Eventuell ebenfalls ein Revival kündigt sich in den lässig groovenden Simple Sentences (Tigersushi Records, 13. Mai) der in Brüssel lebenden japanischen Saxofonistin Shoko Igarashi an. Die musikalischen Dekaden und Quellorte, mit denen Igarashi spielt, sind einerseits die Neunziger, eher die US-amerikanischen als die britischen allerdings, mit Trip-Hop, Acid Jazz und von Sopransax und Flöten getriebenem Deep-House, dann noch die belgischen Post-Wave-Achtziger, speziell Antena, aber noch mehr die japanischen Electro-Boogie- und J-Pop-Achtziger der hoppelnden wie ausgefeilten Funk- und Disco-Adaptionen aus den Zeiten der Bubble-Economy des kurzen, aber bis heute wirkmächtigen Booms, in dem in Japan tatsächlich die Zukunft lag. Oder besser: das Versprechen auf eine interessantere, buntere, abgefahrene Zukunft. Dieses Gefühl auf undumme, nicht anbiedernde Art wiederzubeleben, ist keine geringe Kunst. Insofern ist ihre neue musikalische Heimat mit Joakims Label Tigersushi exzellent gewählt.

Das Brooklyner Duo Bottler scheut ebenfalls weder Bling noch Volumen, wenn es darum geht, melancholischen Pop und shoegazende Electronica tanzbar zu machen und umgekehrt die Indie-Disco ins Wohnzimmer zu verpflanzen. Hot Chip haben so ähnlich angefangen vor vielen Jahren, ähnlich The Whitest Boy Alive oder die Kölner von Coma, um nur die naheliegenden Assoziationen zu nennen. Pat Butler und Phil Shore agieren allerdings etwas nerdiger als diese, vor allem was den Sound angeht. Der Modularsynthesizer muss immer als solcher zu hören sein, wie eben das absurd-tolle Bass-plus-Gitarre Komboinstrument, eine BilT Relevator Doubleneck, das sie auf dem Promofoto stolz präsentieren. Ihr Debütalbum Journey Work (InFiné, 6. Mai) wird so zu einer schön bunten Wundertüte aus freundlichen Popsongs im Yacht-Rock-Format – aber eben immer freundlich zu Tänzer*innen und Träumer*innen.

Früher oder später endet dann doch alles beim Bass. Besonders natürlich die grandioseste Zukunftsmusik seit der Erfindung der Gegenwart, wie sie vom kongenialen Duo DJ Haram & Moor Mother alias 700 Bliss kommt. Die dekonstruieren spielerisch wie experimentell mal locker alles, was gerade so in und außerhalb der Charts flimmert; von Hip Hop oder EDM-Pop bis zu Bedroom-R’n’B und globalisierten, panarabischen Klängen. Lockere fünf Jahre nach der ersten EP lässt das Albumdebüt der Producer*in und Rapper*in und Poet*in aus Philadelphia, Pennsylvania keine Fragen offen. Denn die beantwortet immer der Bass.

Matmos sind ja nicht weniger als notorische Entdecker und Exploratoren von alten und neuen Avantgarden, Bedenken- wie Brückenträger der abgefahrenen Außenseiter*innen der Vergangenheit und der Seltsammacher*innen der Zukunft. Speziell ist, dass sie dabei meistens noch so etwas Ähnliches wie Pop schaffen, jedenfalls etwas, das die Gegenwart und ihren Mainstream immer mit reflektiert. Auf Regards/Ukłony dla Bogusław Schaeffer (Thrill Jockey, 20. Mai) nehmen sich Drew Daniel und Martin Schmidt den Arbeiten des polnischen Outsider-Multikünstlers Bogusław Schaeffer an, dessen Skulpturen, Maschinen, Sounds und Begleitmaterialien zu Samples werden und diese wiederum zu typisch untypischen Matmos-Tracks. Also selbst wieder reichlich seltsam genial.

Geniale Seltsammacher*innen im reichlich genialistischen wie genialen Präsens sind die Eye Gymnastics aus dem litauischen Vilnius. Im Spirit von Performancekunst und Off-Off-Theater verfremden sie Yolo-Sprüche, Positive Psychologie, Lebenshilfe und Hyperpop zu melancholischem Spoken Word Ambient und Post-Club-Shoegaze. Das selbstverlegte Debüt Nothing Supernatural (Eye Gymnastics, im April erschienen) reflektiert die bessergestellten Woke-Millenial-Befindlichkeiten zwischen magischem Denken, Selbstoptimierung und Larmoyanz auf kluge Weise ohne jeglichen Zynismus, ohne edgy sein zu müssen. Lange nichts mehr gehört, das gleichzeitig so verspielt, frei und out there wie nah am Zeitgeist ist, ohne ihm hinterherzuhecheln. Vermutlich kein Zufall, dass eine derartige neue Avantgarde und systematisch unterbezahlte Bohème nicht aus einem der Zentren kommt, sondern vom Rand Europas.

Die Konfrontation und Synthese von Tradition und Avantgarde und Moderne bleibt steter Quell der Inspiration, selbst in Zeiten nach der Moderne, nach der Postmoderne und nach allem, was danach noch kam. Die Verbindung ritueller Pow-Wow-Gesänge mit digitaler Prozessierung, die Joe Rainey von den Red Lake Ojibwe auf Niineta (37d03d, 20. Mai) vorschlägt, ist in dieser Hinsicht tatsächlich ungewohnt und neu, weil es beide Seiten, spirituelle Tradition wie elektronische Moderne, auf gleiche Weise ernst nimmt und doch damit spielen kann. Die skandierten Chants sind zu Drones zersetzt und elektronisch rekonstruiert zu etwas Neuem, das das Alte respektiert – im Gegensatz etwa zu den einschlägigen Schamanen-Samples, die so vielen Hardtrance- oder New-Age-Ambient-Stücken als exotisch-spirituelle Verzierung dienen – und es doch weit hinter sich lässt.

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