Foto: Frank P. Eckert

Hymnen und Choräle, säkular wie spirituell, digital wie post-digital, die Persistenz des (queeren) Körpers in der Technologie, der Emotion im Artifiziellen hat das sensationelle Fountain der einzigartigen Lyra Pramuk wie kaum ein Album in den vergangenen Jahren in das Zentrum der Aufmerksamkeit stellen können. Das Remix/Version-Album Delta (Bedroom Community, 24. September) ist also zeitig und notwendig.

Zwischen früheren Kollaborateur*innen wie Colin Self, deren knapp siebenminütige Version des Hits „Witness” maximal durch die Decke geht, und den subtilen Flüsterambient-Variationen von KMRU geht eigentlich keine der Versionen fehl. Die mir sympathischsten Versionen sind allerdings die weniger offensichtlich auf Effekt hin montierten, wie etwa von Eris Drew oder Nailah Hunter. So viel Talent, Inspiration und Können auf so enger Raumzeit kriegt man nicht oft zu hören.

Außer vielleicht in der wahrhaft stellaren Kollaboration von Lyra Pramuk mit Caterina Barbieri, deren Single Knot Of Spirit (light-years) gleichzeitig das Debüt von Barbieris Label light-years markiert. Die digital prozessierte Stimmakrobatik Pramuks umspielt Barbieris analoge Synthesizer-Explorationen eher zurückhaltend und damit ziemlich perfekt. Doppelt durch die Decke geht es selbstverständlich ebenso.

In den Arbeiten der dänischen Querverbindungskünstlerin und Produzentin Astrid Sonne verknoten sich ebenfalls Unmengen von Ideen und Emotionen. Was vielleicht einmal auf sehr vereinfachende und homogenisierende Weise Sound Art genannt wurde, multipliziert sich auf Outside of Your Lifetime (Escho, 22. September) zerfasert in verschiedene Entwicklungsstränge, die doch alle eins sind.

Da sind die Klänge, sparsam orchestrierte elektronische Soundscapes zwischen Ambient und Electronica, die schon für sich genommen wunderbar offen und unvoreingenommen von Stilistik oder Bedeutung daherkommen. Da sind aber, nicht weniger interessant, die erkundbaren und (be)spielbaren virtuellen Räume. Spielbar, aber eben nicht als Game-Derivat, denn es gibt kein Puzzle zu lösen oder Aufgaben zu erfüllen, auch nicht (ab)spielbar als Film, sondern eben spielbar, die Landschaften und Räume sind einfach nur da – um zu faszinieren, zu sehen und staunen. Eine weltvergessen zarte, traumartige Textur, eine rauchleicht schwebende Konsistenz und Fühligkeit haben Musik wie Raum.

Eine weitere spannende Querverbindung reicht von Japan nach Düsseldorf und wieder zurück nach Japan, in die Natur- und traditionsgeprägte Kleinstadt Nara im Hinterland von Osaka. Miki Yui, in Tokio geborene rheinländische Pionierin einer minimalistischen Sound Art, die die Grenzen von synthetischem und natürlichem Klang aufzuheben und ineinander zu verschmelzen imstande ist, hat für das Tape-Label Muzan Editions, betrieben in Nara von einem deutschen und einem kanadischen Expat, das Label-typische Soundverständnis minimaler Elektronik ihrer quasi-natürlichen Klangkunst perfekt in Einklang gebracht. Die zweimal knapp 20 Minuten dauernden Improvisationen auf dem Modularsynthesizer Spring Spring (Muzan Editions) eröffnen einen flirrenden Klangraum, in dem die Natur, die Umgebung, die Umwelt, Frösche, Zikaden, Wind und Wetter beinahe körperlich greifbar aus dem Lautsprecher sirren.

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