Die verzerrte Clubbar-Nebenraummusik des italienischen Newcomers Coeden wirkt da fast schon konventionell. Aber eben nur fast. Seine Debüt-EP They Are Eating All The Faeries (Prehistoric Silence) fährt die Koordinaten des Nicht-Genres voll ab, vom smoothen beinahe-R’n’B zum brutalen beinahe-Industrial, als großes Versprechen auf das was noch kommen könnte. Das unbeschreibliche Interwesen Angel Marcloid alias Fire-Toolz aus dem US-amerikanischen mittleren Westen baut schmutzbunte Märchenschlösser aus den Knochen von Vaporwave und Industrial. Garantiert frei von IDM-Rostschutzmitteln aber definitiv noch toxisch genug stattet das Tape Skinless X-1 (Hausu Mountain) die Ideen von Glitch und Collage mit einem verführerisch giftschillernden Glamour aus. Die Tape-EP Dissonance (Ferric:Flux, VÖ 21. September) des Briten Downtrend Shapes Renewal borgt sich den Glamour aus dem Mainstream der achtziger Jahre. Deren Schweinerockgitarrensoli und Casio-Beats ersaufen allerdings allesamt in seltsamen Modular-Bleeps oder spacigen Drones. Der Berliner Isländer astvaldur agiert auf der Mini-LP Correlation Attempts (FALK Records) näher an aktuellen Clubmusiken. Sein Beats fühlen sich zwar ganz schön alt an, nach IDM, Glitch und Leftfield der späten Neunziger, nach den Autechre von Chiastic Slide, haben aber definitiv von gegenwärtigen Dancefloor-Abstraktionen, etwavon Jlin, M.E.S.H. oder Errorsmith gelernt. Durch die überaus krasse Produktion, docken die Schredderbässe und verzerrten Beats dann auch an aktuelle meta-/post-aggressive Popmusik an, irgendwo zwischen EDM und Oneohtrix Point Never. Die Arabian Nights (-ous, VÖ 7. September) des Schweizers Marcel Gschwend alias Bit-Tuner sind mindesten ebenso unauflöslich in die avancierten Beats der Neunziger verstrickt. Das quasi-live eingespielte Tape überzeugt durch die clever eingeflochtenen urbanen Field Recordings, die Gschwend in Kairo aufgenommen hat.


Stream: TOXE – Honey Island

Einen Gang runterschalten, Licht reinlassen, Eleganz und Schönheit zulassen bedeutet nicht unbedingt auch weniger experimentell, überraschend und spielerisch zu agieren. Laurel Halo hat es vorgemacht. Seit ihrer ersten EP in 2010 agiert sie so frei und unvorhersehbar, wie es in der elektronischen Club-/Not-Club Musik nur zu selten passiert. Seit ihrem Umzug von Detroit nach Berlin vor einigen Jahren sind zu ihrer grenzüberschreitenden digitalen Ästhetik nun auch noch schroffer Humor, akustische Instrumente sowie explizite Verweise auf Jazz und alten R’n’B hinzugekommen, in einer Atmosphäre die insgesamt deutlich wärmer und entspannter wirkte als zuvor. Diese Entwicklung kulminiert auf Halos jüngstem Minialbum Raw Silk Uncut Wood (Latency) in Stücken, die beinahe schon als Ambient gehört werden wollen, wie etwa der Titeltrack, oder die milde melodramatische Streichercollage die so treffend mit „Nahbarkeit“ betitelt ist. Die tolle, viel zu kurze EP Blinks (PAN) der Schwedin TOXE zeigt ebenso exemplarisch wie das gehen kann. Ein einfaches, kristallklares Arrangement, kleine und leichte aber keineswegs unterkomplexe Beats und ein feines Gespür für Melodien, die angedeutet aber nie ausgebreitet werden. Das ist modern und gleichermaßen kompatibel mit der Kunst- wie der High Fashion-Welt, die beide TOXE bereits als Inspirationsquelle und Soundtrack entdeckt haben. Nadine Byrne ist ebenfalls aus Schweden. Mit ihrer Schwester Tanya fabriziert sie als Ectoplasm Girls abstrahierte Post-Industrial-Klänge nach der Art von Raime oder Vatican Shadow. Solo agiert sie noch zurückhaltender und subtiler. Ihr zweites Album Dreaming Remembering (iDEAL) besteht aus wenig mehr als einsamem Modularsynthesizer-Gebrumm und ihrer vielfach gespiegelten und bearbeiteten Stimme. Stimme meint in diesem Fall nicht Gesang, sondern tatsächlich Sprech- und Hauchstimme. In Kombination ergibt das kargen Aussenseiter-Pop, der doch erstaunlich zugänglich daherkommt und sich mit der besten Avantgarde der achtziger Jahre (Laurie Anderson) wie heute (Inga Copeland/Lolina) messen kann. Das Duo worriedaboutsatan aus Manchester ist auch so ein Kandidat für täuschende Genügsamkeit. Ihre jüngste Single Who Is A Hunter / Cloaking (worriedaboutsatan) ist ungewohnt technoid und tanzbar geworden, wächst aber wie fast alle ihre Tracks ganz langsam ins Zeitlose.

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