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Mai 2025: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Teil 2 der essenziellen Alben findet ihr hier, Teil 3 hier.

Al Wootton – Rhythm Archives (Trule)

Neues Album von Al Wootton. Vielleicht sein siebtes oder achtes, zählt man jene unter Pseudonymen wie Deadboy oder J.V. Lightbody mit. Ambient, Glitch, Dubstep, Drone, UK Garage, New Age, House, Techno – in unzähligen Stilen hat sich der Brite bereits ausprobiert. In den letzten Jahren ist sein Label Trule Mittelpunkt seiner Experimente. Diese tanzen inspirierend zwischen Techno, Dubstep, experimenteller Elektronik und Tribal. Mit trickreichen Polyrhythmen, modularer Esoterik und psychedelischem Sounddesign. Nebenbei impft er Stilen wie UK Garage und Techno frische zeitgenössische Klang-Nuancen zwischen Experiment und Zugänglichkeit ein.

Im letzten Januar wurde er nach Australien ins Melbourne Electronic Sound Studio eingeladen. Dort nahm er in der örtlichen Sammlung rarer Vintage-Drum-Machines die jeweils individuellen Charakteristika und Rhythmen einzelner Maschinen auf und editierte sie zuhause mit seinem individuellen Twist zum Album Rhythm Archives. Das ist variantenreich. Alle Tracks zeichnen sich durch eine definierte Klangästhetik aus. Sie gibt einzelnen Sounds psychedelischen Raum, hypnotisiert minimal repetitiv und hat von Villalobos-Momenten in Tracks wie „Swing” bis zu Post-Punk-Dub-Coolness in Tunes wie „Slow Rock” stilistisch vieles zu bieten. Selbst schneller Techno aus reiner Synth-Synthese wird in einem Track wie „Shuffle” kühn übersetzt. Ein fesselndes Minimal-Album, das nicht zuletzt dank seiner analogen Vintage-Drum-Sounds und ihrer modernen Deutung besonders wirkt. Michael Leuffen

Andrea – Living Room (Ilian Tape)

Manchmal muss man Worte finden, wo man eigentlich keine finden sollte, zum Beispiel hier, bei Andrea. Der ist ungefähr das, was man einen loyalen Typen bezeichnen könnte. Veröffentlicht Platte um Platte bei Ilian Tape, und zwar nur dort. Weil das ein wunderbares Label ist, bestimmt. Aber auch, weil er bei den Münchnern machen kann, was er macht. Nämlich sehr gute, ins Detail gehende, das heißt: ausgesprochen ausgetüftelte Musik. Die Beweislast der letzten beiden Alben spräche da wortlos für sich. Jetzt erscheint Living Room, was idealerweise die Austragungsstätte des Albums ist. Und eine Platte, die man nicht beschreiben mag, bei der man viel eher die 450 Euro teuren Bosekopfhörer aufsetzt, sich zurücklehnt und später die außerkörperliche Erfahrung in esoterischen Redditforen teilt. Einfach, weil man sich hier, ich sag es, verlieren darf. Und das ist ja nicht komplett schlecht in einer Welt, in der alle, einschließlich man selbst, immer vorgeben, etwas finden zu müssen. Finde ich. Christoph Benkeser

Anthony Naples – Scanners (ANS)

Der New Yorker Produzent Anthony Naples geht auf seinem sechsten Album full House. Für seine Verhältnisse zumindest, die durch seinen Quereinstieg über Outsider House gekennzeichnet sind. Das heißt: Selbst wenn er es diesmal ganz auf Banger im eigentlichen Sinn abgesehen hat, klingen die nicht nach dem Reproduzieren allzu vertrauter Gesten, die beim Hören zuverlässig konditionierte Reflexe auslösen. Irgendwas ist bei ihm immer ein bisschen abweichend. Selbst wenn er vor zwei Jahren mit Orbs auf sehr entspannte Weise schon mal visionärer gewesen ist; bei der nächsten Platte wird im Zweifel wieder alles neu gemischt.

In seinen übersichtlich gehaltenen Tracks auf Scanners jedenfalls lässt er stets Raum für Seltsamkeiten, die über leicht angeschrägte, unerwartete Sounds entstehen. Das nie aufdringlich, sondern mit feinem Sinn fürs obskure Detail. Auch die Elemente, die ihren üblichen Dienst tun, wie die gerade Bassdrum, klopfen bei ihm eine Spur anders. Gut, das mag eventuell bloß durch den Rest drumherum so scheinen. Die Wirkung bleibt gleich: Es pumpt auf unverbrauchte Weise. Und der Körper sagt ja. Tim Caspar Boehme

Ash Fure – Animal (Smalltown Supersound)

Animal, also „Tier”, heißt dieses Album, was nachvollziehbar wird, wenn man die sechs Stücke darauf in einem Rutsch gehört hat. Die ersten Soundassoziationen gehen aber in konträre Richtung: Weniger Organisches als Maschinelles entsteht vor dem geistigen Auge – oder besser: Ohr. Der dominierende knarzig-eindringliche Grundrhythmus fast aller Tracks lässt an Percussions denken, die im Uterus eines großen Diesels im Bauch eines Fischkutters herangewachsen sind.

