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Monheim Triennale 2024: Balken in die Skulptur der eigenen Sperrigkeit schlagen

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Unter tosendem Beifall verlässt der amerikanische Trompeter Peter Evans mit schnellen Schritten die kleine, vollbesetzte Marienkapelle und atmet vor der Tür erst mal tief durch. Hinter ihm liegt eine halbstündige Tour de Force, während der er seine Trompete dank perfekter Zirkularatmung kein einziges Mal verstummten ließ: Obertöne, Eigenresonanzen in wahnwitziger Geschwindigkeit und in abenteuerlichen Skalen gespielt. Wer glaubte zu wissen, wie eine Trompete klingt, lernte bei der Monheim Triennale dazu.

Das Festival für zeitgenössische Avantgarde-Musik fand zwischen dem 4. und 6. Juli zum zweiten Mal in der beschaulichen 50.000-Seelen-Ortschaft Monheim am Rhein statt. Ein zwischen Köln und Düsseldorf liegendes Städtchen, das dank einer recht unternehmensfreundlichen Gewerbesteuerpolitik auf einem der Spitzenplätze der reichsten Gemeinden Deutschlands liegt. Außerdem weist Bürgermeister Daniel Zimmermann erfreulicherweise substantielle Teile dieses Geldvermögens der Kulturentwicklung zu. So kann man sich vom kostenlosen Musikunterricht für Kinder über den Bau einer Stadt-Philharmonie und einer Kunstsammlung im öffentlichen Raum bis hin zum eigenen Festival für Avantgarde-Musik die eine oder andere Mehrausgabe leisten.

Suchen nach der Ausnahme

Triennale-Intendant Reiner Michalke konnte 2020 ein internationales und paritätisch aufgestelltes Kuratorium beauftragen, sich auf die Suche nach Ausnahme-Künstler:innen zu machen, die weder eindeutig dem Jazz noch der elektronischen Musik zuzurechnen sind. Ursprünglich im dreijährigen Zyklus geplant, entstand aus dem erfolgreichen Versuch, das Festival auch während der Pandemie stattfinden zu lassen, die Idee eines Prequels. Dabei wurden die Künstler:innen eingeladen, in wechselnden Besetzungen oder alleine zu musizieren, bevor sie im Folgejahr ausschließlich ihre Solo-Sets performen werden.

Einer der diesjährigen Signature-Artists: Muqata’a (Foto: Niclas Weber)

Vor diesem Hintergrund versteht man die Bedingung der Kurator:innen, dass jeder eingeladene Künstler eine Vita als Solo-Artist vorweisen muss. Und das konnten die eingeladenen Signature-Artists in jedem Fall. Das Line-up reichte von Multiinstrumentalist:innen wie Oren Ambarchi, Shahzad Ismaily und Selendis S. A. Johnson über performative Grenzgänger:innen wie Heiner Goebbels, Yunuya Edi Kwon und Terre Thaemlitz bis hin zu Elektronik-Artists wie Muqata’a, Rojin Sharafi und Anushka Chkheidze. Dazu gesellten sich ausgezeichnete Instrumental-Acts und Sänger:innen wie Ganavya Doraiswamy, der eingangs erwähnte Trompeter Peter Evans und der Schlagzeuger Ludwig Wandinger.

Auf dem Rhein in den Flow

Weil zum Zeitpunkt der diesjährigen Triennale die Monheimer Stadt-Philharmonie noch nicht fertiggestellt war, wechselten die Aufführungen zwischen dem vor Anker liegenden Festivalschiff MS RheinFantasie und der nahen Marienkapelle in entspannter Taktung hin und her. Beide Orte warteten mit ausgezeichneter Beschallung auf – abgesehen von der Klimaanlage des Schiffs, die sich in sehr leisen Parts etwas störend in den Fokus drängte.

Kurzweilig waren die halbstündigen Konzert-Slots, was den Festivalnachmittagen einen sehr guten Flow verlieh. Alleine Terre Thaemlitz scherte aus diesem Raster aus (er wünscht sich ja in der Berichterstattung die Interpolation der Geschlechter) und entsagte sich als einzige dem gemeinsamen Zusammenspiel. Überhaupt tat Thaemlitz viel dafür, manchen Balken in die Skulptur der eigenen Sperrigkeit zu schlagen.

