Die Arbeiten der Modularsynthesizer-Virtuosin Yumi Iwaki aus Tokio sind ähnlich schwer einzuordnen. Der erste Eindruck wirkt wie feinstofflicher Drone von subtilster Oberflächenwirkung und skrupulösester Produktion. Doch bei näherem Hinhören löst sich diese Textur in interessantes Deep Listening mit ungeahnt tiefenscharfen Details. Was sich von fern wie angenehm leerer Schönklang anfühlt, ist im Nahbereich immer noch angenehmster Schönklang, aber keinesfalls in Beliebigkeit von Bedeutung entleert, ganz im Gegenteil. Noch das kleinste Element hat hier Funktion und Sinn.

Die sonischen Gebinde, die der Iraner Arash Akbari auf Fragments of Yearning (Karlrecords, 17. September) knüpft, nutzen, ähnlich denen Iwakis, das feinste Garn, das der elektronischen Produktion zur Verfügung steht. Im Gegensatz zur analogen Vintage-Technik von Iwaki bedient sich Akbari digitaler Mittel, um bei extrem dichten und vor Details satten Sounds anzukommen. Eine tiefe, immersive Qualität ist beiden Arbeiten gemein.

Das ist ja mehr als erfreulich. Jörg Follert, der Wechsel, Garland und Wunder war – und ebensolche immer wieder produzierte, firmiert nach vielen Jahren sehr niedrigschwelliger Veröffentlichungen und Projekten für Theater, Film und Fernsehen nun als Mimsy wieder etwas sichtbarer. Und der alte Zauber ist auf Ormeology (Karaoke Kalk, 17. September) wirklich sofort und unvermittelt wieder da. Ganz einfache Electronica-Tracks auf der Basis geloopter Akustikgitarre, kleiner Synthesizer und minimaler Melodien, die hin und wieder von Stimmen kontrastiert zu quasi-Songs werden. Hier manifestiert sich der feine Unterschied zwischen Oldschool und Zeitlos einmal mehr im besten Sinne in Stücke, die eine fast sorglose Schönheit mit Widerhaken kultivieren. Erinnert sich eigentlich noch jemand an März?

Oder an den Briten Robin Rimbaud alias Scanner? Der wiederum produziert seit drei Dekaden kontinuierlich und in einigem Volumen einen Sound aus klassischem Ambient und mehr oder minder prozessierten Samples und Glitches aus zufällig abgehörten, absichtlich gescannten, mitgeschnittenen Übertragungen aller Art. Von Mobiltelefongesprächen zum verschlüsselten Noise der Datenleitungen. Das Tape Earthbound Transmission (Room40) besteht aus archivierten Scans und weist tatsächlich ein wenig nostalgisch darauf hin, wie ein Sound, der vielleicht einmal als radikal und experimentell wahrgenommen wurde, aber eigentlich von Beginn an eher auf Ruheeffekte und Ambient abzielte, heute wieder minimal-disruptiv in die Zeit passt.

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Apropos März, also das Duo, nicht der Monat, nicht der Verlag: Kann es sein, dass dieser nostalgisch wehmütige Sound aus digital verdichteter und aufpolierter Akustikgitarre in leichten Glitch-Loops, der weltweit so manchen Sommersonntagnachmittag der frühen Noughties akustisch versüßte, dass dieses anderswo Folktronica genannte Sentiment gerade ein kleines Comeback erlebt?

Etwa bei RVNG Intl., deren jüngster Neuzugang im erweiterten Labelportfolio, Rachika Nayar, ein ganz besonders fein plinkerndes Beispiel für die Renaissance der melancholisch umarmenden Akustik-Elektronik abgeliefert hat. Nayars Albumdebüt Fragments (Commend There/RVNG Intl.) bedient sich deutlich weniger dem Glitch-Idiom als noch ihr im März (sic!) erschienenes, viel zu kurzes Tape Our Hands Against The Dusk (NNA Tapes). Beide Releases stemmen sich in ihrer unaufdringlichen Freundlichkeit und Annehmlichkeit gegen den Zeitgeist der Aufmerksamkeitsökonomie. Selbstredend klingt es dabei ganz wundervoll.

