Er spielt in Berliner Techno-Clubs und auf Londoner Grime-Partys gleichermaßen, ohne sich in irgendeine Richtung biegen zu müssen: Jack Adams alias Mumdance. Wie kaum ein anderer DJ hat der Brite einen einzigartigen wie fordernden Stil entwickelt, der Genres ausklammert und gerade deshalb immer mehr Fans in beiden Welten gewinnt. Ein Interview über schwerelose Platten, teuflische Mixe und Clubmusik ohne Geländer.

„Ich spiele auf dem Mainfloor des Oval Space. Dann im Büro des Clubs. Aber trotzdem noch für das Publikum des Mainfloor. Obwohl ich die Leute nicht sehen kann. Dann verwandelt sich mein Monitor in einen Bluetooth-Lautsprecher. Ich höre nichts. Ich suche den nächsten Track, kann aber keinen passenden finden. Es ist, wie durch Schlamm zu waten, ich komm nicht voran. Dann wache ich auf. Uffff.“

So sieht ein DJ-Albtraum von Jack Adams aus. Um 5 Uhr früh hat er den britischen Musiker heute Morgen aus dem Schlaf gerissen. Dafür wirkt er eigentlich recht fit, als er uns hier am frühen Nachmittag gegenübersitzt. „Keine Ahnung, wo der Traum herkam. Ich stelle gerade das Programm für eine Nacht in dem Club zusammen. Vielleicht liegt’s daran?“, sagt der 35-Jährige und lacht. Lampenfieber kann der Auslöser für den Traum schlecht sein. Schließlich ist Adams als Mumdance seit über 13 Jahren in verschiedensten Bereichen britischer Clubmusik tätig. Vermutlich in mehr Bereichen als irgendein anderer Produzent dieser Tage.


Stream: Mumdance – Shared Meanings [Mix]

2006 nahm ihn Boy-Better-Know-Mitglied Jammer unter seine Fittiche und brachte dem Jungspund bei, wie man Grime produziert. Wenig später veröffentlichte er auf Diplos Label Mad Decent poppigen House. Mit seinem Kollegen Logos produziert er spartanische Tanzmusik, die in der Szene Weightless genannt wird. Im Duo mit dem Kopf der (inzwischen aufgelösten) irischen Black Metal-Band Altar of Plagues vermisst er die Frequenzzonen zwischen verzerrter Gitarre und übersteuertem Drumcomputer neu. Als DJ ist es sowieso unmöglich, ihn festzunageln. Zwischen Grime und Happy Hardcore, zwischen Musique Concrète und Techno – bei einem Mumdance-Set ist alles möglich. Oder besser: Muss all das möglich sein. Sonst wäre es kein Mumdance-Set. Und die sind dieser Tage auf Berliner Techno-Partys genauso gefragt wie bei Londoner Grime-Nächten und Experimental-Festivals in aller Welt.

Kommt doch eigentlich gar nicht so selten vor, dass ein DJ über den Tellerrand blickt, entgegnet da jemand? Stimmt schon. Aber kaum ein Produzent schafft es, die Line-Ups so weit hochzuklettern wie Mumdance, ohne als DJ klar einem Genre zuordenbar zu sein. Will heißen: Niemand ist überrascht, wenn Mumdance bei einer Herrensauna-Party in Berlin spielt. Obwohl er noch nie einen Techno-Track veröffentlicht hat. „Gleichzeitig gibt’s im Grime-Bereich Leute, die sagen: ‚Was wurde eigentlich aus diesem Mumdance, der hatte doch zwei Riesen-Hits und dann verschwand er wieder.‘“, sagt Adams und grinst verschmitzt. Er ist überall und nirgends. Omnipräsent für diejenigen, die sich für interdisziplinäre DJ-Sets und genrefluide Clubnächte interessieren. Unsichtbar für alle anderen, für die Spartengetreuen, die von einer Party genau das wollen, was auf dem Flyer steht. Wie er sich diese Ausnahmestellung sicherte und wie ihm sein Stammplatz zwischen den Orten gefällt?