Terre Thaemlitz hat vor lauter Subbass das Oberteil verloren (Foto: Presse)

So feuerte er bei seinem als elektroakustischer Ambient angekündigtem Solo-Set auf vier CDJs eine über eine Stunde dauernde, unfassbar laute Montage aus subsonischem Bass-Ostinato und Bitcrush-Noises ab und demontierte darüber die Geleitworte des Festivals: „As a diverse festival, we respect the diversity and freedom of speech. This includes, in some cases, opinions that we do not share. Freedom of speech finds a limit where statements must be understood as anti-semitic, islamophobic, rassist or in any way inhumane”. Das wirkte anlasslos, doch sehr gewollt, denn tatsächlich passierte auf den Bühnen über die kompletten drei Tage, ein geradezu utopisch anmutendes kooperatives Zusammenspiel, das die Thaemlitz’sche Konzeptkritik im Ergebnis absurd wirken ließ.

Loops, Drahtseile, Raves

Vielleicht wäre sie besser dem Beispiel von Heiner Goebbels gefolgt, der sich mit seinen über 70 Jahren und präpariertem Flügel in drei improvisierte Begegnungen mit jungen Musiker:innen stürzte. Insbesondere das Zusammentreffen mit dem palästinensischen Loop-Artist Muqata’a war bemerkenswert. Wie sich hier die rohen, oft nur durch Modulation der Loop-Länge tonal verschiebenden Samples von Muqata’a mit der mechanischen Bearbeitung des Flügels durch Metallschalen, Drahtseilen und Schlägel von Goebbels zu einem cineastischen Soundtrack verbanden, war schlicht außerweltlich.

Steuert seinen Flügel in die Außerweltlichkeit: Heiner Goebbels (Foto: Niclas Weber)

Nicht minder inspiriert ging es auch zwischen Anushka Chkheidze und Rojin Sharafi zu, die mit einem übersichtlichen Besteck an Synthesizern, Grooveboxen und Laptops aus dem Stand ein mitreißend Orbital-eskes Rave-Set zauberten. Natürlich kam es bei so vielen Instrumental-Musiker:innen und Sänger:innen auch zu einer Vielzahl nicht-elektronischer Kooperationen, bei denen es besonders viel Freude machte, wenn sich in größeren Zusammenschlüssen die Einzelleistungen addierten. Etwa beim Jam von Anushka Chkheidze, Shazad Ismaily, Darius Jones, Yuniya Edi Kwon und Ludwig Wandinger. Alleine der Versuch der hervorragenden Sängerin Ganavya Doraiswamy, während des zeitgleichen EM-Spiels von Deutschland die projizierte Bolzerei zu begleiten, war zwar grundsympathisch gedacht, funktionierte aber nicht so richtig. Zumal am Ende auch das von ihr angestimmte traditionelle indische Kriegslied nichts am Ergebnis zu ändern vermochte.

Interessiert über 50

Letztendlich wird man durch das Herausstellen von Einzelkonzerten den Monheim-Mitspielenden ohnehin nicht gerecht. Man kann allerdings zusammenfassen, dass die Idee des Prequels über die gesamten drei Tage, durch immer neue Paarungen und knackig-kurze Spielzeiten im höchsten Maße unterhaltsam war. Das wusste am Ende auch das durchweg interessierte Publikum zu schätzen, wobei der Altersdurchschnitt hier deutlich im Bereich der Ü-50-Marke lag. Nicht Wenige werden wohl in ihrer Jugend Amon Düül, Can oder Roedelius live erlebt haben – entsprechend offen zeigte sich das Auditorium gegenüber sämtlichen Musikbeiträgen.

Interessiert war man auch am Rücken von Ludwig Wandinger (Foto: Niclas Weber)

Das Hauptfestival im kommenden Jahr, bei dem die Künstler:innen ihre Solo-Konzerte aufführen, wird zeigen, ob das Format mit seinen vielen aufregenden Jams nicht vielleicht sogar das musikalisch reizvollere ist. So oder so ist die Monheim Triennale (noch) ein echter Geheimtipp für Liebhaber:innen eklektizistischer Live-Musik.

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