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Album des Monats: April 2024

Neben dem Album des Monats haben wir im April weitere LPs und Compilations besprochen: Teil 1 der essenziellen Alben aus dem April findet ihr hier, Teil 2 hier, die Compilations hier.

André Bratten – Slay Tracks (Smalltown Supersound)

Das Wunderkind von einst macht sich wieder locker. Seit gut zehn Jahren veröffentlicht der norwegische Produzent André Bratten in regelmäßigen Abständen seine Platten, und genauso regelmäßig macht er darauf etwas anderes als vorher. Mal mit geringeren, mal mit größeren Abweichungen. Mit Slay Tracks hat er jetzt seine wohl gelösteste Platte seit seinem Debütalbum Be A Man You Ant herausgebracht. Wobei auch diese Einschätzung stark von der Perspektive abhängt.

Die Downtempo-Gothic-Variante

Am Anfang steht bei Bratten die landestypische Space-Disco-House-Spielart, wie sie etwa von Prins Thomas auf seinem Label Full Pupp zelebriert wird. Dort erscheint 2013 auch Be A Man You Ant, mit einem Cover, dessen abgründiges Bildmotiv gar nicht so recht zur nordischen Heiterkeit des kosmischen Sounds passen will. Dass es ihm in seiner Musik nicht bloß um Spaß geht, stellt Bratten denn auch gleich auf seinem zwei Jahre später veröffentlichten zweiten Album Gode klar, auf dem er keine Clubtracks bietet, sondern elektronische Musik in gemäßigtem Tempo, die man als eine Gothic-Variante von Downtempo bezeichnen könnte. Inspiriert von reduktionistisch arbeitenden Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Arvo Pärt oder Giacinto Scelsi einerseits und Kollegen wie Brian Eno, Autechre und Biosphere andererseits, gibt er sich als Produzent zu erkennen, der sehr genau weiß, wie er mit Tönen und Klängen unterschiedlichste Stimmungen hervorbringen kann.

„Musikalisch eher an Schnitzler als an den später teils suizidalen, teils mörderischen Metalheads orientiert, verarbeitet Bratten mit diesen Variationen über ein Motiv von Schnitzler zugleich ein Kapitel der buchstäblich finstersten Geschichte der Musik Norwegens.”

Von da aus erweitert er wahlweise seinen Clubansatz um Electro-Anleihen (Pax Americana, 2019) oder widmet mit Silvester ein komplettes Album einem kurzen Stück von DIY-Elektronikpionier Conrad Schnitzler, das dieser einem jungen Norweger, der ihn in den Achtzigern in Berlin aufsuchte, für dessen eigene Verwendung überließ: Silvester ist eine Art Remix-Album von Schnitzlers Silvester Anfang, mit dem nichts Geringeres als die Debüt-EP Deathcrush der Black-Metal-Band Mayhem eröffnet – der junge Mann war ihr Gründer Øystein Aarseth alias Euronymous.

Musikalisch eher an Schnitzler als an den später teils suizidalen, teils mörderischen Metalheads orientiert, verarbeitet Bratten mit diesen Variationen über ein Motiv von Schnitzler zugleich ein Kapitel der buchstäblich finstersten Geschichte der Musik Norwegens. Überhaupt scheint eine Nähe zum Geist der Grimmigkeit auch bei ihm vorhanden.

Bratten läuft mit all seinen Interessen und Talenten mitunter Gefahr, sich in Beliebigkeit zu verlieren. So geschehen auf Picture Music von 2022, das ein bisschen wie ein Sammelsurium von Skizzen in vielerlei Gestalt wirkt, auch Gitarrengezupfe mischt sich unter die von Ambient bis zu fragmentiertem Techno reichenden disparaten Nummern.

Return to form

Ob er sich auf Slay Tracks jetzt daher bewusst aufs Musikmachen ohne konzeptuellen Überbau beschränkt hat? Dass der Titel die erste EP der Indie-Rocker Pavement zitiert, geschenkt. Die Musik jedenfalls hat bei aller Freude am Ausprobieren etwas Sicheres, bei dem man den Eindruck bekommt, dass das Erkunden nicht rein aus Prinzip und Selbstdarstellungswillen geschieht, sondern dass die Tracks, und das sind sie diesmal auch wirklich, ihren Zweck in sich finden. Sie können zum Tanzen genutzt werden – oder eben auch nicht.

„Immer mit diesem Einschlag ins Wolkenverhangene.”

Gleich im ersten Titel „Res” sitzt der dubbig verstolperte Beat so selbstverständlich da wie ein, äh, eiszeitlicher Fjord, auch die begradigte Bassdrum in der zweiten Hälfte entwickelt sich daraus völlig zwangsläufig. Man registriert, dass sich Bratten gelegentlich auf verspielte IDM-Traditionen besinnt, doch meint man weniger Zitat zu hören als vielmehr einen Produzenten, der mit seinem unsauberen Sound ganz mit sich im Reinen ist. Slay Tracks könnte man als return to form bezeichnen, eine Rückkehr wohlgemerkt, bei der sich diese Form erneut verändert und verfeinert hat. Immer mit diesem Einschlag ins Wolkenverhangene. Auch das scheint einfach zu ihm zu gehören.

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