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Donaufestival 2024: Aliens im Dunkeln, vereint und doch für sich

Auch in diesem Jahr haben wir uns das Donaufestival aus der Nähe angeschaut. Maximilian Fritz war am zweiten Wochenende des Avantgarde-Zusammentreffens in Niederösterreich vor Ort und beobachtete unter anderem unbeholfene Baldachine, queere Mythologien, die über den Kolonialismus triumphierten, und Kraftwerk-Roboter mit zerschossener Hauptplatine.

Ankunft im arte Hotel Krems, das einen ganz eigenen Kunstbegriff pflegt. Auf seinen Fluren hängen impressionistische Bilder von Autos. Der Preis für das Gemälde eines Porsches findet sich in der linken unteren Ecke: 4600 Euro. Ob man die berappen will oder nicht: Kunst und Kultur durchdringen in der niederösterreichischen Kleinstadt den Alltag wie sonst kaum wo. Die Kunstmeile, die sich durch den ganzen Ort zieht, taugt dafür als Beleg, aber auch das Donaufestival, das der archivarischen Statik der Sammlungen an zwei Wochenenden im Frühling audiovisuelle Bewegung entgegensetzt.

War es am ersten Wochenende noch bitterkalt in der Weltkulturerberegion Wachau, scheint in der zweiten Festivalhälfte die Sonne. Das führt dazu, dass die Vorzüge des Standortes, etwa die Heurigen, noch besser zur Geltung kommen. Denn: Guter Wein macht auf einer sonnengefluteten Terrasse tatsächlich mehr Spaß als bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt.

Kenji Araki und sein magischer Baldachin (Foto: David Visnjic)
Kenji Araki und sein magischer Baldachin (Foto: David Visnjic)

In der rigide abgedunkelten Minoritenkirche merkt man von den Außenbedingungen nichts. Wie jedes Jahr lässt das Festival seine Besucher:innen hier allein mit der Musik. Erfahrungsgemäß funktionieren in der Kirche besonders Acts, die sich der ambienten Formensprache verschrieben haben und die Zeit für sich arbeiten lassen. Kenji Araki zählt nicht zwingend zu dieser Kategorie. Der in Wien ansässige Japaner dekonstruiert in seinen Songs Pop-Tropen. Das tut er auch nun, wobei sein Set aber durchaus zugänglich ausfällt. Über ihm schwebt ein Baldachin, hinter dem die Roadmovie-Ikonographie einer menschen- und autoleeren Landstraße seines aktuellen Albums Hope Chess läuft. Der Baldachin bewegt sich situativ und hängt unter der Kirchendecke wie eine unbeholfene Qualle. Auf der Leinwand hat sich ein kleines Reh auf die Straße getraut, während Araki seine Mischung aus grellem Pop, Nu Metal und Y2K-Erbgut zum Besten gibt. Das wirkt insbesondere bei Tracks wie „SUBSTR8”, die ihre Kraft aus der Repetition ziehen, sinnig, andere Nummern hingegen machen den Eindruck, als hätten sich das Linkin Park der Zweitausender und Yves Tumor zum Soundclash verabredet.

Joshua Serafin, am Anfang ihrer Performance „VOID” noch klar als Mensch identifizierbar... (Foto: David Visnjic)
Joshua Serafin, am Anfang ihrer Performance „VOID” noch klar als Mensch identifizierbar… (Foto: David Visnjic)

„Nobody’s free until everybody’s free”, lässt Joshua Serafin das Publikum am Ende ihrer Performance wissen. Performance im Performance-, nicht im Konzert-Sinne, wohlgemerkt. „VOID” heißt der Auftritt, der im Hauptkomplex des Donaufestivals neben dem Kremser Fußballstadion versucht, das Selbst im Rahmen einer „künftigen queeren Mythologie” zu entkolonialisieren. Dazu braucht es künstlichen Schlamm. So viel, dass im Publikum Plastiküberzüge der österreichischen Tageszeitung Der Standard verteilt werden. Serafin, die ihr Schlussplädoyer auf die kolonialen Strukturen in ihrem Geburtsland, den Philippinen, bezieht, suhlt sich splitterfasernackt in einem vantaschwarzen Moloch in der Mitte der Bühne. Dazu äußert sie Gurgel- und Schmatzgeräusche, die ans Okkulte bordern, während Calvin Carrier die Szenerie mit markerschütternden Gitarrenakkorden begleitet. Viel für den frühen Abend, aber eindrücklich, besonders aus der Nähe, die Serafin immer wieder herstellt.

... im fortgeschrittenen Stadium des Auftritts nicht mehr so recht (Foto: David Visnjic)
… im fortgeschrittenen Stadium des Auftritts nicht mehr so recht (Foto: David Visnjic)

Anschließend gibt’s eine Tür weiter wieder Musik, beziehungsweise: nicht nur. 33EMYBW sorgt für den Sound, Joey Holder für die Visuals. Das funktioniert in Tateinheit hervorragend, weil die Chinesin ihre aggressiven Stolperbeats mit menschelnden Chören versieht, denen Holder medizinisch-technologische Bilderwelten entgegensetzt. Das Resultat: Stimulierende Synergieeffekte ohne Reibungsverlust.

