Nicht selten ergeben sich Muster und Zusammenhänge erst im Nachhinein (die Eulen der Minerva und so). Dann wird aus Avantgarde Mainstream und umgekehrt. Bei der Kölner Synthesistin Stefanie Schrank fällt dagegen gerne alles in eins. Unter der Haut eine überhitzte Fabrik, ihr, nach Dekaden in Kölner Indiebands, ziemlich spätes Solodebüt, hat vor sechs Jahren schon den Weg gewiesen, wie sich mit krautig-motorischer, minimaler Synthesizerarbeit und extrem klugen und lebensweisen deutschen Texten großer Pop andeutete. Auf Forma (Staatsakt, 26. September) wird dieser noch einmal auf vergangene Zukunft wie zukünftige Vergangenheit einbeziehende (und hervorbringende) Weise weiter gesponnen, intensiviert. Das ist nicht nur in Andeutungen große Popmusik. Morgen sind wir wie neu.
Manchmal führen Sturheit und Starrsinn, die je aktuellen musikalischen Ideen und Wünsche in voller Konsequenz umzusetzen, letztlich doch zu solidem Erfolg. So war der Pfad, den die meist in Berlin lebende Kolumbianerin María Lucrecia Pérez López alias Lucrecia Dalt gegangen ist, nie gerade oder einfach. Er hat von Indie-Pop und Folktronica über düsteren Dub und Shoegaze zu elektroakustischer Sound Art geführt und ist jüngst (und vermutlich ebenso vorläufig wie bisher) in einer avanciert-experimentellen und überaus eigen- und einzigartigen Variante von Trip-Hop angekommen – einer Musik mit inzwischen erstaunlicher Reichweite, vor allem daran gemessen, dass ihre Lyrics in jüngerer Zeit wieder vorwiegend spanisch sind. Ihr aktuelles Album A Danger to Ourselves (RVNG Intl. 5. September) wurde, prominenter geht es kaum in diesem Genre, von David Sylvian koproduziert, der die Widerhaken und Abseitigkeiten von Dalts Stücken keineswegs begradigte, eher noch hervorhob. Aber vielleicht ist diese paradoxe Konsequenz ja genau das Geheimnis, das sie so zugänglich und allgemein verständlich macht.
Die Komplexität unserer Zeit in einer Person (inklusive einem permanenten verinnerlichten Neben-sich-Stehen), jeder Menge Kollaborationen und noch mehr Stilen und Ideen repräsentiert, das könnte Zubeyda Muzeyyen alias DJ Haram sein. Die seit mehr als einer Dekade aktive Producerin aus New Jersey, einst Teil des Kollektivs Discwoman und neben Moor Mother Hälfte des Collage Hip-Hop-Duos 700 Bliss, lässt auf ihrem späten Debütalbum Beside Myself (Hyperdub, 18. Juli) die schwierigen Fragen des Lebens in all ihrer Kniffligkeit stehen. Zwischen Nachtleben, Queerness, Religion und Herkunft, zwischen Individualität und Kollektiv wird eine Existenz verhandelt und in angemessen vielschichtige, wütende oder melancholische, introspektive oder euphorische Tracks umgesetzt. Klar, dass diese wiederum frei zwischen Stilen und Techniken wie Techno, Industrial, Footwork, Ghetto House, Hip-Hop, Noise und Elektroakustik springt, zwischen diesen vermittelt und auf einem konstant hohen Energieniveau in immenser Dichte immer wieder zu so etwas wie grimmigem Pop unter ihren ganz eigenen Bedingungen wird. Mit wiedererkennbarer Klangsignatur, wie etwa dem verzerrt scheppernden Percussion-Sound der Darbuka.
Zwanzig Jahre Bass Music, das kann einem wie eine sehr lange Zeit vorkommen, vor allem wenn Drum’n’Bass-Traditionalisten am Werk sind, die ihre Variation der ewig gleichen fünfeinhalb Breaks gnadenlos durch die Zeiten schleppen. Sie können aber auch verfliegen wie nichts, wie es etwa Tectonic, das Label des Bristoler Produzenten Pinch, vorlebt. Konsequenterweise schwelgt Tectonic Sound (Tectonic, 17. Juli), die Kompilation zum 20. Geburtstag nicht in eierschaukelnder Nostalgie, sondern versammelt neue Stücke assoziierter und neuer Produzent:innen mit Tracks, die ein offenes, interessiertes Verständnis von Breakbeats und Wobble zeigen; die von Abstraktion und Minimalismus informiert sind; die neben staubtrockenem Dubstep und Jungle auch experimentellen Ambient, glitchige Electronica, ungeraden Techno und Post-IDM in den Mix lassen. Es ist eben nicht die reine Lehre, kein Dogma-Bass und exakt dadurch besser als der Rest.
Wer in den Achtzigern oder Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts mit elektronischer Musik sozialisiert wurde, kam schwerlich um Dub herum und ebenso schwerlich wieder von ihm weg. Das gilt wohl auch FÜR die sozialmusikalische Gemeinschaftlichkeit namens The Notwist und deren japanisches Pendant The Tenniscoats. Wie der Name mehr als andeutet, kombiniert das aus ebendiesem Umfeld stammende The Alien Dub Orchestra kontemporäre deutsche Blasmusik mit der guten alten jamaikanischen Bass Music. Das von Bandleader Elijah Minnelli ungebändigt scheppernde Plays the Breadminster Songbook (Alien Transistor, 19. September) ist großer, ungemein sympathischer Spaß mit einem Hauch von Nostalgie für die Älteren unter uns.