Foto: Birgit Kaulfuss

Nahezu acht Jahre lang ging es bei ihnen hauptsächlich um Moderat und ihre Labels, nun sind sie als Duo zurück: Modeselektor. Mit Who Else wollen sich Sebastian Szary und Gernot Bronsert wieder auf sich konzentrieren. Im Interview schneiden sie ernste Themen an: Von Streamingdiensten über Feminismus bis hin zu Yoga scheint es nichts zu geben, zu dem die beiden keine Meinung haben. Während die beiden mitten in den Vorbereitungen für ihre anstehende Tour steckten, traf sie Cristina Plett zum Interview in der Teeküche ihres Studios.

Das Interview im Monkeytown-Office beginnt, wie ein Gespräch mit Modeselektor beginnen muss: „Magst du einen Kaffee?“ fragt Sebastian Szary, der Teil von Modeselektor, der für die Koffeinversorgung des Duos zuständig ist. Genauso, wie die beiden Produzenten und DJs aus Brandenburg Espresso und Affen zu einem Teil ihrer Markenidentität gemacht haben, so bekannt ist auch Szarys Standard-Kleidungsstück, der Overall. Heute trägt er ein Modell des Zürcher Flughafenspersonals. Sein Kollege Gernot Bronsert folgt dem Arbeiter*innen-Narrativ mit einem Hoodie, auf dem der Aufdruck „Pro Lefto Lefto Club“ prangt. Auch der Track, mit dem sie im vergangenen November ihr neues Album Who Else anteasten, hieß „Wealth“. Darauf rappt die britische Grime-Rapperin Flohio „everybody wanna get that money really quick“, während im Hintergrund die gewohnten Modeselektor-Bässe mit einem eher ungewöhnlichen Grime-Einschlag wummern. Die beiden, die eigentlich als Spaßvögel mit Schampusflasche bekannt sind, zeigen sich nun politisiert.

Mit Who Else besinnen sich Szary und Bronsert auf ihre unverkennbaren Stärken als Duo, back to the roots und musikalisch dennoch vom Zeitgeist geprägt. Es ist ihr erstes Album als Modeselektor seit Monkeytown im Jahr 2011. Seitdem hatten Moderat, ihr Trio mit Apparat, und ihr Output als DJs und Labelmacher im Vordergrund gestanden. Nun ist es wieder Zeit für Zweisamkeit und – das werden sie im Gespräch immer wieder betonen – Spaß.

Eure erste Single jetzt war “Wealth” mit Flohio. Ich fand das ist ein Ausreißer auf dem Album – war das für euch ein Experiment? Warum wolltet ihr mit Flohio zusammenarbeiten?

Sebastian Szary: Für mich ist das ehrlich gesagt gar nicht so ein großer Ausreißer. Das ist so die Frage, mit was für einer Sache man zuerst um die Ecke kommt. Das war ja wirklich ein Lebenszeichen nach langer Zeit. Ja klar, wir haben uns schon was dabei gedacht, aber irgendwie, die Beatstruktur und so, da sind wir auch klar verwurzelt. Im Prinzip finde ich Grime geil, ich finde Dancehall geil und ich finde Techno geil. Und Flohio steckt da total drin, das ist eine super Sängerin.

Foto: Birgit Kaulfuss

Wo habt ihr die entdeckt?

Gernot Bronsert: Na, ein bisschen auf ganz banale Art und Weise.

Im Internet?

G: Ne. Ich habe unsere englische Agentin angerufen. Die ist auch die Bookerin von Skepta. Und ich meinte so ‘Wir wollen mal was mit Grime machen und wir wollten schon immer mit einem Grime-MC zusammenarbeiten.’ Dann meinte sie gleich Flohio. Sofort. Bin gar nicht dazu gekommen, meine Frage zu stellen. Ich wollte fragen, ob sie mir mal die Telefonnummer von Skepta besorgen kann. Aber sie hat mir gleich was geschickt und wir fanden das super. Und dann ist Flohio gleich zu uns gekommen. Mit einem BVB-Trainingsanzug. Weil ihre Klamotten nicht mitgekommen sind! Hat sie sich einen Trainingsanzug vom BVB gekauft im Kaufhof am Alex. Das sah total cool aus.