Stream: Mumdance – Don’t Forget Me Now feat. Esser

So richtig fängt Adams Karriere im Jahr 2013 an. Stimmt, Musik hat er schon vorher gemacht. Und dies nicht unerfolgreich. Schließlich war da diese EP auf Mad Decent, The Mum Decent, von 2010, dank der Adams den DJ-Jetset schon recht früh in seiner Laufbahn kennenlernen durfte. Zu früh vermutlich, wie er heute meint. Weil er sich damals selbst noch nicht gefunden hatte. Musikalisch wie persönlich. Deshalb zog er nach diesem ersten Hoch die Reißleine und wieder daheim bei den Eltern in Brighton ein. Er arbeitete am Bau und nutzte die Freizeit dazu, um seinen Stil zu finden. Er schaute sich an, welche Musikströmungen es waren, die ihn bis dahin wirklich geprägt hatten. Welche Genres es waren, die seinen Geschmack geformt hatten. „Im Prinzip waren das Jungle, UK-Breakbeat-Hardcore und Grime,“ sagt er. „Es fühlte sich natürlich an, mit diesen Stilen zu experimentieren. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, musikalisch ich selbst zu sein.“ Es war die Zeit, als neue Platten von älteren Produzenten wie Special Request auch im Reich der geraden Bassdrum ein kleines Breakbeat-Revival einläuteten – und binnen kurzer Zeit etliche Trittbrettfahrer auf den Plan riefen. Was Adams schon damals ein Dorn im Auge war. „Ich kapiere nicht, warum heute jemand einen Jungle-Track macht, der klingt, als wäre er in den Neunzigerjahren produziert worden. Das ist doch langweilig“, sagt er. „Mein Ansatz war damals schon: Versuch, die Stimmung dieser Tracks einzufangen – und sie in die Gegenwart zu holen.“ Mit dieser Herangehensweise entstand 2013 sein Mixtape Twists & Turns und anderthalb Jahre später Proto, ein düsteres, auf sein Gerippe reduziertes Meisterwerk zwischen Grime und Breakbeats, ein Firmware-Update fürs Hardcore Continuum, das Adams gemeinsam mit Logos produzierte.

Mein Ansatz war damals schon: Versuch, die Stimmung dieser Tracks einzufangen – und sie in die Gegenwart zu holen.“

Mumdance hatte Logos kurz zuvor im Dunstkreis der Londoner Clubnacht Boxed kennengelernt. Ein loser Zusammenschluss lokaler Produzenten und DJs mit einem gemeinsamen Ziel: Grime weiterzudenken. Einerseits im Sinn von Devil Mixes (B-Seiten von Wileys frühen Singles: Instrumental-Versionen ohne Beat), andererseits in Richtung experimentellem Crossover. „Damals entstand extrem viel spannende Musik in diesem Umfeld“, erinnert er sich. „Es gab einen kurzen Hype, was rückblickend schade ist. Denn dadurch wurde der Boxed-Szene nicht genug Zeit gegeben, um sich zu entwickeln.“


Stream: Mumdance x Logos – Proto

Noch bevor die Betreiber der Boxed-Clubnacht ihr eigenes Label gründeten, starteten Adams und Logos Different Circles. Eine Plattform für ihre eigenen Tracks und die von geistesverwandten Produzenten wie Rabit, Murlo und James Blake-Gitarrist Airhead. Das verbindende Element der meisten Veröffentlichungen auf Different Circles war und ist der Produktionsansatz, dem die Labelbetreiber auch gleich selbst einen Namen verpassten: Weightless. „Weightless ist kein Genre. Es ist eine Arbeitsmethode: Wir schauen, wieviel wir bei einem Track wegnehmen können, sodass er noch immer im Club funktioniert“, sagt er. „Damals liefen gerade überall komplexe Drum-Tracks. Wir gingen den anderen Weg – und fanden Spaß im Minimalismus.“

Logos (links) und Mumdance. Foto: Arianna Power

Von der ersten EP Weightless Volume 1, die Ende 2014 erschien, bis zur demnächst erscheinenden dritten Werkschau hat sich viel getan. Während die Produktionen anfangs gelegentlich als Weightless-Grime bezeichnet wurden, was Adams bis heute stört, erweiterte sich der Kreis der involvierten Musiker um etablierte Experimental- und Technokünstler, um eine vielleicht ursprüngliche Genreverbundenheit des Produktionsansatzes endgültig vergessen zu lassen. „Ich erkläre den Leuten die Grundidee und spiele ihnen Weightless-Tracks vor. Sie liefern dann, basierend auf dem Konzept, ihre Interpretation davon. Das kann wirklich jedes Genre sein“, sagt Adams. „Deshalb ist es mir auch wichtig, zu betonen, dass Weightless keine Bewegung ist, keine Szene. Denn dann wäre der Sound auch anfällig für Hypes, was ich auf jeden Fall vermeiden will.“


