Techno-Partys gibt es in Russland fast ebenso lang wie in vielen westlichen Ländern. Schon im Dezember 1991 – noch in der UdSSR – fand unter dem Namen Gagarin der erste Rave statt. Doch es gibt kaum Clubs, die sich dauerhaft etablieren konnten und im Verhältnis zur Größe des Landes haben nur wenige russische DJs und Produzenten – wie DJ Vadim etwa oder SCSI-9 – viel Aufmerksamkeit außerhalb des Landes bekommen. Nina Kraviz beklagt, das man auch in Russland meist erst Anerkennung findet, nachdem man im Ausland Erfolg hat. Kraviz’ eigene Karriere ist dafür ein gutes Beispiel: sie ging – auch in Russland – erst richtig los, als sie als Resident-DJ des Propaganda Clubs Matt Edwards alias Radio Slave eine CD mit eigenen Tracks zusteckte, der sie schließlich auf seinem Rekids-Label veröffentlichte. Anton Zap machte sich durch seine Platten auf Underground Quality und Philipp Gorbachev auf Cómeme einen Namen.
Zuletzt hat auch der DJ und Produzent Nikita Zabelin dieses Phänomen erfahren. „Ich bin seit Jahren in Russland als DJ aktiv, aber seit Nina Kraviz einen Track von mir in ihrem DJ-Kicks-Mix verwendet hat, seitdem ich bei Boiler Room zu sehen war und im Berliner Tresor aufgelegt hab, öffnen sich für mich auch hier neue Türen.“ Zabelin, 28, lernte Nina Kraviz im letzten Jahr beim Outline Festival kennen und ist seitdem Teil ihres Labels трип (Trip). Er kümmerte sich um die Promotion und war Resident-DJ des beliebten Techno-Clubs Monasterio, der mittlerweile ebenfalls geschlossen ist. Der schlaksige DJ, der ursprünglich aus Jekaterinburg kommt, ist ein ähnlich großer Enthusiast wie Jennie Zobel und hat sich zur Aufgabe gemacht, die Techno-Szene in Russland miteinander zu vernetzen. „Russland ist ein riesiges Land und die Entfernungen zwischen den Städten sind groß. Bisher gab es deshalb nur wenig Austausch zwischen den Produzenten, DJs und Aktivisten. Ich will das ändern und eine Plattform für die russische Techno-Szene aufbauen“, so Zabelin, der dafür unter anderem das russische Facebook-Pendent VK nutzt. Ab Oktober geht er unter dem Motto “Techno Makes Sense” auf Tour durch die Millionenstädte des Landes, wo er auch Workshops für Jungendliche anbieten will. In Moskau startet er gleich zwei Partyserien: Unit, auf der er DJs aus verschiedenen Teilen Russlands zusammenbringt und Block, das ein Showcase für jeweils eine russische Stadt darstellt. Eine wichtige Plattform bietet auch seine Radiosendung Resonanz, wo er ausschließlich Tracks russische Produzenten spielt. Erst kürzlich hat Nina Kraviz durch die Sendung den 17 Jahre alten Vladimir Dubyshkin für Trip entdeckt.
In Russland gibt es eine Reihe interessanter Labels. Auf Hyperboloid erscheinen schon seit mehr als zehn Jahren unter anderem die Tracks von Pixelord, der auch bereits auf Leisure System veröffentlicht und dieses Jahr sein Debütalbum Places herausgebracht hat. John’s Kingdom ist ein Label für experimentelle elektronische Tracks, die auf Bandcamp, Soundcloud und Tape vertrieben werden. Und Gost Zvuk macht seit letzten Jahr mit handgestempelten 12“s u.a. von OL auf sich aufmerksam, die von DJs Anthony Naples und Madteo aufgelegt werden. „Die Produzenten auf Gost Zvuk sind zum Teil in Russland schon lange dabei, haben aber noch kaum auf Vinyl veröffentlicht“, so Labelbetreiber Ildar Zaynetdinov. Als nächstes geht das cluborientiertere 10“ Sub-Label Instrument mit Tracks von Stanislav Tolkachev an den Start. Arma17 hat ebenfalls ein eigenes Label und gerade eine Booking-Agentur gegründet. Und von Berlin aus betreibt Jennie Zobel gemeinsam mit dem Duo Easy Changes Nervmusic auf dem russische Produktionen erscheinen, aber auch schon Ricardo Villalobos unter dem Alias Alliv Sobol eine Platte herausgebracht hat.
Vor drei Jahren schrieb Alexis Waltz in seiner Groove-Titelgeschichte über Nina Kraviz, dass es „ein Mysterium des Moskauer Nachtlebens (ist), warum ein Minenbesitzer aus der Provinz seinen Crystal-Champagner zu einem Set von Âme schlürfen will“. Nach wie vor gibt es in Moskau eine Reihe von Luxus-Clubs wie das Krysha Mira und der neu eröffnete Ableger des Space Clubs aus Ibiza, die mit einem respektablen Booking für ein reiches Publikum aufwarten. Fest etabliert sind die Sonntags-Partys im Gipsy, das sich auf dem Dach einer alten Fabrik befindet. Auch hier gibt es Kellner, die teure Vodka-Flaschen an reservierte Tische bringen während – wie im Juni geschehen – Moodymann, Panorama-Bar-Resident Steffi und Drexciyas DJ Stingray auflegen.
„Was die Sonntage im Gipsy besonders macht ist die Mischung der Leute“, erzählt Nikita Zabelin. „Es ist eine After Hour-Institution zu der Feiernde kommen, nachdem die anderen Clubs geschlossen haben – egal ob das ein exklusiver VIP-Club oder eine Underground-Techno-Party ist.“ Das Gost-Zvuk-Label betreibt ebenfalls einen eigenen kleinen Club, das NII, wo DJs wie Florian Kupfer, Huerco S. oder Galcher Lustwerk auflegen. Und es gibt Partyreihen wie Discipline, die vom Philipp Gorbachev-Manager Sasha Rozet veranstaltet wird, mit einem ganz eigenen Sound. Auf den Discipline Partys etwa laufen alte EBM-Tracks und aktuelle Industrial-Techno-Stücke, über 1000 Leute kommen mittlerweile zu den Veranstaltungen. Doch auch wenn gelegentlich internationale Gäste wie The Hacker oder DMX Krew auftreten sind diese nicht der Grund für den Erfolg der Nacht. „Die Moskauer DJs wissen genau was sie für eine BPM-Zahl zu spielen haben, damit sich die Party gut entwickelt“, so Sasha Rozet. „Und der Spannungsbogen, der daraus resultiert, macht Discipline aus.“