S: Die Stimmung bei der Aufnahme war auch extrem gut. Sie ist nicht mit vorbereiteten Lyrics gekommen. Es gibt immer so Phrasen, die die per Baukasten zusammenbauen, aber nee. Hier wurde richtig geschrieben am Tisch auf Papier und dann gehört und dann ‘Ey, Gernot, kannst du das nochmal spielen, warte mal’ und dann so ‘Mmh’ und dann, ‘Okay, I’m ready’. Und dann ist sie ans Mikrofon gegangen und hat den Song Strophe für Strophe eingesungen.

G: Bei Tommy Cash war es auch so. Der kam auch her – beide haben extrem gekifft. Also, so Fjaak-Style, richtig doll. Mit Fjaak waren wir auch eine Woche im Studio, haben aber nichts verwendet davon. Waren auch zu stoned.

Sie oder ihr?

G: Na, wir mit. Wenn die ganze Zeit einer quarzt – die rauchen ja nur pur -, dann bist du irgendwann auch mit dabei. Einer hat immer gekifft. Wenn du da an so einem Joint ziehst, kommt dir wirklich die Kotze hoch, so stark ist das.

Kommt Flohio auch mit auf Tour?

Wir überlegen, sie für ein paar Dinger mitzunehmen. Sie hat eine sehr gute Bühnen-Performance und auch Erfahrung, weil sie mit Gaika auf Tour ist. Sie ist quasi eine MC von Gaika.

Wenn ihr euch eure Liveshow überlegt, denkt ihr dann, dass ihr auch ein bißchen Entertainment machen müsst?

G: Ne. Ey, guck’ mal: Wir machen das schon so lange, überall.  Irgendwann bist du frei. Irgendwann bist du befreit von allen Zwängen und Ängsten. Und wir kriegen natürlich auch alles mit. Wir haben jetzt die letzten Jahre total viel aufgelegt auf irgendwelchen weirden Tulum-Partys oder im Bassiani. Da war der gesamte Querschnitt dabei.

S: Ibiza eingeschlossen.

War das gut?

G: Pfff. Na, Ibiza kann nicht gut sein. Also, vielleicht zum Urlaub machen. Aber so partymäßig ist das wirklich schwierig. Die machen Entertainment. Wir eben nicht so. Obwohl wir gerade ein bisschen Wert auf Entertainment und Spaß legen, gerade bei dieser Tour – wir haben ja sonst eine andere Band, mit Sascha [Ring], Moderat. Die ist ja sehr visuell und sehr – wie sagt man? – Gestenhaft.

S: Die große Geste.

G: Und wir machen jetzt genau das Gegenteil. Es wird grobpixelig. Ein bisschen Spaß haben. Wenn du mit als Band unterwegs bist, hast du jeden Abend den gleichen Ablauf: Du kommst an, machst den Soundcheck, spielst dein Konzert, dann ist das immer ein bisschen out-of-context. Dann bist du in einer Blase drin und kriegst gar nicht mehr so viel mit. Und dann vergisst du irgendwann, warum du das eigentlich alles machst.

Kriegt ihr das immer auf Tour, dieses Gefühl?

G: Bei Moderat auf jeden Fall. Weil Moderat ist ja eigentlich ein Spaßprojekt gewesen, ursprünglich mal, zwischen Apparat und Modeselektor. Das hat sich ja nur aus den beiden Projekten Apparat und Modeselektor gespeist. Und war jetzt irgendwann mal genug. Jetzt geht’s wieder darum, Spaß zu haben bei dem, was wir machen, zu zweit.

Aber sind Modeselektor-Konzerte nicht auch ein bisschen so? Also, einfach dieses Konzert-Moment.

G: Ja. Aber die sind irgendwie befreit. Von irgendwelchen Richtlinien. Weil da ganz viel Improvisationsspielraum ist und auch eine Interaktion mit dem Publikum stattfindet. Viel mehr als nur die Songs anzusagen und: ‘Ey, hallo Paris, wie geht’s euch?’  Da kann auch mal sein, dass jemand mit auf die Bühne kommt und ein bisschen mitmacht. Da geht es auch um Spaß. Das Set ist so aufgebaut, dass man einfach lustige Sachen machen kann.

Modeselektor im Monkeytown-Büro. Foto: Cristina Plett

Ihr habt irgendwo mal gepostet, dass ihr euer Album in vier Wochen gemacht habt, nachdem ihr zwei Jahre lang prokrastiniert habt.

S: Genau. Vier Wochen! Lass es fünf sein.

Aber wenn ihr eure eigenen Labelchefs seid, dann müsst ihr euch ja auch diesen Druck selber machen, dass ihr irgendwann fertig seid, oder?