Stream: D∆WN x Mumdance – Guardian Angel

Dass Weightless sehr viel sein kann, demonstriert er selbst am besten. Zum Beispiel mit dem Track “Guardian Angel“, den er für die R&B-Sängerin D∆WN produziert hat: Eine Power-Ballade, die im Prinzip nur aus D∆WNs Stimme, opulent arrangierten Streichern und ein paar Soundeffekt-Klecksen besteht. Mehr braucht es nicht für den vollen Pop-Genuss. Ganz anders, aber irgendwie doch auch sehr ähnlich, verhält es sich mit seinem aktuellen Album Bliss Signal, das er gemeinsam mit seinem alten Freund James Kelly – besser bekannt als WIFE – aufgenommen hat. Ein brachiales Werk, das deshalb so spannend ist, weil es Minimalismus in Sachen Dichte und Intensität neu denkt. „Ich war immer ein Metal-Fan und stand auf James‘ Band. Unsere Idee war, Tracks zu machen, die nach uns beiden klingen. Tracks, für die wir Drone, Shoegaze und Metal im Weightless-Modus bearbeiten“, erklärt er. „Ursprünglich hatten wir nur ein paar Songs für eine gemeinsame Show beim Unsound-Festival in Polen aufgenommen. Daraus entstand dann innerhalb von nur drei Monaten ein ganzes Album.“


Stream: Bliss Signal – Bliss Signal

Der wohl bekannteste Track mit Weightless-Hintergrund ist aber „1 Sec“, das er mit dem Londoner MC Novelist auf XL Recordings veröffentlicht hat. „1 Sec“ besteht zu großen Teilen nur aus Novelists Bars, hier eine Salve Claps, da ein paar wuchtige Bass-Töne, dort ein paar undefinierbare Sound-Effekte. Es ist das Arrangement, das den Track so spannend hält, mehr noch, das die Spannung mit jeder Leerstelle nach oben schraubt. Fast alle Elemente in dem Track sind Field-Recordings. Aufnahmen aus dem Bus, aus dem Park, vom Weg ins Studio. „Insofern ist der Track meine Interpretation von Musique Concrète“, sagt Adams. Die avantgardistische Musikströmung aus dem Frankreich der 1940er gilt neben Ambient und Wileys Devil-Mixes als wichtigste Säule im Referenzraum der Weightless-Musiker. Einerseits, weil auch sie mit dem Phänomen der Akusmatik arbeiten – ein aufgenommener Klang wird so lange verfremdet, bis er keiner Quelle mehr zuordenbar ist – andererseits, weil Musique Concrète die Hörer*innen, wie Adams es beschreibt, desorientiert. „Als ich Musique Concrète zum ersten Mal hörte, war ich fasziniert. Ich verstand zum ersten Mal, dass Musik weder Rhythmus noch Melodie haben muss. Die Art, wie mich ein Stück von Pierre Schaeffer desorientiert, kommt dem Gefühl sehr nahe, das ich als DJ am Dancefloor erzeugen will.“


Video: Novelist x Mumdance – 1 Sec

Desorientierung am Dancefloor? Was er damit meint, zeigte sich besonders gut in der Party-Reihe Different Circles, die Adams und Logos 2015 in einem kleinen Pub im Londoner Osten schmissen. Jeden Sonntagabend, den ganzen Sommer lang. Das musikalische Motto dieser Partys: „Sonic Abstractions & Club Bangers“. Ihre eigenen Sets und die ihrer Gäste wie Russell Haswell, Okzharp und Untold waren ungestüme Mixes aus Science-Fiction-Library-Platten und Grime, aus Musique-Concrete-Versatzstücken und Playstation-Beats. Plötzlich stolperten Beats aus einer Soundscape und tauchten unerwartet wieder in sie ein. Fiepende Klänge verdichteten sich zu Rhythmen und fielen schnell wieder auseinander. Ein akustisches Geländer suchte man als Gast vergeblich – und das war auch der Sinn der Übung. „Das waren tolle, intensive Nächte. Es kamen fast nur Leute vorbei, die selber Musik machten. Junge Grime-MCs, Typen aus der Experimentalszene wie Perc und Lee Gamble, gleichzeitig aber auch Leute wie Björk und die Tri Angle-Label-Posse“, erinnert er sich. „Es ging nicht um Genres, es ging darum, Stimmungen zu erzeugen.“

Ein akustisches Geländer suchte man als Gast vergeblich – und das war auch der Sinn der Übung.

