Der Regensburger Markus Guentner ist ein guter alter Bekannter dieser Kolumne und überhaupt der übersichtlichen Welt guten Ambients diesseits von Kategorien wie Dark und Pop Ambient. Extropy (A Strangely Isolated Place, 4. Oktober), sein jüngstes, insgesamt ungefähr elftes oder zwölftes Album auf prominenter Plattform, erzeugt unmittelbar das heimelige Gefühl des Wiedererkennens (etwa der Glocken des Regensburger Doms?), des Wiederfindens von etwas, von dem man gar nicht mehr so recht wusste, wie man es doch vermisst hat. Und doch markiert das Album einen Aufbruch. Der Sound ist exaltierter, fülliger und schwerer als bisher, näher denn je dem Verständnis von Ambient von etwa Rafael Anton Irisarri oder einem, das auf skandinavischen Labels wie Posh Isolation, Janushoved oder Northern Electronics gepflegt wird. Kein schlechter Move.

Trip Shrubb war und ist das megalo- wie monomanische Remixprojekt des Dörentruper Produzenten Michael Beckett, bekannter wohl unter dem Alias kptmichigan und als Teil der Indie-Elektroniker The Tuesday Weld und Schneider TM Experience. Jan Jelinek hat sich nun auf seinem Label der ehrenvollen wie anspruchsvollen Aufgabe gewidmet, den Dubs, Cuts und Loops von Trip Shrubb eine Retrospektive zu gönnen. Die konzentrierte Auswahl der Stücke auf Trewwer, Leud un Danz (Faitiche, 22. Oktober) fügt sich so schon fast unheimlich perfekt passend in das Labelportfolio. Das Soundverständnis, die tief konzeptuelle Idee von Sampling, Coverversion und die generelle Soundästhetik in verwaschenem Grau-Grau sind einfach ein optimales Match. Als wär’s ein Stück von/m Jelinek.

Zeitgenössische elektroakustische Komposition für digital prozessierte Solo-Percussion dürfte zu den etwas selteneren Ereignissen gehören, die dazu angetreten sind, die Welt der Neuen Musik aufmischen. Der kanadische Schlagzeuger Noam Bierstone hat sich drei solcher Kompositionen – der Berliner Schwedin Hanna Hartman, des Wiener Italieners Pierluigi Billone und des Türken Zeynep Toraman, zu eigen gemacht und in das disruptiv-digitale Deep-Listening-Album mountains move like clouds (No Hay Discos, 29. Oktober) verarbeitet. Das Konzept geht in allen drei Kompositionen sehr gut auf, wobei Hartmanns Stück inhaltlich und klanglich das zugänglichste, aber auch interessanteste darstellt in der Konfrontation eines Samples des Flügelschlags einer Taube mit dem von Bierstone gespielten Rascheln und Flattern der Percussion.

Treffen sich alte und neue Avantgarde, dann klingt es gerne nach, na ja, „klassischer” Avantgarde, nach ernsthaft freiem Spiel oder grobem Unfug, jeweils hochgradig gekonnt und gleichzeitig absichtsvoll dilettantisch, wie es in siffigen New Yorker Kellern in den späten Siebzigern, im eingemauerten Berlin oder auf verpilzten Landkommunen der späten Sechziger erst beinahe privat, später mit manchmal erheblichem Erfolg öffentlich praktiziert wurde. Es klingt ein wenig nach dieser ungebundenen Freiheit, was Ka Baird & Pekka Airaksinen auf FRKWYS Vol. 17: Hungry Shells (RVNG Intl., 22. Oktober) machen. Die jüngste der eigentlich immer tollen Kollaborationen, die von RVNG Intl. im Rahmen der FRKWYS-Serie initiiert wurde, konfrontiert den 2019 gestorbenen, zeitlebens radikal und konfrontativ gebliebenen finnischen Elektronikpionier Airaksinen mit der kaum weniger frei agierenden, gerne von Psychedelia inspirierten New Yorker Performancekünstlerin und Elektronikproduzentin Kathleen Baird. Und es kam, wie es kommen musste (was ein Glück): Poesie und tollkomischer Krach mit Stimmakrobatik und elektrisch zwitschernder Exzentrik.

Etwas vergleichbar Schönes und Freies muss passiert sein, als Gudrun Gut und Beate Bartel beschlossen, ihren Backkatalog aufzuarbeiten und unveröffentlichtes von Mania D., Malaria! und Matador mit den Künstlerinnen der Monika Werkstatt zusammenbrachten und ein Original-Remix-Doppelalbum entstehen ließen. Die M_Sessions (Moabit, 21. Oktober) rufen einerseits noch einmal den Schock des Erkennens ins Gedächtnis, wie neu und anders und doch so genau im Augenblick, im Jetzt spielend diese Klänge vor 40 Jahren doch waren. Und andererseits, wie sich die Radikalität, das Wissen um die Möglichkeit einer besseren, wahrhaftigeren Musik jenseits von Punk, eine bessere Welt jenseits von rockistischen Gesten und Macho-Macker-Ritualen erhalten konnte. Wie sie in den Remixen einer anderen Zeit, einer anderen Bewusstheit von Pilocka Krach, Beate Bartel, Midori „MimiCof” Hirano, Mommo G, Lucrecia Dalt, Antye „AGF” Greie-Ripatti, Natalie „TBA” Beridze, Annika „Anika” Henderson und nicht zuletzt Gudrun Gut selbst am Leben erhalten wird.

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