G: Das ist ein bisschen wie zu versuchen, für sich selbst eine Überraschungsparty zu machen und dann noch überrascht zu sein. 

Habt ihr euch dann ein Datum gesetzt?

G: Naja, das ist ein sehr ambivalentes und schwieriges Thema. Vor allem für die Leute, die mit uns arbeiten müssen. Das sind seit Jahren eigentlich immer die gleichen Leute, die uns auch kennen. Wir haben ja die Erfahrung schon öfter gemacht und es ist nun mal keine Fließbandarbeit. Wir sind ja nicht irgendwelche Produzenten, die für irgendein Studio arbeiten, wo du hingehst und sagst: ‘Ich brauch jetzt ein Album mit Berghain Vibe. Aber nicht so hart, damit das noch bei Sonnenschein funktioniert und am besten muss das so produziert sein, dass die Algorithmen von den Streaming-Diensten das so erkennen, dass die Musik nicht leiser wird.’ Das ist nämlich ein Phänomen, wenn du dir auf Spotify die ganzen Technohits anhörst, die sind alle leiser als irgendein Trap-Track.

Ach krass, das ist mir noch nie aufgefallen.

G: Du machst zum Beispiel einen Clubtrack. Das Ding ist eigentlich nur gemacht, damit du es laut hörst, in einem Club mit einer geilen Anlage. Wenn du das auf Spotify packst, wird der niemals so laut sein, wie beispielsweise der neue Track von RAF Camora. Weil die Produzenten das nur dafür machen. Für dein Device, was du in der Hand hast. Denn was machen die Kids den ganzen Tag? Die hören Spotify über’s Telefon. Die machen sich nicht mal die Mühe und schließen irgendeine Bluetooth-Box an.

S: Um zum Album zurückzukommen – wir haben es hier auch gemischt. Wir haben das von vorne bis hinten hier drin produziert. Unser Mastering-Engineer, der war auch hier und hat uns ein paar Sachen eingestellt. Er hat uns auch ein bisschen erklärt, zum Beispiel über Algorithmen. Früher hat man einen einen Vinylmaster gemacht und einen CD-Master. Heutzutage sind wieviele fünf verschiedene Masteringarten: Download, Streaming, Vinyl, CD und Radio. 

Aber ihr seid dann eurem Mastering-Typen einfach gefolgt und habt das auch so machen lassen?

G: Ne, wir haben lange mit ihm diskutiert und uns gestritten, weil wir es nicht eingesehen haben. Es klingt ja scheiße, wenn du das für so ein Spotify-Ding machst. Aber es gibt eine Software, wo du einen Test-Upload machen kannst. Das haben wir dann gemacht.

Und es klang nicht so scheiße?

G: Naja, im Endeffekt kann man sich dagegen nicht wehren. Es ist ja dann schon Sound-Nerd-Fetischismus. Wir sind aber nicht die Typen, die dann sagen ‘Ist uns egal, dann ist es halt so’. Wir brauchten erst den Beweis.

Aber warum seid ihr, wenn ihr das mit der gesamten Plattformkultur – also Spotify, Social Media – nicht so geil findet, dann da drauf?

G: Die Frage ist eher, warum nicht. Denn es ist eine rein politische Entscheidung. Zum Beispiel Bryan, Skee Mask, der auch bald eine Seilscheibenpfeiler macht, der will ja gar nichts mit Spotify zu tun haben, weil er das ganze Ding ungerecht findet. Grundsätzlich ist das auch richtig. Und dass zum Beispiel eine Plattform wie Bandcamp eigentlich eine tolle Sache ist. Da bin ich aber noch skeptisch, weil ich nicht weiß, was damit jetzt passiert. Wer wird’s kaufen? Aber für uns ist das Thema Streaming allgemein wichtig. Es ist einfach modern, da kannst du dich nicht gegen wehren. Da kannst du einfach nichts machen. Sogar Radiohead und Die Ärzte haben’s eingesehen, nach all den Jahren. Das ist einfach so.

Ihr habt ja einigen sehr jungen Künstlern wie Fjaak zu Bekanntheit verholfen. Habt ihr bei diesem ‘Aufziehen’ was gelernt?

