Coming of Age und Coming Out in Südkalifornien, vom Dunkeltechno ins warme Abendlicht. Nate Archer, eine Hälfte der psychedelischen Experimentalelektroniker Rahdunes und von Slow-House-Geheimtipp Leisure Connection, hat einen neuen Soundtrack für den Indie-Film Wild Tigers I Have Known seines Bruders Cam Archer gemacht. Dieser nicht unheftige, 2006 auf Handycam gefilmte, kleine, queere Indie-Hit hat einen adäquaten Soudtrack verdient und Wild Tigers I Have Known: Original Soundtrack Recording (100% Silk, 3. Juni) liefert lässig, als immer zart zupackende Sundowner-Psychedelik zwischen balearischem House und lockerer Electronica.
Meine liebsten Brooklyner Freakoiden von Hausu Mountain sind gerade dabei, ihr Portfolio gehörig zu diversifizieren. Nach dem tollen Art-Pop von Erica Eso vergangenen Monat pendelt das Hibbel-O-Meter nun zurück zum kopfstarken Minimal-Drone von Andrew Bernstein. Der Saxofonist der Baltimorer Psych-Kraut-Rocker Horse Lords übt sich solo in strenger struktureller Askese. A Presentation (Hausu Mountain, 20. Mai) nutzt die kompositorischen Techniken der reinen Stimmung und mikrotonalen Intervalle. Für heutige Ohren, eine obertonreiche, temperierte Stimmung gewohnt, klingen die drei langformatigen Stücke immer ein wenig fremd, archaisch, jenseits des Üblichen.
In den fünf Jahren seit ihrem tollen, noch vornamenlos erschienen Debüt Doldreams hat die Dänin Sofie Birch eine hochinteressante wie ansprechende Klangsprache entwickelt, die aus der Nahperspektive von häuslichen und natürlichen Field Recordings und wenigen, sparsam gesetzten Synthesizersounds eine genuin eigene und neue Art von Sound Art als kargem Ambient generiert, die sofort wiedererkennbar ist. Offenbar obwohl sie keine Signature-Sounds verwendet und obwohl so viele andere im Genre Ähnliches tun. Vielleicht war es die doch sehr spezielle Aura einer positiv verstandenen Selbstgenügsamkeit, die ihre Stücke vorführten, der sie so besonders macht. Auf Holotropica (Intercourse, 27. Mai) wirkt Birch bei gleichbleibender Diskretion und persönlicher Zurückhaltung doch weniger introspektiv als üblich. Nicht zuletzt dank einiger Gäste und mehr Welt in Form von bislang bei Birch ungehörten Instrumenten wie dem Saxofon.
Ein Remixalbum von fast zwei Stunden Dauer zu nur einem einzigen Track, das ist gewagt. Aber das Original des Künstlers, Kurators und Produzenten Robert Takahashi Crouch aus Los Angeles lässt es absolut folgerichtig erscheinen. Das Original „A Ritual” auf Crouchs letztjährigem Album Jubilee durchläuft sämtliche sonischen Stadien von Euphorie, Trauer, Aggression und Akzeptanz über knapp 20 Minuten in einer Fülle und Dichte, die nur sehr wenige Drone-Ambient-Stücke je erreichen können. Die bearbeitenden Künstlerinnen auf Ritual Variations (Room40, 6. Mai) sind allerdings mit Bedacht ausgewählt, nehmen den überaus komplexen Kontext des Originals (Rassismus, Gewalt, Empowerment, queeres Begehren, Trauer und Heilung) mehr als ernst und fügen eher etwas hinzu, als etwas wegzunehmen, oft indem ein bestimmter Aspekt des Originals wie die manchmal leicht unbehaglich machenden Tieffrequenzen hervorgehoben und neu gedacht, neu gemacht wird.
Die ganzen ehemaligen Pop-Avantgarden, etwa im New York der Siebziger Meredith Monk oder Laurie Anderson oder im Tokio der Achtziger After Dinner, Tenko oder Phew, mit einer Prise Düsseldorf 1973 und Brüssel 1981 mit einer lässigen Geste wieder zu einem zweiten Leben zu erwecken, das keine muffig-retrofizierte Zombie-Existenz sein muss, sondern zu etwas Frischem und Jungen führt, zu neuem Leben – schon ein besonderes Projekt, das Marina Herlop aus Barcelona da vorantreibt. Auf ihrem Langformater Pripyat (PAN, 20. Mai) fühlen sich die flatterigen Stimmexperimente zwischen Piano-Glitch und Stolper-Beats sichtlich wohl. Weil sie ganz offensichtlich das Brechen früherer Konventionen als Piano-Singer-Songwriter, Kate Bush und Tori Amos bieten sich hier als offensichtlich herumflirrende Vorbilder an, genauso verstanden hat wie den bereits in sich vielfach gebrochenen und reflektierten neuen Mainstream des Hyperpop der 2020er. Das ist genial und reichlich.
Selten, ja, aber es gibt hin und wieder Impulse und Ideen, die über Kontinente und Sprachgrenzen hinweg unwissentlich kommunizieren, dann plötzlich in einem ganz anderen Zusammenhang auftauchen und eine Art umgekehrten, nicht unheimlichen oder irritierenden, sondern glückvollen Deja-Vu-Effekt erzeugen. Die Kompilation Spring Snow (Mirae Arts, 27. Mai) des enigmatischen kalifornischen Labels Mirae Arts ist so ein Fall. Ein konzeptuelles Album zum Thema Nostalgia, also Heimweh und Sehnsucht nach etwas unwiederbringlich Vergangenem, mit einer Zusammenstellung von Künstler*innen aus fast allen Kontinenten, wie sie Motherboard-affiner gerade kaum geht. Das reicht stilistisch von zartestmöglicher Sound Art – Li Yilei, Sawako – über avantgardistischen Vocal-New-Age – Lucy Liyou –, sanft rauschende Drones – Forest Management, Gonima – zu kathartischen Industrial-Noise Attacken – Jiyoung Wi, Gaël Segalen, Evicshen. Das vorgegebene Thema wird so im Sinne eines Verlangens nach etwas Vergangenem formuliert, das es so nie gegeben hat. Nach dem, was nach der verlorenen Zeit kommt.