Stimmungen statt Genres, Clubmusik ohne Geländer. Es waren diese Konzepte und Ideen, die Adams 2017 dazu veranlassten, mehr aufzulegen. Mehr über die Funktionen und Möglichkeiten von DJ-Sets nachzudenken. Und sich beim Auflegen selbst mehr zu fordern. Als Konsequenz startete er Radio Mumdance: 40 Back-to-Back-DJ-Sets in Folge im Rahmen seiner wöchentlichen Radiosendung auf Rinse FM. Live, ohne Absprache mit den Gästen. Darunter DJs mit ähnlich eklektischem Ansatz: Ben UFO, Josey Rebelle. Aber auch Spezialisten in ihrer Schublade: Techno-Ikone Shed, Dancehall-Neudenker Equiknoxx, Drum’n’Bass-Meisterin DJ Storm. „Ich wollte gegen die Besten in ihrem jeweiligen Fach antreten“, sagt er. „Und damit nicht nur mich, sondern auch sie aus ihrer Comfort Zone locken. Mit dem Ziel, eben nicht in einem Genre, sondern in einer Stimmung zusammenzufinden.“ Am Ende ist es vermutlich genau dieser Ansatz, der Adams‘ szeneübergreifende Popularität als DJ ausmacht. Anstatt sich auf sein Ding zu fokussieren, lädt er Kolleg*innen in seine Welt. Während andere DJs verschiedene Genres spielen, klopft er Stile auf neue Praktiken, Ideen, Thesen ab und nimmt sie bei Bedarf in sein Repertoire auf.


Stream: Radio Mumdance Rinse FM – Mumdance B2B DJ Storm

Ein gutes Beispiel dafür ist seine relativ frisch entfachte Liebe für Techno. Nicht, dass er je daran interessiert gewesen wäre, ein reines Techno-Set zu spielen. Adams geht es auch hier darum, Techno als neue Farbe in seine Palette aufzunehmen. Als Werkzeug, das ihm hilft, mehr Dynamik in seine Sets zu bringen. „Als DJ spielst du mit Parametern wie laut und leise, Aufbau und Entspannung. Und genauso gut kannst du Orientierung und Desorientierung gezielt einsetzen“, sagt er. „Du spielst einen Grime-Track in einem Techno-Club, die Leute gehen ein Stück weit mit. Dann, kurz bevor du sie verlierst, knallst du eine gerade Bassdrum drunter und holst sie zurück. Das Ganze funktioniert natürlich auch umgekehrt. Kurz: Als DJ liest du einen Raum und findest seine Comfort Zone. Dann drückst du das Publikum immer wieder leicht aus der Zone hinaus und ziehst sie wieder herein.“

Dieser Ansatz sei natürlich nicht neu, sagt Adams. Mit Verweis auf die erste Techno-Generation, bei deren Sets es natürlich nicht um Genre-Reinheit ging, sondern darum, eine futuristisch-dystopische Stimmung zu erzeugen und die Tänzer*innen mit Musiken zu konfrontieren, die sie noch nie zuvor gehört hatten. Gerade in dieser Hinsicht hat Adams das Gefühl, dass in Berlin dieser Tage wieder sehr viel möglich ist. Dass die Leute im Berghain extrem gut anspringen auf seine Kreuzung aus Piano-Breakbeat-Hardcore mit Grime. „Die Szene in Berlin hat mich mit offenen Armen empfangen, obwohl ich noch nie einen Techno-Track veröffentlicht habe. DJs wie Nina Kraviz und Speedy J sind sehr offen für Musik von außen. Leute haben keine Angst davor, Gabber und Hardstyle zu spielen – es ist eine spannende Zeit für eklektische DJs.“

Mumdance alias Jack Adams. Foto: Presse.

Sein nächstes Ziel? Ein Soloalbum. Genauer, sein erstes. Kaum zu glauben eigentlich, dass er dieses nach so vielen Jahren im Geschäft noch immer schuldig ist. Das Problem ist: Je länger man damit wartet, desto schwieriger wird es. Schon öfters hat er an einem Soloalbum gearbeitet. Zum Beispiel zur Zeit von „1 Sec“. Damals wollte er ein Weightless-Pop-Album für XL Recordings produzieren. Der Track mit D∆WN war ein Versuch in die Richtung. Der Ansatz schien aber zu dünn für ein ganzes Album. Die wichtigste Erkenntnis in der Sache kam ihm unlängst. „Viele Musiker*innen arbeiten jahrelang an einem Album. Die meisten meiner Lieblingsplatten aber entstanden in relativ kurzer Zeit: von Prodigys Experience bis Dizzee Rascals Boy in da Corner“, sagt er. „Deshalb werde ich beim nächsten Versuch nicht zu lange herumfeilen. In diesem Sinn: Ich kann nicht genau sagen, wann das Album kommt, aber ich verspreche, dass es nicht nur eines wird, sondern eine ganze Serie.“

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