G: Aufziehen würde ich jetzt nicht sagen. Das, was wir machen, ist eigentlich nur aus einer totalen Unreife heraus entstanden. Wir hätten ja irgendwie auch irgendwas „Anständiges“ machen können. Haben wir aber nicht, weil wir einfach an was geglaubt haben. Und das Ding immer noch durchziehen. Die Leute, die um uns herum im Büro sitzen sind reif.

Naja, aber ihr müsst den ganzen Laden ja auch irgendwie mit am Laufen halten. Also eine gewisse Reife müsst ihr dann schon haben.

G: Erfahrung. Und bei den Projekten, das ist ein Prozess. Da zählt total viel, dass man so einen Glauben hat und dass man einfach nicht aufhört. Dass man so‘n Durchzieh-Ding hat. Und um das aufrechtzuerhalten, holst du dir immer wieder neue Aufgaben rein. Deswegen machen wir das alles. Wir könnten uns auch ausruhen und einfach immer wieder unsere Partys machen. Wir hätten schon vor Jahren eine BBC-Sendung machen können, als einzige Deutsche. Hätte, hätte, hätte. Der Typ von Black Mirror hat gefragt, ob wir den Scheiß-Soundtrack machen wollen und wir haben nie Zeit. Wir haben immer ein Projekt, wir sind immer in Bewegung.

Ihr sucht euch also immer neue Aufgaben, aber denkt, dass es trotzdem nicht genug ist?

G: Ne, wir werden immer gefragt: ‘Wieso macht ihr es euch nicht gemütlich? Ihr könntet immer schön in Lateinamerika spielen und immer Business Class fliegen.’ Es gibt ja so viele Künstler. Die DJs in dieser elektronischen Musikwelt, die die meiste Kohle verdienen, die kriegen wir ja gar nicht mit. Die sind in Paralleluniversen unterwegs, die sich teilweise an Orten abspielen wie Las Vegas oder irgendwas. Dann hat man einen jungen Menschen wie dich, der sagt ‘Da war dann irgendwann die Karriere vorbei, der macht jetzt irgendwas.’ Und an diesen Punkt wollen wir nie kommen. Das ist quasi der Motor.

Neben Moderat habt ihr in den letzten Jahren viel Arbeit in Eure Labels gesteckt. Im November 2015 habt ihr 50Weapons eingestellt, nachdem die 50 Releases voll waren. Ist Seilscheibenpfeiler der Nachfolger von 50Weapons?

G: Ja. Könnte man so sagen. Weil dieses 50Weapons-Ding, das war auch nochmal ein Thema. Das war auch eine Erfahrung für uns. Du hast ein Label gegründet und hast dann total viele Künstler drauf und dem Label ging’s total gut. Wir haben immer richtig Platten verkauft. Die Krise war nicht zu spüren. Wir haben immer 1000 Platten mindestens gemacht, von jeder. Und bei manchen haben wir 5000, 6000 verkauft. Bei der 25 etwa, der Dettmann.

S: Das war genau die Hälfte. Das war der Peak eigentlich. Da fanden dann natürlich auch Veränderungen im Kaufverhalten und überhaupt in der Plattenindustrie statt.

G: Aber wir haben’s nicht zugemacht, weil es sich nicht mehr gelohnt hat, sondern weil wir halt diesen Plan hatten, nur 50 zu machen.

Das ist krass, dass ihr euch da an das Prinzip gehalten habt.

G: Na, es war gar nicht so einfach. Aber es hat uns letztendlich an einen Punkt gebracht, dass wir es machen mussten. Sonst wär’s Routine geworden. Wir hatten ja so viele Künstler, von Addison Groove, Dark Sky, Benjamin Damage, Bambounou.

S: Cosmin.

G: Marcel. Shed. Truncate. Anstam. Mir fallen jetzt gar nicht alle ein.

S: Genau, ein Teil davon hat halt eine gewisse Identität für dieses Label aufgebaut. Aber irgendwann wurde gesagt: ‘Wat is‘n? Was kommt am Ende des Tunnels? Ab 50?’

G: Dann haben wir schon angefangen anzukündigen, dass Künstler, die nicht so eng verbunden waren mit dem Label, die ihr eigenes Standing hatten, ihre Fühler schon mal in andere Richtungen ausstrecken sollen. Aber bei Benjamin Damage war es zum Beispiel echt schwer. Dem musste man wirklich erstmal richtig helfen. Den haben wir dann connected mit einem Manager, der ihn unterstützt, und jetzt ist er bei R&S gelandet.

aus dieser Spirale musst du dann raus.”

