Ebenfalls am Start, ebenfalls schwer vorstellbar und noch weniger nachzumachen: der dritte Teil der ambitionierten Sonnenwende-Tapes von Prolaps. Was Matt „Machine Girl” Stephenson und Bonnie „Kill Alters” Baxter für Ultra Cycle Pt. 3: Autumnal Age (Hausu Mountain, 21. September) in lautsprecherzerfetzender Aussteuerung und mehr als adäquater Überlänge zusammengeschraubt haben, höhnt jedweder Idee von Effizienz und Ökonomie. Mehr ist mehr, und einfach ist nie. Hibbelige Genies im Alles-muss-raus-Rausch.

Am Rande der Jenseitserwartungen aller Genregrenzen bewegt sich der Chicagoer Mike Meegan alias RXM Reality quasi natürlich und frei. Der notorische Freund und Kupferstecher von Terror-Breakbeat aller Art hat auf WEWEREFRIENDS (We Be Friends, 24. September) alles Krasse oder Krassistische wie alles unnötig Nervenzerrende, IDM-Komplizierte an Neo-Gabber, Neo Digital Hardcore, Jungle, Footwork und Juke vorübergehend behelfsweise eingefriedet in Tracks, die im Ansatz Popsongs, beinahe Trap-R’n’B sein wollen. Der Abgrund lauert hinter jeder rhythmischen Kante. Aber nein, der will nur spielen.

Treffen sich ein Gitarrist und ein Schlagzeuger der Glasgower Free-Jazz-/Free-Improv-Szene, was machen sie zusammen? Ambient, klar doch. In ordentlich verwaschener Lowest-Fi-Produktion und mit mächtig Hall auf den Instrumenten werden die schlanken Improv-Stücke von Cahill/Costello zu elektrisierendem Indie-Ambient mittelalter Schule (Chihei Hatakeyama, Belong) und machen Offworld (Gearbox Records, 10. September) zu einem überraschenden wie ungewöhnlichen Debüt, dass sich lässig zwischen die Zeiten stellt und auf angenehmste Weise die Wartezeit auf das neue Grouper-Album von Liz Harris verkürzt.

Trap und klassisch arabische Lyrik, erhabene melancholische Drones und hypermoderne Post-Club-Elektronik. Kein Problem, das passt zusammen, wie die von Kairo aus operierenden MSYLMA & ISMAEL zeigen. Sänger und Produzent operieren auf مذاهب النسيان / The Tenets of Forgetting (Éditions Appærent, 27. September) jederzeit am emotionalen Maximum von Melancholie. Es geht um Liebe und Endlichkeit, Wunden, die nicht heilen, Einsamkeit und Erfüllung, einfach die ganz großen, ganz fundamentalen Themen des Lebens. Nebenbei eine weitere tolle Entdeckung des exquisiten kanadischen Labels Éditions Appærent, die sich mit Singer-Songwriter-Ambient ein Genre erfunden und definiert haben, wie gemacht für das Motherboard. Danke dafür.

Nasturtium, neues Duo der in Los Angeles angesiedelten Laptop-Artistin Geneva Skeen mit dem Gitarristen Erin Dawson, haben trotz ihres harmlosen Namens (lateinische Bezeichnung für die Pflanzengattung der Brunnenkresse) mehr als nur eine Dosis toxischen Doom-Metal und Industrial-Dark-Ambient-Noise in ihren Wurzeln. Blechiges Gitarren-Dengeln, Field-Recording-Rauschen und feinsynthetische Drone-Strings finden auf Please Us (Room40, 17. September) in einen meist ruhigen, manchmal explosiven Flow von exquisiter Textur. Was genau passieren mag, bleibt immer offen, die Stücke sind bei aller Zurückhaltung und Diskretion doch sehr reichhaltig, selbst wenn nicht immer alle Einflüsse wirklich an die Oberfläche durchbrechen, selbst wenn sie gar nicht so düster und doomig sein müssten.

Ebenfalls erfreulich unvorhersehbar gelingt die Doom-Hochzeit der knuffigen Todesdüstermetaller und Drone-Noiserocker The Body and BIG|BRAVE. Die haben es auf dem feinsinnigen Leaving None But Small Birds (Thrill Jockey, 24. September) nicht nötig, noch brutaler, noch schwerer zu werden als gewohnt, sondern erfinden sich einfach den Outlaw-Folk der Appalachen und die synkretistischen Hymnen einer säkularen Backwater-Gemeinde nochmal selbst und führen diese in 100 Prozent handgespielte Loops und Drones aus, zu denen die imaginäre Folklore eskaliert.

Der niederländische Psychedelic- und Doom-Jazzer Jason Köhnen gibt sich in seinen meist breitwandig angelegten Projekten ebenfalls gerne als jemand, der same same but different lebt. Zuletzt mit Mansur auf den Spuren archaischer Soundwelten (Motherboard berichtete). Sein jüngstes Projekt The LOVECRAFT SEXTET geht nun geradewegs back to black mit orchestralem Pathos und neoklassischem Doom, aber nahe an Dark Ambient.

In Memoriam (Denovali, 24. September) kreist um die Themen Erinnerung, Tod und Auferstehung, der ganze gute schwarze Stoff. Das ist wie in allen Projekten Köhnens instrumental brillant performt und für die große Bühne, den großen Saal, das große Kino ausgelegt, auch wenn das Album entgegen der vom Projektnamen und der akustischen Ausformung her suggerierten Bandgröße vorwiegend eine Soloarbeit zu sein scheint. Als Bonus und thematische Abrundung gibt es noch eine halbstündige Kurzgeschichte von Köhnen als Hörbuch zum Album.

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