Die vergangene Kolumne fragte sich, ob Dungeon Synth wohl wieder ein Ding wäre. Und die Groove-Redaktion fragte sich, was denn zum Geier Dungeon Synth ist. Nun, im Ursprung eine eher abseitige Variante von durch Industrial gezeichnetem Dark Ambient aus Modularsynthesizern mit deutlichem inhaltlichen Bezug auf Fantasy-Romane und Games, aber ebenso oft auf Black Metal und blutige, pagane, nordische Mythen. Die meisten dieser Konnotationen sind im Laufe der Zeit verloren gegangen, nicht zum Schaden der Musik, und was blieb, war ein halliger, reicher, dunkler Synthie-Sound, manchmal wie Dark Wave ohne Vocals und ohne Beats, manchmal eher wie Legowelt in ganz schlecht gelaunt. Und den gibt es dann eben auch von Projekten wie Thick Air, hinter dem sich der US-amerikanische Synthesizer- und Mehr-Verzauberer Matt LaJoie verbirgt, dessen Reichweite von psychedelischem Neo-Folk zu Lo-Fi-Elektronik mit archaischem Sounddesign reicht. Das Tape Pillars of Creation (Not Not Fun, 3. Juni) gibt einen sehr guten Überblick darüber, wie diese eigenwillige Überlagerung von Altem und Modernem funktioniert.

Im Hause der Helen Scarsdale, Sch(m)utzgöttin des Post-Industrial, riecht der Sound nach Lötfett, nach den Emanationen überhitzender Kondensatoren, korrodiertem Platinenkupfer und dem Ächzen obsoleter Stahlkonstruktionen am Ende ihrer Lebensdauer, dem schneidenden Wüstenwind ausgesetzt, allenfalls einmal pro Woche von einem schier endlosen Güterzug mit fossilen Energieträgern überrollt. Oder etwas komplett anderem. Die texturreichen Tape-Kompositionen von Howard Stelzer und Brendan Murray geben nämlich keinerlei Kontext vor, drängen keine vorbereiteten Assoziationen auf. In dieser Hinsicht ist Commit (The Helen Scarsdale Agency, 6. Mai) näher an elektroakustischer Komposition, näher an abstrakter Soundmalerei denn an konkret bretterndem Industrial oder erzählendem Dark Ambient. Die Stücke machen in jedem dieser Kontexte Sinn.

Verkehrte Welt? Der in der Vergangehnheit oft mehr als grimmig auftretenden Table-Top-Gitarren-Improvisateur Kevin Drumm macht auf 120121 (VAKNAR, 6. Mai) ganz leise, zurückgenommene, warme Drones. Durchwegs und vollständig ohne Noise, Feedback und definitiv mehr in der Nachbarschaft des Schönen als im voluminös Erhabenen. In der umfangreichen Diskografie Drumms vielleicht nicht einzigartig, aber in dieser konzentrierten Form tatsächlich ein kleines Novum.

Nochmal umgekehrt und auf dem Schwesterlabel der Kevin-Drumm-Veröffentlichung erscheinend, arbeitet sich die Cellistin Clarice Jensen aus der Neoklassik und Postrock-Anmutungen ihres Instruments heraus. Stattdessen gibt es auf den Drone Studies (Vaagner, 6. Mai) – kumulatives Reissue eines limitierten Tapes von 2019 mit einer neuen Variation ihres massiven Power-Noise-Stücks „Platonic Solids” – herausfordernd mikrotonale Harmonien und kopfstarke Strukturmusik – in Drone.

Clarice Jensens Cello ist zudem prominenter Gast auf dem Albumdebüt A Place To Begin (Whatever’s Clever, 20.Mai) des Brooklyner Musikers und Filmemachers Peter Coccoma, der Jensens Strings zusammen mit der Violine von Oliver Hill via Loops und Layering in einen Klangkontext setzt, der mehr mit warmestmöglichem Drone und Ambient zu tun hat als mit disruptivem Noise und doch ein durchaus voluminöses, wenn auch fernes Echo von cinematisch kondensiertem Pathos und psychedelisch verwaschener Katharsis enthält.

Ähnlich unverkrampft im grenzharmonischen Noise-Feedback langen Henry Birdsey & Max Eilbacher auf Bell Formations (Husky Pants, 29. April) zu. Und zwar ordentlich, also gekonnt unordentlich. Denn was mal Glocke, Bimmel, Gong, Klangschale oder Röhre war, ist gerade noch so als solches erkennbar. In komplexen Klangkaskaden verwirbelt und mittels Soundprocessing und Feedback zu körnigem, kalt krachendem, spätfrühlingshaftem Schneematsch verharscht, sind die vier langformatigen Tracks von beeindruckendem Minimalismus, im Konzept dafür maximal im Sound.

Ein ganzes langes Album mit reuelos schönbimmelndem Pflanzenenambient. Musik, mit der jede Topfpflanze besser wächst und jede Gartenfrucht besser schmeckt – das Ganze noch sorgfältig abgerundet mit starker Konzeptökologie und von multimedialer Installationskunst begleitet. Sollte hier irgendetwas klingeln, egal was, dann ist Music For Himitsu (Métron Records, 31. Mai) nicht nur Musik für eine leider längst vergangene Ausstellung des Kunstkollektivs Himitsu aus Osaka, sondern eben genau für dich! Genau für alle! Der japanische Produzent 7FO hat die klangliche Gestaltung der Installation beigesteuert, bei der zudem Künstler*innen aus den Bereichen Keramik, Gartenarchitektur und Fotografie beteiligt waren – und jede Menge Blumen. Allein schon vom Soundtrack her beurteilt ein ganz bezauberndes Event.

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