von endlosen digitalen Echos verschliffenen Tabla-Sounds, seine pulverisierten Tempelglocken taugen nicht zum halbironischen aber wohlmeinenden Zitat eines Zitats einer exotischen und irgendwie spirituellen oder rituell-schamanischen Klangwelt, sondern bilden den schroffsten und kühlsten Part seiner ansonsten sehr zugänglichen minimalistischen Electronica, die an die vergleichbar hoch reflektierten jüngsten Arbeiten des Japaners Sugai Ken oder der Kölnerin Sonae erinnert. Klischeevorstellungen wie indische Klänge sein zu haben finden hier keinen Platz.
Stream: Debashis Sinha – Thrum
In ihrem Duo Tomaga setzen sich Valentina Magaletti (ansonsten bei Raime und UUUU) und Tom Relleen (von der Londoner Spacerockern The Oscillation) von der Stilistik ihrer jeweiligen Bandprojekte ab und machen Yoga-Musik für Fortgeschrittene. Die weit offene Definition von Electronica ihres fünften Albums Music For Visual Disorder (Meakusma) findet nur selten zu den skelettierten Post-IDM-Beats mit fragmentierten Neoklassik-Figuren oder der ausschweifenden Psychedelik ihrer jeweiligen Gruppen. Stattdessen arrangieren Tomaga vibrierende wie pulsierende Streicher- und Bläsersamples in schroff perkussive Klangereignisse, die mal europäisch-modernistisch, wie für zeitgenössisches Tanztheater gemacht klingen können, wie nach klassisch japanischem Gagaku oder nach Field Recordings shintoistischer Tempelglocken, nach Gongs und indischen Tablas. Einzig die staubtrockene Düsternis erinnert an hin und wieder an Raime.
Die Zusammenarbeit des in Portland lebenden Schweizers Marcus Fischer mit Simon Scott von der britischen Shoegaze-Combo Slowdive zieht ihren Reiz ebenfalls aus der Konfrontation verschiedener Zugangs- und Arbeitsweisen zu Klang: Field Recordings und eine präparierte Gitarre als konzentriertes „Deep Listening“ bei Simon, Modularsynthesizer und Tapes mit verrauschten Zufällen in einer Lo-Fi Nebengeräusch-Ästhetik bei Fischer. Hand in Hand lässt Shape Memory (12K) unzusammenhängende mikroskopische Noise-Ereignisse um einen Anziehungspunkt aus reinem Wohlklang schwirren, der immer nur gestreift, nie erreicht wird. Ein offener Prozess in dem sich sich Körperlichkeit wie tiefste geistige Versenkung erahnen lässt. Also auch dies Yoga-Musik im weitesten Sinn.
Stream: Tomaga – The Whitest Light
À propos New Age. Steht grade ein kleines Revival von Witch House an? Diesem Minitrend der späten Nullerjahre, der Trip Hop, Synthpop und Shoegaze mit allerlei paganem Okkultismus unter den Hexenmond einer krass reduzierten Bedroom-Produktion zusammenbrachte? Das ProduzInnentenpaar oOoOO & Islamiq Grrrls gehörte jedenfalls zu den wichtigsten Protagonisten des kurzen Hypewinters, den sie offenbar schadlos überstanden haben. Auf ihrem selbstverlegten Debüt Faminine Mystique (Nihjgt Feelings) haben sie sich vom früheren Sound teilweise verabschiedet. Statt scheppernder Lo-Fi-Ästhetik gibt es beinahe gediegene Songs zwischen grabesschwerem Folk-Pop und nicht wirklich leichterem Trip-Hop. Diese sind teilelektronisch umgesetzt unter massivem Einsatz von Autotune-Vocals. Das klingt oft erstaunlich konventionell, aber jedes Schweinrockgitarrensolo wird im selben Atemzug schon von verschrobenen Samples oder derben Effekten verstört, was sämtliche Anwandlungen pathosgeladener Pop-Gesten schon im Ansatz zerschreddert.
Video: Islamic Grrrls feat. oOoOO – All Of Me
Die Wienerin Rana Farahani alias ƒauna spielt genau so gerne mit dem Überresten songorientierter Disco-Musik. Ihr Zugang zur Musik erinnert an ihre Schweizer Kollegin Aïsha Devi. Einerseits „high concept“ und postmodern, anderseits konkret körperlich, quasi-rituell und bassig. Weniger dekonstruktivistisch als Devi bastelt ƒauna ihre von Hip-Hop bis Tech-House reichenden Beats und die stark bearbeiteten, zwischen Trap und Cloud-Rap pendelnden Vocals in reuelos poppige Tracks. Infernum (Ventil) dürfte das bisher geselligste Album auf dem Wiener Abstrakt-Elektronik Label Ventil sein.