Erinnerung, allerdings eher fragmentarischer und taktiler Art, ist die Domäne der nicht weniger düster agierenden Saffronkeira + Siavash Amini. In einem Zusammenhang, der trotz der fehlenden Ausleuchtung recht klar als Dark Ambient identifiziert werden kann, üben sich der sardische Laptop-Produzent und der iranische Drone-Gitarrist auf The Faded Orbit (Denovali) in eleganter Zurückhaltung. Wenig Licht gibt eben mehr Dunkelheit her, so einfach und schön ist das.

Kompromisslos infernalische Doom-Elektronik ist die Domäne des Schweizer Labels Thrènes. Die seltenen und raren, aber immer exzellent kuratierten und gestalteten Veröffentlichungen setzen immer wieder Maßstäbe der schlechten Laune. Das Projekt Nigh/T\Mare gibt auf Katharsis (Thrènes, 10. September) die volle Breitseite an schwarzmodrig-disruptiven Industrial-Techno-Derivaten, Post-Club wortwörtlich genommen als das, was zuletzt kommt. Clubmusik von Trap zu R’n’B zu Techno im finalen Stadium der Verwesung, aber noch deutlich vor der Grabesstille. Hier passiert noch richtig viel. Körper und Geist(er) sind noch voll im faulenden Saft.

Am Ende der Stadien der Trauer, am Ende von Doom & Gloom können Genesung, Trost, oder Akzeptanz stehen, drei Möglichkeiten des Abschlusses, die der Reihe von Compilations des drei Jahre jungen Labels Vaagner aus Berlin ihren Namen geben. Die vorerst letzte Ausgabe der Reihe widmet sich mit dem Doppel-Tape Stages of Grief Vol.3 ‘Acceptance’ (VAKNAR/Vaagner) der inneren Einigung mit den Umständen, so dramatisch und traurig sie auch sein mögen. Von assoziierten Labelkünster*innen und Gleichgesinnten bespielt, bewegen sich die Stücke am leisen Ende der Stille, einer inneren und äußeren Ruhe, die gerade nicht die des Grabes ist.

Dass unter der nachtschwarzen Doom-Ambient-Schale ein Herz für synthetischstmögliche, primärfarbig grelldunkle Popmusik schlägt, dürfte dem einen oder der anderen wiederkehrenden Leser*in der Kolumne womöglich bereits aufgefallen sein. Daher gehört Zanias, die junge Dark-Wave-Ikone, genau hier hin. Was sie zeigt und sagt auf Unearthed (Fleisch, 6. September), ist jedenfalls ziemlich explizit und unmissverständlich das, was sie alles nicht ist (z.b. gebunden an Konvention).

Oder der leicht zickige Neo-Post-Wave Vanities (Melodic, 3. September) der Shootingstars W. H. Lung aus Manchester, die eventuell zu Recht vergessenen und zu Recht unvergessenen Achtziger-Breitbwand-Wavern und Indie-Dancerockern wie Killing Joke und New Model Army einen wieder guten Namen in moderner Produktion verleihen, die sich doch ganz gut alt anfühlt. Und in der ersten Single ist definitiv irgendwo ein angetauter Eisbär drin.

Das gilt natürlich erst recht für den (ehemaligen) Avatar-Pop von PC Music, zumindest solange sich der sich nicht in lahmen Provokationen gefällt. Solche sind mir von Caro❤ jedenfalls nicht bekannt, und ihr Debütalbum Heartbeats/Heartbreaks (PC Music, 3. September) (seltsame Idee so ein Album, in diesem Kontext) ist jedenfalls supernice, gut Lo-Fi und hyperkawaii. Und sehr oft erstaunlich und verständlich nah an Ambient und Electronica. Ebenfalls ein spannendes Konzept in diesem Kontext, das hier aber voll aufgeht.

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