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April 2024: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Château Flight – La Folie Studio (Versatile)

Auf seinem neuen Album taucht das französische Duo Château Flight ein in eine Welt aus tiefem Hall und weiten Delays, verschrobenen Melodien und mysteriösen Samples. Tiefseetaucher in einem Ozean der Klänge sozusagen. Und durch die Fensterluke ihres auralen U-Boots lassen die beiden an ihren Erkundungen teilhaben.

20 Jahre sind vergangen seit ihrem letzten regulären Studioalbum, rechnet man den Filmsoundtrack Les Vampires von 2006 nicht mit, und immerhin auch sechs seit der letzten EP. Und diese Zeit hört man der Detailverliebtheit der neun Tracks der Platte an. Angesiedelt irgendwo zwischen House und Krautrock, zwischen ambienter Psychedelika und zum Tanz auffordernder Clubmusik wirkt jedes Stück wie ein opulentes Wimmelbild, auf dem es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Dabei machen sie, wie eingangs bereits erwähnt, exzessiven Gebrauch von allerhand obskuren bis okkulten Studioeffekten, sodass die Musik klingt wie ein drogengeschwängertes Meisterwerk der aus den Siebzigern, freilich versetzt ins Hier und Jetzt. 

Musik, die überall hingeht, doch nirgendwo ankommt und gerade daraus ihre nie enden wollende Faszination gewinnt. Und ja, auch von Fantasie-Sprachen wird Gebrauch gemacht. Tim Lorenz

Contours – Elevations (Music From Memory)

Cumbria ist eine Grafschaft im nordwestlichen England, etwa auf der Höhe von Newcastle und mit einer Küste zur Irischen See. Google spuckt nach Eingabe von Cumbria Bilder von sanften, aber auch kargen Hügeln, Seen und alten Gemäuern aus. Der mittlerweile in Manchester lebende Musiker Tom Burford stammt aus diesem offenbar wunderschönen Teil der britischen Inseln, der Titel Elevations wurde inspiriert von den Anhöhen, die Cumbria prägen. Häufig gehen solche Projekte, die sich im weitesten Sinne mit der klanglichen Umsetzung von Naturphänomenen oder Aspekten aus den Biografien der Künstler:innen beschäftigen, schief und enden in Kitsch und Gefühlsduselei.

Elevations kann nichts dergleichen vorgeworfen werden, das Album funktioniert vollkommen überzeugend auch ohne jedes Hintergrundwissen zu Burfords Background, seinen Kooperationen mit anderen Musiker:innen und dem verwendeten Equipment. Der Brite bringt Einflüsse aus Minimal Music, zeitgenössischer klassischer Musik, Jazz und Ambient zusammen und erschafft daraus eine ruhige, aber nie betuliche Elektronika-Variante, die gekonntes Programming genauso beinhaltet wie virtuoses Beherrschen von Instrumenten – ohne einen dieser Aspekte besonders hervorzuheben. Das Album ist durchgängig ein klingender Gegenpol zur grassierenden gesellschaftlichen Depression, aber auch zu jedem Posing, ohne dabei auch nur ansatzweise didaktisch oder gar andächtig sein zu wollen. In manchen Momenten lassen sich Verbindungslinien zu Aleksi Perälä und Jon Hassell erahnen, aber eher im Sinne von Hochachtung als von konkreter Beeinflussung. Mathias Schaffhäuser

Daniela La Luz – System Reset (Dimension Of Being Human)

Comeback, tudelidu! Daniela La Luz war ja bereits vor mehr als zehn Jahren unterwegs und aktiv zwischen Bayern und Berlin und der Welt. Mitten in Corona-Zeiten hat sie mit Dimension Of Being Human eine Art humanistisches Label gegründet, den Smasher „My House Is Your House” mit buttrigen Keys, Stampfe-Beat und Mal-So-Nebenbei-Vocals vorab veröffentlicht und nun kommt das neue Album nach alter Zeit.

Wir finden die Produzentin und DJ zum Spielen aufgelegt vor. „Eternity” wackelt mit acidhaltigen Basslines heran und puncht krass, während „Last Cigarette” wie eine Engtanzwolke schwooft. Überhaupt, die lebensbejahenden Titel: Auf die letzte Kippe folgen das halbgebrochene „Lemon Buttermilk”, die punky Meditation „Mother Earth“ und darauf der bereits erwähnte Hit „My House Is Your House”. Ein weiterer Knaller ist „Spiral” mit seinen bunten Keys und dynamisch gebrochenen Beats. Spoken-Word-Passagen etwa über die Liebe und weitere Beatless-Stücke ergeben ein Mosaik von einem als Album gedachten und gut gemachten House-Werk. Tudelidu! Christoph Braun

Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.

