Jede Jahreszeit ist die Zeit der Geister, aber der kommende Herbst vielleicht noch ein wenig mehr als alle anderen. Das Kwaidan oder Kaidan ist eine Sammlung volkstümlicher japanischer Geistergeschichten, die um die vorvorige Jahrhundertwende vom Wahljapaner Lafcadio Hearn in literarische Form gebracht wurde. Das Kwaidan wurde schon mehrfach verfilmt, vertont (unter anderem von Tōru Takemitsu, einem der renommiertesten klassischen Komponisten Japans) und als Vorlage für TV-Serien benutzt. Ganze Horrorgenres lassen sich auf Geschichten aus dem Kwaidan zurückführen, nicht zuletzt auch internationale Erfolge wie The Grudge oder Ring. Jeder neue Ansatz einer Beschäftigung mit dem Thema setzt sich also einerseits in eine lange Tradition, läuft andererseits aber auch Gefahr nichts Originelles mehr beizutragen. Letzteres passiert dem Kwaidan (Flau) von Teams + Noah + Repeat Pattern definitiv nicht. Das interessant zusammengewürfelte Trio aus der japanischen Neo-R&B Sängerin Noah, dem amerikanischen Hip-Hop-Beatschneider Repeat Pattern und dem Newcomer Teams (nicht zu verwechseln mit Yves Tumors altem Vaporwave-Alias) enthält sich jeder Zitate traditioneller japanischer Volksmusik oder Klassik. Ihre Tracks sind weder besonders düster, noch wollen sie mit disruptiven Sounds eine horrortypische Spannung erheischen. Das Übersinnliche des Kwaidan wirkt hier in einem stabil weltlichen, urbanen und vollelektronischen Hybridsound aus Ambient, Electronica, Bedroom-R&B, J-Pop und Trip-Hop. Einzig der ätherische Gesang Noahs lässt sich als direkte Übersetzung des Außerweltlichens lesen. Damit gibt das Album die bislang wohl subtilste Interpretation des Kwaidan ab. Ein grandioses Stück Ambient-Pop ist es noch dazu.
Video: Teams + Noah + Repeat Pattern – Miminashi
Die Gespenster die durch das Werk von Ekin Fil spuken sind sozialer und gesellschaftlicher Natur. Ihr achtes Album in fünf Jahren, Maps (The Helen Scarsdale Agency), vermittelt ähnlich wie alle Vorgänger ein tiefsitzendes Unbehagen mit dem Zustand der Welt, der Türkei, ihrer Stadt Istanbul, wie auch ihrer unmittelbaren persönlichen Umgebung. Eine Beklemmung deren Ausdruck nach innen zeigt. Wut und Angst werden nicht zu Aggression und Lautstärke sondern in sich gekehrte Melancholie und Stille. Die kargen Sounds und ihre endlos in Hall verspiegelte Stimme verlieren sich beinahe im ewigen immer präsenten Grundrauschen. Das ist weder das isolierte Glück des auf sich selbst zurückgeworfenen Einsiedlers noch die Resignation des allzu empfindlichen Künstlersubjekts. Es ist irgendetwas dazwischen und es hat mit Hoffnung zu tun.
Video: Leonie Pernet – African Melancholia
Eine Vorliebe für einsamkeitsliebende Popmusik zwischen Shoegaze und Postwave ist bei der jungen und Partyaktivistin, Schlagzeugerin, englisch, französisch und arabisch singenden Vokalistin Léonie Pernet aus Paris kaum zu überhören. Ebenso wenig wie ein wacher und engagierter politischer Geist, offen, queer-freundlich und (selbst)bewusst. Auf ihrem vollelektronischen Albumdebüt Crave (Infiné, VÖ 21. September) formuliert Pernet ihr Ringen mit dem gesellschaftlichen wie individuellen Status Quo in einem Sound der bei aktueller (Post-) Clubmusik der abstrakteren Art ebenso genau hingehört hat, wie bei den introvertierten Klängen der warmen Postwave-Spätgotik etwa von den Cocteau Twins oder Anna Palm, ein Sound der jüngst von britischen Bands wie Daughter oder Pixx wieder aufgegriffen wurde, aber auch den opulent cinematischen Sound dieser Zeit, der in den Neunzigern zu Trip-Hop gerann. Keine kleine Leistung damit so frisch und modern zu klingen wie Pernet. Camila Fuchs, mexikanisch-deutsches Duo aus London, vermeidet die Retro-Falle nicht weniger elegant. Ihr zweites Album Heart Pressed Between Stones (ATP Recordings) verbindet Shoegaze, Trip-Hop und experimentellen Pop zu einem elektronischen Indie-Bandsound, der für sich genommen nicht gerade originell ist, aber durch das ungewöhnlich offene, jedes Schema vermeidende Songwriting und die intensive, irgendwo zwischen den Avant-Pop Ikonen Björk, Jenny Hval und Circuit des Yeux changierende Stimme Camila de Labordes immens an Faszination gewinnt.