Der Sound von 50Weapons hatte irgendwann aber auch ein bisschen seinen Zenit überschritten, oder? Also zumindest dieses leicht Bass-mäßige?

G: Ja. Und das war irgendwie auch so ein Punkt. Dann kriegst du halt eine Demo von einem Künstler, von dem du schon zwei, drei Maxis gemacht hast oder sogar ein Album und dann ist das nicht exciting genug. Aber du willst dem auch die Möglichkeit geben, dass er einen Release hat. Damit er Gigs kriegt. Und aus dieser Spirale musst du dann raus.

Modeselektor im Studio. Foto: Birgit Kaulfuss.

Aber ist das nicht bei jedem Label so?

G: Weiß ich nicht. Es gibt ja immer Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Tresor Records zum Beispiel: Das ist ein bisschen wie, wie kann man das vergleichen? Wie ein Traditionsunternehmen.

S: Das Manufactum der Labels.

Das fällt halt nicht mehr so auf.  

G: Vermeintlich. Das kann man heutzutage nämlich gar nicht mehr sagen. Was fällt einem auf und was fällt nicht auf? Denn es ist ja eine Plattform-Kultur und keine Musikkultur mehr. Es geht ja nur noch um Echo Chambers. Dadurch, dass alles digital ist, kriegst du, wenn du auf Instagram nur irgendwelche Ibiza-DJs anguckst und daran interessiert bist, vom Algorithmus halt nur irgendwelche DJs gezeigt, die das machen.

Aber die elektronische Musikwelt besteht zwar aus vielen verschiedenen Gruppen, die verbunden sind, aber insgesamt ist es schon eine sehr abgeschlossene Welt, oder?

G: Ja. Von der bist du auch Teil.

Das stimmt.

G: Es ist schon eine abgeschlossene Welt, klar. Absolut. Aber ich glaube generell, dass wir alle in einer total abgeschlossenen Welt wohnen. Dass wir zum Beispiel mehr Müll machen als vor 20 Jahren, hat mich schon echt getroffen.

S: Ich finde das jedes Mal so vorbildlich wie wir unseren Müll trennen und jetzt hinterfragen wir erst: Ja, was passiert damit eigentlich?

G: Und das kriegst du halt deswegen nicht mit, weil wir hier in einer Blase wohnen. Wir sind schon echt verwöhnt hier. Ist ja die Gefahr an Berlin. Du bist total in so einer Bubble. Kriegst gar nicht so viel mit. Und dann wunderst du dich, warum die AfD so viele Wähler hat auf einmal. Du denkst, dass hier doch eigentlich alles cool ist. Ist es aber nicht. Oder zum Beispiel auch: Du bist eine Frau. Du kommst an diese Stellen in deinem Leben, wo du gesagt bekommst, dass du bloß eine Frau bist. Das passiert! Ich bin in meinem Leben nur von emanzipierten Frauen umgeben gewesen, Frauen waren immer unsere Chefs. Bei uns im Büro arbeitet ein einziger Mann. Und Gordon im Webshop. Der Rest sind alles Mädels. Aber wir hatten da nie so einen Unterschied gesehen. Und jetzt ist im Bundestag die Diskussion, ob es eine Regelung geben soll, die in Frankreich schon seit zig Jahren normal ist: Dass man immer einen männlichen und einen weiblichen Kandidat hat. Guck dir den CDU-Block an! Da im Bundestag. Da sitzen nur dicke Männer – und zwei Frauen. Davon ist eine Bundeskanzlerin und die andere will’s werden. Wir sind aber in dieser Technowelt aufgewachsen. Ich find’s eher zu viel Frauen in unserer Welt manchmal! Heute morgen war Yoga zum Beispiel.

Foto: Birgit Kaulfuss

Hier im Büro?

G: Ja, zwei Mal die Woche kommt eine Yogalehrerin. Bezahlen wir, dass dann quasi Yoga gemacht wird. Da machen alle Yoga und dann ist schön.

Macht ihr auch mit?

G: Ne [lacht laut]. Neee. Vielleicht irgendwann mal.

S: Wir machen Interview, weißt du. Können ja kein Yoga machen!

G: Ja. Und dass dann auf einmal diese Diskussion aufkam, gerade auch in der Technowelt, so vor ein paar Jahren, mit Discwoman und Gleichberechtigung und so, das ist total wichtig und richtig, aber ich dachte, das Ding ist vom Tisch.