Mariana No Death Far Out Radio Systems (Something Happening Somewhere)

Das Leben auf der Erde wird, wie es aussieht, immer schwieriger. Und selbst in gemäßigten, friedlichen Zonen ist das Miteinander mitunter ziemlich stressig. Wenn man mal raus und „ganz weit weg” will, wo kann man am ehesten erwarten, seine Ruhe vor anderen zu finden? Der belgische Produzent Thomas Neyens gibt auf seinem zweiten Album als Far Out Radio Systems eine konsequente Antwort: im Marianengraben.

Dorthin zu reisen, mag sich etwas mühsam gestalten, und so macht Meyens das ersatzweise mit seiner Musik. Er nutzt dabei vorwiegend die Stilmittel von Post-Industrial, mit rumpeligen Beat-Konstruktionen, meistens instrumental und atmosphärisch weniger hart als introvertiert abweisend, doch nicht ohne Groove. Vereinzelt ließe sich dazu sogar tanzen. Das dient aber anscheinend bloß zur Lockerung, denn nach sechs Tracks zwischen vier und acht Minuten geht es endlich zum Ziel der Reise. Im Titeltrack taucht Meyens in tiefe Räume viskoser Ambient-Wasserschichten und erkundet dort postapokalyptische, kosmische Gelassenheit. Ob es die vollen 17 Minuten dafür benötigt hätte, darüber kann man streiten.

Jedenfalls hat der Rumpel-Acid von „Post Noise Future” direkt im Anschluss daran etwas Befreiendes. Der Beat, er wird wohl noch gebraucht. Tim Caspar Boehme

Four Tet – Three (Text) 

Scheinbar schien über die letzten Jahre kaum jemandem so konsequent die Sonne aus dem Allerwertesten wie Kieran Hebden – und das mag was heißen. Schließlich entwirft der Londoner schon seit den frühen Zweitausendern ein Wohlfühl-Album nach dem anderen im Stile von There Is Love In You, mixt parallel aber die grellsten und wildesten Stadion-Sets für die ganz großen Bühnen: Vom Coachella bis zum MELT, vom Primavera bis zum Madison Square Garden. Mit beidem kommt er stets davon. Die Gründe dafür kondensiert er auf dem nunmehr zwölften Album unter seinem Four-Tet-Alias mit traumtänzerischer Leichtigkeit zu einer Rundschau seines bisherigen Schaffens.

Denn Three könnte gut und gerne schon 20 Jahre alt sein, was wie Hohn klingt, aber keiner ist. Im Gegenteil: Diese reich bebilderte und doch schlank produzierte Dreiviertelstunde strotzt vor Ideen und Kniffen, wirkt auf der Oberfläche simpel sequenziert, birgt darunter aber einen Pool kunstvoll verwobener Referenzen auf die eigene Diskografie. Die reichen von der warm durchhauchten Folktronica auf Rounds (2003) über die euphorisierende Microhouse-Dramatik eines There Is Love In You (2010) bis zum retrofuturistischen Ambient Techno von Parallel (2020) und darüber hinaus. Gewissenlose Selbstimitation ist Hebden aber fremd. Wenn er Downtempo neben Trip-Hop im Rückspiegel anvisiert und die Aufbruchsstimmung der späten Neunziger beschwört, klingt das im Intro „Loved” oder dem blumig-seligen „Skater” mehr wie eine schöne Erinnerung, die es wert ist, bewahrt zu werden. 

Weiter geht dieses Album aber doch. Naheliegende Soundgewebe, an denen Four Tet stets mit Vorliebe herumdoktert, werden abermals verödet und Track für Track neu integriert. Analoge Synths stehen neben DAWs, schimmernde Produktionswerte veredeln in Sample gegossene Saiteninstrumente en masse. Wieder reichen die Einflüsse von DJ Shadow und Nightmares On Wax über Lonnie Liston Smith und frühe Sachen von David Holmes bis zu Plaid oder Tortoise – all das liegt also noch in den Knochen. In diesem Jahr vermutlich auch deshalb eine der gelungeneren Begleitmusiken, um die letzten Jahre endlich hinter sich zu lassen. Nils Schlechtriemen

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