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April 2024: Die einschlägigen Compilations

VA – 5 Years Of Danza Nativa (Danza Nativa)

Diese Compilation schleicht sich an, kommt geduckt und maskiert aus dem Nichts – der Name des genialen Openers von Anthony Linell passt, dieser „Ice Demon” könnte tatsächlich aus einer weißen Wüste kommen mit der heimtückischen Absicht, allen Tänzer:innen vorgaukeln zu wollen, ihm ginge es um experimentelle Electronica. Dabei interessiert ihn nur eines: die perfekte Partynacht! Die nächsten Tracks von Amandra, Echologist, Polygonia und Dino Sabatini führen diese Taktik in Variationen fort.

Nie geht es um das Ausreizen aller dynamischen Möglichkeiten, nie darum, den Ekstase-Peak innerhalb einer Tracklänge zu erreichen, sondern um die lange Sicht, das Hinauszögern und gleichzeitige Verlängern von Höhepunkt und Hochgefühl. Danza Nativa, das Label aus Buenos Aires, feiert mit dieser hervorragenden Compilation sein fünfjähriges Bestehen und gönnt sich zur Feier des Tages seinen ersten Vinyl-Release. Neben den Danza-Nativa-Macher:innen Alderaan, Forest On Stasys & Kyntral liefern noch Claudio PRC, Luigi Tozzi, Plants Army Revolver, Vanoni und Vera Logdanidi überwiegend spacig-dubbigen Techno mit viel psychedelischem Abdrift-Potenzial ohne Plattitüden, ohne Geschwindigkeitsrausch und fast durchgehend auch ohne Acid-, Detroit- oder Trance-Klischees.

Die 15 Tracks sind ein Glücksfall für jeden DJ mit Fingerspitzengefühl für Spannungsaufbau und Einfühlungsvermögen in die Stimmung der Raver:innen. Wo um Himmels willen geht’s zu dieser Party? Bitte Link mit Ort und Zeit an den Autoren! Mathias Schaffhäuser

Africamore – The Afro-Funk Side of Italy 1973-1978 (Four Flies)

Die italienischen Ausprägungen von Disco und früher elektronischer Musik in den Achtzigern sind hierzulande wohl bekannt und auch in puncto Reissues ziemlich umfassend aufgearbeitet worden. Doch eine Periode in den mittleren Siebzigern, die eigentlich dafür die Weichen stellte, ist immer noch relativ unbekannt. 1973 nämlich hatte David Mancuso im New Yorker Loft gerade den frühen Afro-Hit „Soul Makossa” von Manu Dibango groß gemacht, sodass sich dieser neue Groove weltweit verbreiten sollte und gerade in Italien viele Reproduktionen aufkeimten.

Die folgenden Jahre werden in dieser Compilation dementsprechend unter die Lupe genommen, eine Zeit, in der Disco noch nicht wirklich angekommen war und die italienische Synthese aus guter Laune, treibenden Rhythmen, World-Style-Perkussion und manchmal sogar elektronischen Instrumenten ein neues Format der Dance Music hervorbrachte. Die hier gewählten Beispiele reichen vom psychedelisch angehauchten Africa-Sound von Jean Paul & Angelique über den frühen Afrobeat-Banger „Kumbayero” von Albert Verrecchia bis hin zu frühen afrokosmischen Nummern wie Chrismas „Amore”. Auf „M.A.A.G.O.” von Prognosi Riservata toben sich frühe, an Acid-Synths erinnernde Töne aus, während die geraden Beats und perkussiven Breaks auf Beryl Cunninghams „Why O” einen Vorboten von Techno erahnen lassen.

Eine interessante Perspektive auf ein bislang unbeachtetes Kapitel also, während wichtige Grundsteine gelegt wurden für den einzigartigen Charakter der italienischen Szene und ihre Mixtur von afrikanischen Elementen, Disco-Funk und früher elektronischer Musik. Leopold Hutter

VA – Rødhåd Presents Crimson Rubeus (WSNWG)

Rødhåd ist ein geiler Typ. Und weil man die Dinge halt manchmal in aller Deutlichkeit sagen muss, schieß’ ich gleich nach: Er ist auch ein geiler DJ. Ich liebe seine Sets, seit ich ihm (vor vielen Jahren, zum Glück!) komplett druff während seines Sets eine Dystopian-Platte unter die Nase hielt – ich wollte das Ding signieren lassen, er hat sie einfach aufgelegt. Glaube ich, das heißt: Erinnerung ist eine schöne Sache!

Und weil schöne Dinge sich anziehen, komm ich also hier raus, bei einer Compilation auf seinem Label WSNWG. Wir hören: acht erinnerungsbelastete Ausführungen von Techno, die genau so funktionieren wie Rødhåds DJ-Sets, also: Energielevel von echten, alten 350-Watt-Glühbirnen, die ja so eine schöne Wärme ausstrahlen und auch immer wärmer werden mit der Zeit – genau das Gegenteil der kreißsaalkühlen LED-Teile also, die man uns heute unterjubeln will, um gleichbleibend für Verstrahlung zu sorgen. tl,dr: Hier also das Berghain-Closing für die Plattentasche. Anpeitschertechno, Parabelflugtechno, Arschwackeltechno, Hähschonwiedermontagtechno und also immer hohes Tempotempo, nie mühsam, ein Guss, viele Güsse. Klatsch, klatsch! Christoph Benkeser

VA – The Hidden Beauty Of Dutch House ’94-’98 (Anacalypto Records)

Auf dieser Compilation feiert Anacalypto Records den holländischen House der Neunziger. Denn neben Chicago und Detroit waren auch die Niederlande (und natürlich Belgien) durchaus stilprägend in dieser frühen Phase elektronischer Tanzmusik. Diese acht Tracks sind das Ergebnis einer landesweiten Suche nach vergessenen Aufnahmen jener Zeit. So nimmt es auch nicht wunder, dass die meisten Produzenten eher unbekannt sind (Max 404, bekannt von Releases auf Eevolute und Evolution Records, mag die Ausnahme sein), doch tut das der Qualität keinen Abbruch.

Die Compilation ist ein Füllhorn diverser Stile – und dieser Abwechslungsreichtum macht sie natürlich umso spannender. Seien es die Ambient-House-Vibes des Openers von besagtem Max 404, der treibende Orgel-House von Omega oder die angetrancete Psychedelik von Galaxy. Und das sind nur die ersten drei Stücke. Es folgt mehr Trance für die tiefste Nacht, Breakbeat-House verschiedener Couleur und pianoverliebter Ambient mit Beat zum Abschluss.

Eine Compilation voller Überraschungen, die zu erkunden verflucht Spaß macht. Tim Lorenz

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