Illustration (Dominika Huber)

Noch ist viel zu tun für die deutsche Regierung. Der heilbringende Impfstoff ist zwar gefunden, mit der Variante von AstraZeneca sogar eine dritte auf dem Weg, die ohne die umständliche Kühlkette gespritzt werden kann und somit ihren Weg in herkömmliche Arztpraxen machen wird. Die Fall- und Todeszahlen sind derzeit aber noch immer so alarmierend, dass selbst die freimütigsten Vertreter*innen des Kontrollverlusts, des Raves, der hedonistischen Realitätsflucht sich in Geduld üben. Diese Baustelle wird schätzungsweise erst ab dem Frühsommer beackert, wenn sich die Lage entspannt. Wenn aufgrund der fortschreitenden Immunisierung der Bevölkerung der Spaß wieder einen Platz im gesellschaftlichen Diskurs einnehmen darf. 

Das durfte er insbesondere in den letzten Monaten kaum mehr, schon gar nicht aus clubkultureller Sicht. Das Nachtiville im Januar wurde, natürlich auch aufgrund der Alternativlosigkeit, noch ohne großes Murren abgesagt. Veranstaltungen, die für November und Dezember geplant waren, entfielen ob des neuerlichen Lockdowns weitestgehend mit einer fatalistischen Selbstverständlichkeit. Vielleicht keine Schande, wenn Konzepte für ganztägig angelegte Raves schon am Pandemie-kompatiblen Anstellen zerschellen.

Die Berliner Polizei als Katalysator

Der Kultursektor bekommt den neuerlichen Lockdown abermals mit voller Härte zu spüren. Das ist unvermeidlich, liegt aber auch an einer unverhältnismäßig agierenden Exekutive, die seine Wirkmacht unnötig verschlimmert, mit ihm einhergehende Restriktionen mit Vorliebe an marginalisierten Gruppen durchführt und sich obendrauf mit der dümmlichen Häme eines pubertierenden Pausenhof-Prolls wissentlich auf dem Rücken der Clubkultur zu profilieren sucht.


Elektronische Musik wird 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit so sehr in den gesellschaftlichen Fokus rücken wie selten zuvor.


Die Vorfälle in der Alten Münze und der Diskothek Melancholie 2 zeigten aber nicht nur auf, dass die Polizei willkürlich und mit einer Lust an der Eskalation auftritt. Ihr jeweiliges mediales Echo, auch durch die Gesetzeshüter*innen selbst in den sozialen Medien befeuert, legte offen, wie klischeebehaftet und tendenziell negativ die Wahrnehmung von Clubkultur in der breiten Öffentlichkeit noch immer ist.

Die Schilderung der Ereignisse seitens der Polizei selbst zeichnet ein eindeutiges, voreingenommenes Bild: Perverse, denen auch die Pandemie keinen Strich durch den Exzess macht, Druffis mit Baseballschläger und sonstigen Waffen, die ihren Geheimclub nicht mal ordentlich versteckt bekommen. Diese Version wird – natürlich ist bei Interpretationen von Kommentarspalten eine gewissen Vorsicht angesagt – von den Nutzer*innen kaum angezweifelt.

Wieso das besonders mit Blick auf 2021 problematisch ist? Weil elektronische Musik mit hoher Wahrscheinlichkeit so sehr in den gesellschaftlichen Fokus rücken wird wie selten zuvor. Wenn die Impfungen anschlagen und in einem annehmbaren Tempo verabreicht werden, steht womöglich ein (Spät)Sommer im Stile des Old Normal bevor. Weitestgehend zumindest, werden sich vor dem exzessiven Dammbruch besonders Clubs doch einer genauen Inspektion seitens Wissenschaft, Politik und des öffentlichen Auges unterziehen müssen.

Diese ist unbedingt nötig, schließlich funktioniert das Nachtleben nunmal über Enge, stickige Luft und Körperkontakt – alles Faktoren, die eine situative Ausbreitung des Virus enorm begünstigen. Wie auch schon Bars und Restaurants vorgemacht haben, die an der Intensität herkömmlicher Clubnächte nicht mal kratzen. Für den darbenden Clubbetrieb ist es aufgrund seiner schwierigen Situation umso wichtiger, dass diese Überprüfung mit der größtmöglichen Neutralität vorgenommen wird.

Der Raver ist dem Raver ein Wolf

Ob diese gewährleistet ist, bleibt fraglich. Das liegt nicht nur an der eindimensionalen medialen Ausschlachtung einzelner Vorfälle und der Herstellung von Zerrbildern seitens der Berliner Polizei nach ihrer vermeintlichen Aufklärung, sondern auch, so ehrlich muss man sein, an der Clubkultur selbst. Oder eben dem, was das öffentliche Auge dafür hält. Immer wieder konnten sich Befürworter*innen von Law & Order im Lauf des letzten Jahres an gesprengten Veranstaltungen laben, die tatsächlich den gefährlichen Dilettantismus ausstrahlten, den man der Diskothek Melancholie 2 attestierte. Das gilt natürlich nicht ausschließlich für den deutschsprachigen Raum, wie Beispiele aus Skandinavien oder dem Vereinigten Königreich beweisen.

Hierzulande rückte man etwa mit der katastrophalen Schlauchboot-Demo zum Erhalt der Clubkultur ebenjene in ein zweifelhaftes Licht. Über den Sommer verlagerte sich das zunehmend dispersere Rave-Geschehen dann beispielsweise in die Berliner Hasenheide, deren Exzesse eine weitere Problematik im Diskurs zutage fördern: Die Wahrnehmung von Clubkultur als festgezurrte, kompakte Einheit, ihre unreflektierte Gleichsetzung etwa mit dem erlebnisorientierten Sturm und Drang frisch gekürter Abiturient*innen. Selbst Tumulte in Stuttgart, die mit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen einhergingen, konnten zunächst ohne große öffentliche Widerworte auf eine irgendwie geartete „Partyszene” zurückgeführt werden.

