Moskaus Clubbetreiber und Partyveranstalter haben mit größeren Hindernissen zu kämpfen als in vielen westlichen Städten. Für internationale DJs fallen hohe Reise- und Visakosten an und die Mieten der Stadt gehören zu den höchsten der Welt. Durch den Währungssturz des Rubels haben sich die Booking-Kosten deutlich erhöht. Selbst für ein Festival wie Outline mit etwa 7000 Gästen lassen sich kaum die Kosten decken. Und von Seiten der Stadt finden Veranstaltungen mit elektronischer Musik kaum Unterstützung. Im Gegenteil: Beim Outline im letzten Jahr beendete die Polizei das Festival gerade als Theo Parrish spielte. „Die Krise hat aber auch etwas gutes“, findet Nikita Zabelin. „Wenn sich Clubs internationale DJs nicht mehr leisten können, ist das auch eine Chance für lokale DJs und Produzenten.“

Anders als in vielen westlichen Ländern stellt elektronische Tanzmusik in Russland noch eine Alternativkultur da. „Als ich das erste Mal nach Deutschland kam fragte mich der deutsche Grenzbeamte nach dem Anlass für meine Reise. Ich erzählte ihm, dass ich zur Time Warp will“, erinnert sich der Journalist Ilya Voronin, der sich in den 90er Jahren noch mit importierten Groove– und Mixmag-Ausgaben iüber aktuelle Musik informiert hat. „Der Grenzbeamte antworte darauf hin, das er ja lieber House als Techno höre. Sowas wäre in Russland unvorstellbar!“ „Unsere Partys bilden eine eigene Gemeinschaft, die sich über mehr als nur den Musikgeschmack definiert“, sagt Discipline-Veranstalter Rozet. „Wir schaffen hier unser eigenes Universum“, findet auch Gost Zvuk-Betreiber Zaynetdinov. „Es gibt einen anhaltenden gesellschaftlichen Druck und wir gehen damit um, indem wir etwas eigenes aufbauen.“

„In Russland erleben wir gerade eine Art Retromania“, sagt Ilya Voronin in Anspielung an einen Begriff, den der Musikjournalist Simon Reynolds geprägt hat. „Große Teile der Gesellschaft scheinen die alten Sowjetzeiten aufzuleben lassen wollen. Ich halte die junge Generation nicht für sonderlich politisch, aber viele wollen sich auf jeden Fall von diesen Entwicklungen abgrenzen.“ Der DJ Nikita Zabelin, der an der zentralen Twerskaya-Straße wohnt, sah im Mai 16.000 Soldaten mit Panzern und Raketenwerfern an seiner Haustür vorbeiziehen, die den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland mit der größten Militärparade in der russischen Geschichte feierten. „Ich hatte gerade eine Freundin aus der Ukraine zu Besuch und die Begeisterung, mit der die Leute auf der Straße die Soldaten begrüßten, machte uns Angst. Für mich stellt Techno auch eine Art dar, wie man die Welt sieht.“

Zum Outline-Festival reisten Busse mit Besuchern aus Minsk oder St. Petersburg an, Gäste aus dem Ausland begegnet man aber kaum auf dem Festival. Der schwarze Sänger Cedric Gasaida aus Kanada fiel schon deshalb im Publikum auf. Aber er ist auch eine Art lokale Berühmtheit und gibt Anlass eigene Vorurteile zu überdenken. Mit seiner Gruppe Azari & III hatte Gasaida Hits wie „Hungry For The Power“ und arbeite zuletzt unter dem Pseudonym Starving Yet Full u.a. mit Sub-ann zusammen. Beim Outline Festival muss er immer wieder für Selfies posieren, seit einem Jahr lebt der offen schwule Sänger in Moskau. „Es ist eine großartige Stadt für elektronische Musik, aber auch für Kunst. Aus bekannten Gründen gibt es zwar keine schwule Kultur in Moskau“, so der Sänger unter anderem in Anspielung auf das von Putin erlassene Anti-Homosexuellen-Gesetz. „Aber es gibt eine sehr lebendige schwule Szene.“ Die Love Boat Partys im Solyanka-Club, wo unter anderem auch Marc Almond auftrat, gehörten bis zur Schließung des Clubs vor einem Jahr zu den besten der Stadt, die Clumba-Feiern im 16 Tons sind seit Jahren etabliert und auch im ältesten Techno-Club Moskaus, dem Propaganda, gibt es seit Anfang an schwule Partys. Wie hatten Telex in ihrem Proto-House-Track von 1979 schon gesagt: „All the boys look super chic. All garcons are fantastic. New music has made it’s way. Automatic rhythms play. Invading the world around. Electronic dancing sound. Miskow Doskow – Moskow Diskow.“

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