Richard H. Kirk in den frühen 1980er Jahren (Foto: Richard Barnes)

Richard H. Kirk ist verstorben. Diese traurige Nachricht bestätigt sein Label Mute. Richard H. Kirk war Mitglied von Cabaret Voltaire und Sweet Exorcist und gilt als Wegbereiter von Industrial und Techno. Er war in einem ungewöhnlich breiten Spektrum von Musik tätig, seine Produktionen reichten von Noise-Experimenten zu Electro-Pop. Kirk produzierte unter einer nicht zu überblickenden Armee von Pseudonymen. Der Musiker aus Sheffield wurde 65 Jahre alt. 

Richard Harold Kirk wurde am 21. März 1956 in Sheffield in Nordengland geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist so gut wie nichts bekannt. 1973 gründete Kirk mit Stephen Mallinder und Chris Watson Cabaret Voltaire. Den Bandnamen lieh sich das Trio von einen Theater in Zürich, das am Ende des Ersten Weltkriegs ein Zentrum der Dada-Bewegung war. 

Zunächst wollten Cabaret Voltaire „Musik ohne Musikinstrumente” machen. Chris Watson arbeitete als Ingenieur in der Telefonie und experimentierte mit Oszillatoren und Tape-Loops. Kirk faszinierte die von Brian Eno getriebene, elektronische Seite von Roxy Music. Mallinder war ein vergleichsweise konventioneller Sänger und Bassist. 

Die ersten Aufnahmen von Cabaret Voltaire erschienen erst nachträglich. Einen Namen machte sich die Band zunächst als Live-Act, sie trat häufig als Vorgruppe von Joy Division auf. Bei ihrem ersten Konzert im Mai 1975 kam es zu einer Schlägerei zwischen Band und Publikum, bei einem anderen Auftritt wurde Mallinder so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus musste. 

Ab 1977 ebnete Punk der nihilistischen, konfrontativen Attitüde der Band den Weg. Im Western-Works-Gebäude an der Portobelle Street in Sheffield richteten sich die drei Musiker das Western-Works-Studio ein. Der Ort prägte eine nordenglische Musiker*innen-Generation: Clock DVA, The Human League und New Order nahmen dort auf. 

Mit „Nag Nag Nag” hatte die Band ihren ersten Hit, mit ihren ersten Alben Mix-Up und The Voice of America etablierten sie sich neben Throbbling Gristle als zentraler Act der Postpunk-Szene, der elektronische Ambitionen verfolgte. 

Richard H. Kirk auf einem Cabaret-Voltaire-Poster von 1984 (Foto: Archiv GROOVE)

1981 verließ Chris Watson die Band um bei der BBC als Toningenieur zu arbeiten. Das Duo begann Song-lastiger zur produzieren, der John-Robie-Remix von „Yashar” war das erste Cabaret-Voltaire-Stück, das in Discotheken lief. 

Ein 50.000-Pfund-Vorschuss des Labels Some Bizarre, das einen Vertriebsdeal mit Virgin hatte, ermöglichte der Band, das Western-Works-Studio auf ein neues Niveau zu heben. Ebenfalls entstanden aufwändig produzierte Musikvideos. EMI warb das Duo mit der Aussicht ab, mit Dub-Innovator Adrian Sherwood produzieren zu können.

Ab Mitte der achtziger Jahre entwickelte sich eine Spannung zwischen dem Pop-affinen Stephan Mallinder, der später in London lebte, und dem spröderen Richard H. Kirk, der in Sheffield die Stellung hielt. Ein letzter gemeinsamer Impuls war die Begeisterung der beiden für die in den USA entstehende House-Bewegung. Auf dem Album Groovy, Laidback and Nasty kollaborierten sie mit Ten City, Kim Mazelle und mit Chicago-House-Ikone Marshall Jefferson

Ein zweites Mal (Dance-)Music-Geschichte schrieb er mit Richard Barrett alias DJ Parrot. Als das Duo Sweet Exorcist produzierten sie die dritte, lilafarbene Warp-Maxi Testone. Gemeinsam mit Acts wie Forgemasters oder LFO erfanden sie den Bleep-Techno, der bis heute die Clubszene prägt.

1994 trennten sich Kirk und Mallinder. In den neunziger und nuller Jahren produzierte Kirk unter zahllosen Pseudonymen, häufig als Sandoz. Stephen Mallinder zog nach Perth und begann zu unterrichten. In den 2010ern belebte Kirk das Cabaret-Voltaire-Alias alleine wieder. Er trat 2014 auf dem Atonal in Berlin auf, 2016 beim Denkmantel in Amsterdam. 2020 erschien auf Mute das Cabaret-Voltaire-Album Shadow of Fear. 2021 folgten die EP Shadow of Funk und zwei weitere Alben – Dekadrone and BN9Drone.  

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