Die Sängerin und Produzentin Karin Krikor Tatoyan alias K Á R Y Y N aus Los Angeles hat einen nicht weniger beeindruckenden Weg gefunden, ihr Ringen mit den Fallstricken ihrer Identität als kosmopolitischen Amerikanerin, Zweite-Generation Migrantin mit syrischer Verwandtschaft und armenischer Herkunft, mit den großen zeitlosen Themen von Liebe, Verlust und Quantentheorie (!?!) in elegante Song-Tracks zu gießen. Auf ihrem Debütalbum The Quanta Series (Mute, VÖ 29. März) erkämpft sie sich eine ganz eigene Nische in den wenigen weißen Flecken der Pop-Landkarte die noch zwischen den Koordinaten ambienter Achtziger-Gothic (This Mortal Coil, Cocteau Twins), neuer arabisch-elektronischer Pop-Avantgarde (Nadah El-Shazly, Fatima al-Qadiri, Emel Mathlouti) und dekonstruiert queerem Electro-R&B (ANOHNI, Arca bis FKA Twigs) übrig sind. Ein tolles und erstaunlich schnell in Richtung Perfektion gereiftes Debüt.


Video: K Á R Y N N – Aleppo

Ist es noch Pop wenn die Vokalisten aus den Stücken und ihrer Stimme noch den letztmögliche Maximum an Emotion ausquetschen? Für das Manchester Duo Lost Under Heaven (LUH) ist das wohl keine Frage. Auf ihrem zweiten Album Love Hates What You Become (Mute) ziehen der schlimmbeste Pathossänger ever, Ellery James Roberts und die cleveren Produzentin und jetzt auch vermehrt Sängerin Ebony Hoorn, wie nicht anders gewohnt, alle Register. Diesmal etwas indie-rockiger und weniger elektronisch aber noch immer mit einer mehr als befriedigenden Menge an Pathos, Verzweiflung, Electro-Hedonsimus und luftholenden Kunstpausen.


Video: Lost Under Heaven – Post Millenial Tension

Das Kölner Ehepaar-Duo Donna Regina veröffentlicht seit fast dreißig Jahren kontinuierlich Musik, im Schnitt alle zwei bis drei Jahre ein Album. Einen Hype haben sie dabei nie verursacht, noch sind sie je einem Trend hinterhergelaufen. Ihre mal nach Dream-Pop mal nach Synth Wave oder etwas handfester nach Vocal-Techno klingende Electronica mit Hauchgesang spielte schon immer so weit außerhalb jeglicher Aktualität, dass es ihren Stücken eine ganz eigene Qualität verlieh. Transient (Karaoke Kalk) ist da keine Ausnahme. Einzige Neuerung ist der nun vermehrt deutschsprachige Gesang. Ansonsten alles beim guten Alten. Wie ein seltenes Lebenszeichen von einer Freundin aus Kindertagen, die man über die Jahre im anbrandenden Alltagsstress fast vergessen hätte, über deren Wiedersehen man sich aber jedes Mal wieder aufs Neue freut. Wie schön, dass es Donna Regina noch immer gibt.


Video: Donna Regina – Blitze

Anna Müller und Paul Wallner vom Wiener Duo HVOB könnten klangästhetisch und generationell die Kinder von Donna Regina sein. Auf dem Doppelalbum ROCCO ([PIAS]) verknüpfen sie dringliche Techno-Beats und vor allem die zugehörigen Bässe mit hauchzartem Gesang und verträumten Pop-Songs. Wo Donna Regina den „Sound Of Cologne“ (ältere Leser*innen werden sich eventuell erinnern) mitdefiniert haben und ihm treu geblieben sind, stützen sich HVOB eher auf aktuelle Erfolgsmodelle aus Berlin, vor allem Moderat, wenn untenrum aus dem Grummeln ein Donnergrollen wird. Dennoch ist ihre Art zu leise und zurückgenommen für Stadion-Techno und zu melancholisch und zart für Electro oder Synth Pop. Das luftig lockeres Songwriting und Müllers nahe am Aufnehmer abgenommene ganz nach vorne gemischte Stimme tragen ein Übriges dazu bei, dass ihre feinen Stücke außerhalb jeder medialen Aufregung spielen und doch im Zentrum von Pop.


Video: HVOB – Bloom

Das New Yorker Duo Xeno & Oaklander teilt die Verehrung träumerischer Popmusik, der Fokus ihrer Faszination liegt allerdings eher in den europäischen achtziger Jahren, im Cold-Wave und Art-Pop der belgischen Labels Les Disques Du Crépuscule und Crammed Discs sowie der Italo Disco dieser Jahre von Valerie Dore bis Scotch. Die Leitfigur ihres fünften Albums Hypnos (Dais Records, VÖ 8. März) ist Tina Weymouth vom Tom Tom Club und den Talking Heads. Der messerscharf abstrahierte Funk und die glasklar vollelektrische Produktion der Tracks sind mehr als würdige Hommagen und Aktualisierungen von Weymouths Sound, welcher eine ganze Ära amerikanischen Pops prägte. Dass auf einem 2019 Album die Bässe etwas deftiger brummen dürfen und die Beats etwas elefantenfüßiger daherkommen ist dabei ebenso folgerichtig. Vielleicht (oder besser: hoffentlich) ist es müßig zu erwähnen, dass bei den erwähnten Duos die altvordere Aufgabenverteilung von Boy/Girl-Duos – also Frau singt und Mann bedient die Maschinen – zumindest teilweise zugunsten einer ausgeglichenen Form der Musikproduktion und Sichtbarkeit aufgehoben ist, wobei bei Xeno & Oaklander die weibliche Hälfte Liz Wendelbo zusätzlich noch für Artwork und Visuals zuständig ist.

1
2
3
4
5
6
Vorheriger ArtikelChalet Club Berlin: Die Zukunft ist ungewiss
Nächster ArtikelMumdance: Desorientierung am Dancefloor