Denkbar schlechte Voraussetzungen also, um für eine zügige Öffnung der Clubs nach der weitestgehenden Eindämmung der Pandemie zu plädieren. Das wird schon aufgrund der finanziellen Not aber zwangsläufig passieren. Quasi seit ihrer erstmaligen Schließung im März letzten Jahres begleitet Tresor, IfZ, Pudel, Blitz und Konsorten die unheilvolle Losung, dass sie garantiert die letzten Einrichtungen sind, die zum Regelbetrieb zurückkehren. Selbst eine großflächige Eindämmung des Infektionsgeschehens und zügige Impfungen münden nicht selbstverständlich in einer reibungslosen Wiedereröffnung.

Zu viele Unsicherheitsfaktoren müssen zuerst aus dem Weg geräumt werden: Wie gehen Clubs mit Ungeimpften um bzw. wie dürfen sie mit ihnen umgehen? Wie bewertet man das Infektionsrisiko für die Teile der Gesellschaft, die noch keine Impfung erhalten und mit Clubs nichts am Hut haben? Und, natürlich: Welche Clubs gibt es überhaupt noch, wenn sie endlich wieder aufsperren könnten?


Während elektronische Musik und Clubkultur für vieles stehen, was besonders konservativen Kräften ein Dorn im Auge ist, kalkulieren diese gleichzeitig mit ihrer wirtschaftlichen Zugkraft, die auf keinen Fall verloren gehen darf.


Besonders die letzte Frage sollte selbst die konservative Politik umtreiben. Immer wieder verwies schließlich nicht nur die Clubcommission selbst auf die von ihr in Auftrag gegebene Studie, nach der Clubkultur in der Bundeshauptstadt einen ganz wesentlichen wirtschaftlichen Faktor ausmacht – und sicher auch in anderen Teilen Deutschlands nicht zu vernachlässigen ist. So totgenudelt diese Studie inzwischen sein mag, so sehr sollte sie doch die Geschmacksrezeptoren von Parteien ansprechen, die kurz vor dem Lockdown noch einen Shoppingmarathon forderten, der die Dauer einer Berghain-Klubnacht noch übersteigt.

Clubkultur als Politikum in der öffentlichen Wahrnehmung

So könnte sich im Sommer 2021, wenn das Gröbste überstanden ist und möglicherweise „allen ein Impfangebot” gemacht werden kann, eine paradoxe Situation entspinnen. Während elektronische Musik und Clubkultur für vieles stehen, was besonders konservativen Kräften ein Dorn im Auge ist, kalkulieren diese gleichzeitig mit ihrer wirtschaftlichen Zugkraft, die auf keinen Fall verloren gehen darf. Gut möglich also, dass in ein paar Monaten vehement Stimmen für die Clublandschaft Partei ergreifen, denen man das traditionell nicht unbedingt zutraut. Was, übrigens, auch in der Vergangenheit, besonders während der Corona-Krise, schon passierte.

Bevor sich die politische Landschaft aber tatsächlich mit Clubs beschäftigen und in diesem Prozess unorthodoxe Standpunkte besetzen kann, bleibt die Perspektive erstmal trist. Der Lockdown wird wohl bis Ostern verlängert, lange Schlangen gibt’s danach höchstens vor Lokalitäten mit großzügiger Außenfläche – und selbst diese haben mitunter mit einem schlechten Ruf zu kämpfen, der in rabiaten polizeilichen Maßnahmen endet. Auch die Geschehnisse rund um Open-Air-Veranstaltungen sollten der Szene, die begrifflich ähnlich schwer zu fassen ist wie die Clubkultur, eine Warnung sein.

Mit Hinblick auf den Sommer geht es um zweierlei: Am wichtigsten ist es zweifelsohne, auf unüberlegte Aktionen während des Lockdowns zu verzichten und keine Menschenleben unnötig in Gefahr zu bringen. Die Bereitschaft dazu sollte besonders während der zweiten Härtephase gestiegen sein, jetzt, da beinahe jede*r Corona-Fälle im Bekanntenkreis vorzuweisen hat. Außerdem geht es darum, Clubkultur eine Außendarstellung zu geben, die ihrer würdig ist, wenn sie in einer kontrovers geführten öffentlichen Debatte auf dem Prüfstand steht. Ein Bild von ihr zu vermitteln, das die Vorbehalte breiter Gesellschaftsschichten gegen sie nicht bestätigt, sondern entschieden konterkariert.

Das soll nicht mit einer Domestizierung der Clubkultur, ihrer Anbiederung an Konventionen einhergehen. Sondern mit einer Ablehnung von aufgesetztem Rebellentum gegen eine Staatsgewalt, die scheinbar nichts Besseres zu tun hat, als das Volk vom Feiern abzuhalten. Von pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen, die eine Clubnacht derzeit angeblich irgendwie doch durchführbar machen. Und besonders mit der Ablehnung einer Ideologie, die Spaß als oberste Maxime begreift, während jeden Tag hunderte Menschen ihr Leben lassen. Kombiniert man diese Ansätze, präsentiert sich kreativ, unangepasst, aber vernünftig und gibt die Deutungshoheit über den Diskurs so nicht völlig in fremde Hände, dürfte es den Entscheidungsträger*innen schwer fallen, das Nachtleben über den Sommer hinaus stillzulegen.

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