Maschinenmusik wäre das gängige Etikett, das spontan der Musik von Ash Fure aufgedrückt werden könnte. Aber welche Maschinen sollen das sein, die diese Klänge hervorbringen? Das übliche Synthesizer-Inventar nicht unbedingt. Sampler? Klar, mit denen geht letztlich alles. Aber wo kommen die Quellen her, was wurde gesampelt? Das Label-Info zum Album gibt letztlich einiges preis, zu lesen auch in Shops und bei Streaming-Anbietern. Fragt sich – wie so oft in solchen Fällen –, ob das hilfreich ist. Will ich wissen, wie die Künstler:in diese bedrückend-verzückenden und gleichzeitig gefühlvollen Drones erzeugt hat? Wird daraus ein Mythos wie die berühmten Handtücher auf Ringo Starrs Trommeln? Hilft das irgendwem? Ich bevorzuge erahnen, das Hineinbegeben in eine klangliche Situation, die überrascht, überrumpelt und im besten Fall, wie hier, erfreut, weil wieder einmal Neues entsteht, das nicht gleich analysiert werden kann. Das Tier umschleicht die Falle, aber tappt nicht hinein, hört nicht auf die Namen Ambient, Industrial oder Electronica, kuscht nicht, macht nicht Platz. Fein gemacht? Nix da! Mathias Schaffhäuser

Chaos In The CBD – A Deeper Life (In Dust We Trust)

Das Brüderpaar Ben und Louis Helliker-Hales alias Chaos In The CBD hat sich über die letzten 15 Jahre den Ruf eines felsenfest verlässlichen House-Duos erarbeitet. Sei es durch viele starke EPs oder ihre Compilation Fabric presents von vor zwei Jahren, auf dem die gebürtigen Neuseeländer die House-Geschichte der Neunziger entlang übersehener Perlen aufbereiteten.

A Deeper Life ist nun ihr endlich erschienenes Debütalbum und fasst so ziemlich alles zusammen, für was die Brüder stehen: balearische Beats, zurückgelehntes Ambiente und unverwechselbare Stilsicherheit. Was mit strandreifen Tönen und Pool-Lounge startet, entwickelt sich langsam und wird dann mit pop-tauglichen Vocals diverser Feature-Gäste gespickt, bleibt trotz aller Zugänglichkeit aber über snobistische Zweifel erhaben; zu geschmackssicher bedienen die Brüder die Drummachines und arrangieren ihr Insel-Ambiente so luftig, dass der balearische Charme stets die Oberhand behält. Zur Albummitte wird es endlich jazziger und tendiert in Richtung Partystimmung. Es folgen die ersten echten House-Tracks. Einflüsse von Kerri Chandler oder Larry Heard durchziehen die mit Jazz, Soul und Funk getränkten Kompositionen. Saxofon, Piano und sexy Basslines: Alles uralte Zutaten, doch Chaos In The CBD setzen sie respektvoll und gekonnt ein, um einem klassischen Deep-House-Sound zu huldigen, den man zeitloser noch selten abgebildet gefunden hat. Leopold Hutter

Claudio PRC – Self Surrender (Delsin)

Claudio PRCs fünftes Studioalbum beginnt mit einer Szenerie: Ambient-Klänge wie sanftes Meeresrauschen, begleitet von einem regelmäßigen Piepton, der an einen Krankenhausmonitor erinnert. Seicht geht es mit „Kāla” weiter. In der indischen Mythologie steht der Begriff für die göttlich personifizierte Zeit – ein Konzept, das hier durch einen wiederkehrenden Trommelschlag vertont wird.

Ungewöhnlich in Zeiten rasender 145-BPM-Techno-Tracks ist die Entschleunigung, die Self Surrender prägt. Während andernorts das Motto „Je schneller, desto besser” gilt, geht der Italiener bewusst einen anderen Weg. Er ist für seine langsam modulierten Loops, die sich subtil verändern, bekannt – und bettet „Cenere” und „Covered” darin ein. Nebelartige Klänge ziehen sich durch das gesamte Album, mal mehr im Hintergrund, mal prägnanter. Der tanzbare Charakter für lange Clubnächte findet in „Manifestazione” Ausdruck. Was bleibt, ist melancholische Tiefe, die in eine Gedankenwelt eintauchen lässt.

Die meditativen, introspektiven Strukturen spinnt „Ebony Feathers” weiter und leitet innerlich das Ende ein. Zum Schluss wird es dann nochmal emotional: „The Suspended Child”, das schwebende Kind, begleitet von einem fragilen Vocal, schließt das Album etwas nachdenklich ab. Meint Claudio PRC damit den inneren Zustand zwischen Vergangenheit und Zukunft? Vielleicht.

Mit Sicherheit kann man sagen, dass Claudio PRC auf Self Surrender seinem atmosphärisch-minimalistischen Stil treu bleibt. Ein stilles, kraftvolles Album, das zum Versinken einlädt und den Hörer in etwas persönlichere Räume eintauchen lässt. Jacob Runge

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