33EMYBW auf dem Donaufestival 2024 (Foto: David Visnjic)
33EMYBW auf dem Donaufestival 2024 (Foto: David Visnjic)

Das letzte Wort in dieser Nacht hat im Anschluss Evian Christ, der im Stadtsaal über dem Publikum thront wie der postironische Trance-Gott, der er nunmal ist. Mit voller Kraft strahlen die Scheinwerfer von der Bühne in die Großhirnrinden seiner Gefolgschaft und kochen diese weich, sodass es dem Briten leichtfällt, seinen quietschigen Stop-and-Go-Sound, unter anderem vom aktuellen Album Revanchist, durchzuziehen; genuin schöne Momente von kristalliner Klarheit wechseln sich mit aufgekratzten Passagen ab, in denen die Kickdrum in kritische BPM-Bereiche vordringt. Zu Tanzbewegungen kommt es dennoch nur vereinzelt, zu mesmerisiert wirkt die Crowd vor dem hünenhaften Engländer, der mit seinen ruckartigen Bewegungen anmutet wie ein Kraftwerk-Roboter mit zerschossener Hauptplatine.

Evian Christ thront über dem Publikum (Foto: David Visnjic)
Evian Christ thront über dem Publikum (Foto: David Visnjic)

Letztes Jahr noch veranstaltete das Donaufestival unter dem Motto „Beyond Human”, dieses Jahr trieb man das Faible fürs Transhumane auf die Spitze und rief die „Community of Aliens” aus. Dankbar, bei so vielen Acts, die fluide Identitäten und unkonventionelle, für manche gar unzugängliche Musik kombinieren. Die absoluten Alien-Vorreiter, zumindest, was die Musik betrifft, spielten schließlich am Samstag. Nachdem ZULI & Omar el Sadek ihre unstete, von Bass Music, rasanten Breaks und Passagen mit Leerlauf geprägte Performance „λ” darboten, luden Autechre in den Stadtsaal. Seit den Neunzigern produzieren Sean Booth und Rob Brown Musik, die abseits des Clubs zuhause ist und im Laufe der Zeit immer noch verworrener geriet. Allerdings nicht verworren genug für eine treue Fangemeinde, die das Duo, die Extrovertierten unter den Introvertierten, hingebungsvoll verehrt.

Das Publikum hat Lust auf Evian Christs Trance-Granaten (Foto: David Visnjic)
Das Publikum hat Lust auf Evian Christs Trance-Granaten (Foto: David Visnjic)

Vor dem Auftritt der beiden bereitet das Donaufestival über seine Social-Media-Kanäle die Besucher:innen darauf vor, was sie gleich erwartet: Dunkelheit, wie von Booth und Brown gewünscht. Bewegen solle man sich nur, wenn notwendig, wer etwa aufs Klo muss, leuchtet sich den Weg zur Tür bitteschön mit seinem Handy frei – allerdings nur und wirklich nur den Boden vor seinen Füßen: Autechre verbitten sich Audio- und Videomitschnitte ihres Auftritts, der reichlich abgegriffene Allgemeinplatz, von wegen nur die Musik solle zählen, er wird eindringlich beschworen. Mit Erfolg. Die Silhouetten der beiden sind von der ersten Reihe aus erkennbar, über ihnen hängt ein monolithisches Lautsprecher-Array im grauen Zwielicht – optimale Voraussetzungen für die kommenden 75 Minuten. Deren erstes Drittel gerät nicht nur optisch, sondern auch musikalisch unnahbar: Von Konventionen, auch denen experimenteller elektronischer Musik, ist nichts zu hören. Steriler, metallischer Klang, skelettartig wie das verweste Gerippe eines einst funktionalen Techno-Tracks, treibt einen merklichen Teil der Anwesenden zur Tür. Wer bleibt, wird belohnt. Autechre wechseln im weiteren Verlauf zwischen geraden Kickdrums und druckvollen Gebilden, die klingen wie Trap-Strukturen bar jeder Pop-Tauglichkeit, behalten ihren seltsam perfekten Produktionsstandard, der in der Nähe der Subwoofer besonders Spaß macht, durchweg bei. Das Publikum tanzt dazu im Halbdunkel hauptsächlich mit der Nackenmuskulatur, eine Rollstuhlfahrerin hüpft auf ihrem Hintern auf und ab. Aliens im Dunkeln, vereint und doch für sich.

Wurde im Pressefoto-Ordner tatsächlich unter Autechre geführt: Ein schwarzes Rechteck
Wurde im Pressefoto-Ordner tatsächlich unter Autechre geführt: Ein schwarzes Rechteck

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