Foto: Frank P. Eckert

Etwas Wärme in diesem frostigen Spätwinter wird sicher nicht schaden. Ganz feine und garantiert nicht kratzige akustische Wollpullover kommen heuer zum Beispiel von Roberto Carlos Lange alias Helado Negro aus New York. Sein sechstes Album This Is How You Smile (RVNG Intl., VÖ 8. März) versammelt milde experimentelle, semiakustische und sanft psychedelische Electronica-Indie-Pop Songs mit engagierten und bewusstseinserweiterten Lyrics auf Englisch und Spanisch. Lange leiht sich mal eine Steel-Drum oder Ukulele von Exotica, mal einen brummenden Analogsynthesizer wie aus der Instrumentenkammer von The Notwist, die Grundierung ist aber immer eine sonnendurchwirkte zu Pastelltönen ausgebleichte Melancholie, wie von einer alten Bossa-Nova-Platte, die zu lange nicht gespielt wurde. Das Leipziger Duo Wooden Peak ist fast noch Notwist-hafter, wenn das überhaupt geht. Ihr viertes Album Yellow Walls (Kick The Flame) ist nicht weniger menschen- und familienfreundlich als Langes, in seiner sanft semiakustischen Electronica-Indie-Pop nur etwas deutscher. Das soft psychedelische Mäandern ihrer Stücke kommt weniger von Bossa Nova als aus den kosmischen Krautrock-Synthesizer-Eskapaden der hiesigen siebziger Jahre. Laura Loeters und Gregor Sonnenberg vom holländisch-deutschen Duo The Day legen Wert auf ihre Inter-Nationalität. Ihr Debüt Midnight Parade (Sinnbus) klingt neben eindeutig britischen 4AD-Achtziger Vorbildern aus Shoegaze und Dream Pop aber dennoch ein wenig nach gut abgehangenem, erwachsenem deutschem Electronica-Indie-Pop à la (ja, schon wieder) The Notwist. Diese (bewusste, unbewusste, oder vermutlich vom Rezensenten herbeifantasierte) Referenz ist aber für alle drei Platten keinesfalls ein Nachteil. So lässig, gut gemacht, gut gefühlt und menschenfreundlich kam hiesige und transatlantische Popmusik schon länger nicht mehr daher.


Video: Helado Negro – Please Won’t Please

Die Musik von Chaz Bear alias Toro Y Moi, der im beschaulichen und nicht nur intellektuell wohlhabenden kalifornischen Provinzstädtchen Berkeley lebt, ist von einem tief durchwärmten Humanismus und einer nicht selbstverständlichen aber doch entspannten Freundlichkeit geprägt. Und zwar ganz unabhängig davon, ob die Stücke vollelektronisch sind, wie die noch an Chillwave und Seapunk angelehnten Tracks seines Debüts vor zehn Jahren, ob sie einem Hip-Hop Instrumentals entlehnten Sample-Cut-Up-Prinzip folgen wie seine jüngeren Arbeiten, oder wenn sie ihre Fühler in die etwas steifere Brise von House, R’n’B und Trap strecken, wie auf Bears neuem Album Outer Peace (Melodic/Carpark). In jedem Fall bleiben die Stücke freundliche Songwriter-Electronica mit sehr dezentem Gesang und noch weniger vordergründiger Experimentierfreude. Bear schafft so aus House, Neunziger-R&B und Arca/Oneohtrix-Point-Never-artig dekonstruierten EDM-Club-Tunes etwas organisch Sonniges zu backen, bar jeder Aggressivität und Finsternis. Das böse Wörtchen „nett“ bekommt hier nochmal eine ganz neue unzynische Bedeutung.


Video: Toro y Moi – Freelance

Womit wir bei den norwegischen Indiepoppern von Kakkmaddafakka wären, die ihren leicht (nein schwerst) pubertären Bandnamen seit neustem mit KMF abkürzen. Ähnlich wie ihr Mentor Erlend Øye bei The Whitest Boy Alive machen KMF Synthesizergetriebenen Indie-Rock der in seiner Freundlichkeit und Wärme breitbandig anschlussfähig ist und gerade bei einem Publikum das mit Techno und Electronica sozialisiert ist runtergeht wie Samtbutter. KMFs sechstes Album Diplomacy (Bergen Mafia Records, VÖ 22. März) knufft auf die denkbar unaggressivste Weise auch wenn die Gitarren mal lauter werden. Düster oder hart waren sie nie, aber so sonnenwarm und tiefenentspannt wie hier dann doch noch nicht.


Stream: Cherushii & Maria Minerva – A Day Without You

Sowieso birgt die Abwesenheit von Zynismus nach außen oder Sarkasmus nach innen eine seltene Qualität, vor allem wenn sie von einer Künstlerin kommt die allen Grund zur Verbitterung hätten. Die sonnenwarme Lebensfreude der wohl einzigen je erscheinenden Kollaboration von Cherushii und Maria Minerva ist dem Schmerz über Cherushiis Tod im „Ghost Ship“-Brand in Oakland vor zwei Jahren abgerungen. Die von Minerva behutsam editierten und zu Ende produzierten Tracks der posthumen Mini-LP Cherushii & Maria Minerva (100% Silk) blieben so unverstellt freundlich und optimistisch zwischen Synth-Pop und Vocal-House swingend, dass der Trotz und der Mut sich gegen die Trauer zu stellen, sie in etwas Positives zu verwandeln unmittelbar und unüberhörbar wurde.

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