Aber bei den ganzen, die du vorher aufgezählt hast, Shed, Marcel Dettmann, Basic Channel, die ganzen ‘alten Jungs’, das sind ja auch alles Männer.

G: Ja, absolut.

Das ergibt sich halt irgendwie automatisch aus den Freundeskreisen und Cliquen.

G: Ja, das stimmt. Aber wir sind ja eher aus der Generation, in der unsere ersten Förderer Ellen Allien und Miss Kittin waren. Damals, als wir noch unerfolgreich waren und noch nicht dieses Standing hatten, da war eine Miss Kittin ein Gigant. Die war auch ein richtig geiler DJ – also ist sie immer noch wahrscheinlich – aber damals war die einfach die coolste Sau. Und da ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, nach ihrem Geschlecht zu fragen, so viel Tiefgang hatte ich da noch nicht. Das war für uns nie die Frage: Frau, Mann. Wer ist denn der geilste DJ gerade? Also ich finde persönlich der geilste und mutigste und erfolgreichste DJ der Welt ist Nina Kraviz. Unabhängig, ob sie da jetzt ein X- oder ein Y-Chromosom hat – ich find’s absolut geil, dass der das scheißegal ist. Manchmal hat sie so einen lustigen Dress an, dann sieht sie aus wie so ein Chanel-Püppchen, spielt aber irgendwelche Psytrance-Platten mit Breakcore und du denkst nur, du bist in irgendeinem Keller, wo nur Typen sein könnten, weißt du? Von der Musik her. Das finde ich wirklich super und ich kenne jetzt keinen männlichen DJ in der Fraktion von der Größe, der das so knallhart durchzieht.

Ey, geh’ in Wald, geh’ spazieren, mach’ mal was anderes. Triff dich mit Menschen.”

Aber bei ihr spielt halt auch eine Rolle, dass – wie du meintest – ihr Aussehen die Erwartungen bricht.

Aber es stimmt einfach, dass diese Szene männerdominiert ist. Und dass es diese, wie sagt man, toxic masculine energy gibt, diese Bro-Scheiße, ‘Ööh, Bruder’ und so. Was ja speziell in England und auf Ibiza, in dieser House-Szene, etabliert und normal ist. Das haben wir auch immer gehasst. Berlin war schon immer schwul. Wir waren immer umgeben von Schwulen und Queer-People und diese Frage hat sich nie gestellt. Und als es dann aufkam, das gleiche Ding wie mit dem Müll: Was, wir machen mehr Müll als früher? Was, es gibt ein Problem? Da hab ich irgendwie gemerkt: Diese Bubble, in der man lebt, ist echt gefährlich.

Wie haltet ihr euch denn aus der Bubble raus? Oder wie versucht ihr, diese Gefahr zu umgehen?

G: Na, durch Bewusstheit. Also durch die bewusste Kontrolle von zum Beispiel Medien. Ich schätze mal, von den 16 Stunden, die du wach bist, hast du mindestens sieben Stunden etwas in der Hand. Wenn du gerade nicht schreibst oder so. Weil es einfach ein Medium ist. Du kommunizierst darüber, guckst, was deine Leute machen, Timeline, News, bla, blablabla. Musik, E-Mails, Mutti, Oma, alles läuft dadrüber. Durch unsere Kinder ist uns das ein bisschen bewusst geworden. Bei mir hat es irgendwann Klick gemacht, dieses Echo Chamber-Phänomen. Dass du eigentlich durch diese ganzen Algorithmen das vorgesetzt bekommst, was du vorgesetzt bekommen sollst. So entstehen diese Blasen. Du siehst dann halt nicht mehr das, was ringsherum ist. Ey, geh’ in Wald, geh’ spazieren, mach’ mal was anderes. Triff dich mit Menschen. Diszipliniere dich, nicht dieses Ding die ganze Zeit in die Hand zu nehmen.

S: Das ist schwer [lacht].

G: Und es ist wirklich Bewusstheit. Es ist wirklich ein menschliches Wachsen, was man braucht. Und das ist dann auch in dem Fall das Erkennen, dass man sich in einer Blase befindet. Wir sehen ja die Welt. Wir sind auch viel in Schwellenländern, wir kriegen viel mit. Und wir können einfach mal wirklich dem da oben jeden Morgen danken, dass wir in so einem Land leben. Das ist einfach so. Es ist absolutes Glück, dass wir hier sitzen.

Who Else von Modeselektor ist auf Monkeytown erschienen. 

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