Der New Yorker Ezekiel Honig sendet ebenfalls seit fast 20 Jahren ultimativ freundschaftlich freundliche Botschaften aus Field Recordings und akustischen Instrumenten mit sanftem Glitch auf noch sanfteren Slow-House-Beats in die Welt. Sein grob geschätzt etwa 15. Album Falling Close To Memory (Anticipate, 3. September) macht das ähnlich wie bisher, mit der entscheidenden Neuerung, dass die Tracks von den ultra-sanften Vocals des Iren Trevor De Nógla begleitet werden und so mehr denn je eine Art von zartschmelzendem, digitalen Folkpop definieren.

Kann es wirklich sein, dass Departing Like Rivers (Woe To The Septic Heart, 21. September) das erste richtige Soloalbum von Sam Shackleton darstellt? Eines, das weder ältere EPs einsammelt noch auf Kollaboration baut? Nun, angesichts Gentleman Shackletons sehr nah an Obsession vorbeischrammender Faszination für Kontamination und Kontakt, Vereinigung und Verunreinigung, Verschmelzung und Verwandtschaft, ist es vielleicht nur folgerichtig, dass ein echtes Soloalbum in den (Folge-?) Zeiten einer Pandemie entstehen musste.

Sein Sounddesign knüpft nahtlos an die Arbeiten der vergangenen Jahre an, unglaubliche Mengen an verwaschen-vermumpften Klöppel- und Scheppersounds, Glocken, Gongs, Gamelan-Percussion und raumzeitlich kaum fassbarer Bass, schwer mutierte Samples, Lyrik-Lyrics, Schamanengesänge und Pop in einem großen feuchtwarmen Waschmaschinen-Brutkasten zu endpsychedelischem Klopfambient verwirbelt. Immer eher an der schmutzigen Waschlauge interessiert als an der blitzweißen Wäsche, mit einer kindlichen Freude am Matschen und Patschen, macht Shackleton immer noch, immer wieder, und, wie wir nun wissen, auch problemlos solo auf Langstrecke eine der eigenartig-einzigartigsten Musiken, die die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts bislang hören ließen.

Jan Jelinek ist ein paar Jahre länger im Spiel und kann eine vergleichbar mäandernde Historie in Klang aufweisen. Seine jüngste Arbeit, ursprünglich eine Radioarbeit für den SWR, bezieht sich im Titel The Raw and the Cooked (Faitiche, 17. September) auf ein Buch des strukturalistischen Anthropologen Claude Levi-Strauss. Dieser hat anhand der Unterschiede von Rohem und Gekochtem die Besonderheit des animistischen „wilden Denkens” herausgearbeitet. Jelinek wendet dieses Prinzip unmittelbar auf das Verständnis von Samples und Sound an sich an. Wo fängt Bearbeitung an, wo hört sie auf? Was macht es mit dem ursprünglichen Inhalt des bearbeiteten Samples? Jelinek untersucht dies auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Versuchsanordnungen, die jeweils einen Track ergeben, anhand einer Aufzeichnung eines Künstlergesprächs. Vor allem interessiert er sich für die dabei entstandenen Nebengeräusche, die Zwischenräume von Pausen und Stille. Das ist mikroskopisch spannend wie makromedial aufschlussreich.

Auch der Italiener Luca Formentini hat sich nie an ein Genre, einen Stil oder ein Instrument gehalten, selbst wenn er rein musikalisch meist mit der tendenziell mittelgroßen und manchmal steifen Welt der elektroakustischen Komposition assoziiert wird. Für das Album Intra (Subcontinental Records, 7. September) führt das allerdings komplett in die Irre. Ambient in freier Form, Samples, Soundprocessing, Instrumente, Stimmen, akustische Gitarre, Synthesizer, alles drin, hin und wieder hört es sich sogar so an, als hätte er eine kleine Dosis März inkorporiert. Kein Wunder aber bei einem Album, in dem es um Übergänge, Metamorphosen und Aufbrüche ins Unbekannte geht, von einem Renaissance-Mensch gemacht, der noch andere Interessen (Umwelt, Philosophie) und Beschäftigungen (Wein) kennt.

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