Dieser Herbst gehört ziemlich eindeutig den Synthesizerklängen. Ob analog, modular, organisch, digital, schmutzig verzerrt, krautig vermumpft oder brillant strahlend – allen gemein ist, dass sie die reine Lehre der Klangsynthese vertreten, (fast) nichts beimischen, was nicht aus der Maschine kommt. Wobei schon die Berlin-Londoner Improv-Supergroup Twinkle3 das Reinheitsgebot nicht so bierernst nimmt. So fügt zum Beispiel Clive Bell mit der japanischen Bambusflöte Shakuhachi Texturen und Stimmlagen in den Mix, die dem regulären Pluckern der Analogmaschinen gänzlich fremd sind, den Gesamtsound jedoch perfekt abrunden. Minor Planets (Marionette, 18. September) ist in 15 Jahren Bandgeschichte erst das zweite reguläre Album des Trios, das neben Bell aus zwei weiteren gestandenen Improvisatoren zwischen Free Music und Elektroakustik, Richard Scott und Dave Ross, besteht. Die Geduld hat sich aber gelohnt. Minor Planet klingt wie nichts aus dem Synthesizer-Shop und wie nichts aus der akustischen Free-Improv-Szene. Hier ist die ausgeleierte Rede von der Klasse für sich ausnahmsweise einmal vollständig berechtigt.

Über den Niederländer Danny Wolfers alias Legowelt lässt sich problemlos ähnliches behaupten. Seine analogen Exkursionen und Explorationen schwächeln nach mehr als 20 Jahren Aktivität zwischen Techno, Ambient und abstraktem Elektronikschaffen keineswegs. Im Gegenteil, Unconditional Contours (OUS, 4. Oktober) wirkt frisch wie selten, was wohl damit zu hat, dass Wolfers im Vintage-Synthesizer-Himmel des Schweizer Museums für Elektronische Musik (SMEM) herumspielen durfte. Die Begeisterung über die Schätzchen, an denen er herumschrauben und -stöpseln durfte, ist unverkennbar.

Der Brite Marcin Pietruszewski betreibt in seinen The New Pulsar Generator Recordings Volume One (Fancyyyy, 4. Oktober) experimentelle Klangsynthese nicht am Vintage-Objekt, sondern, quasi akademisch forschend, entlang der theoretischen Grundlagen der Pulsar-Methode zur Erzeugung von Klängen aus Microsounds, die in einem wissenschaftlichen Artikel von Curtis Roads im Booklet näher ausgeführt ist. Die Idee, extrem kurze Pulse zu einem größeren hörbaren Ganzen zusammenzuführen, lässt sich mindestens bis zu Karlheinz Stockhausens und Herbert Eimerts Forschungen im Studio Akustische Kunst des WDR zurückverfolgen. Allerdings ist die Pulsar-Synthese rein digital, von Pietruszewski in der Open-Source-Programmiersprache SuperCollider 3 umgesetzt. Was bei Legowelt aus dem spielerischen Ausprobieren an der Maschine entsteht, ist bei Pietruszewski streng geplant. Faszinierend ist es mitunter ähnlich.

Der Multimediakünstler Iury Lech bleibt auf Ontonanology (Amorfik Artifacts) kopfstark und streng im Rahmen der Möglichkeiten minimaler Variation in rhythmisiertem Synth-Noise. Mal fast zu Industrial-Techno verdichtet, mal sparsam und weit, illuminieren diese vektoriell ausgreifenden Klänge die Räume, die sie besetzen, nur minimal.

7697 Miles ist die Distanz zwischen Hamburg und Santiago de Chile, in dem die beiden Protagonisten dieses Duos logieren. Das zweite Album des Synthesizer-Only-Duos, Iskay (Buh Records, 2. September), bleibt konsequent innerhalb der klanglichen Möglichkeiten der analogen modularen Technik, was die beiden nicht als Einschränkung interpretieren, sondern als Möglichkeit, den Pionierarbeiten, speziell der hiesigen Krautrocker wie Cluster, Harmonia oder frühen Kraftwerk, möglichst nahe zu kommen, ohne sie in ihrer Ästhetik zu kopieren oder explizit nachzubauen.

Die in Berlin lebende Italienerin Marta De Pascalis ist mindestens eine Generation jünger, aber in ihrer stringenten Verwendung des Synthesizers kein bisschen weniger konsequent als die älteren Vertreter*innen ihrer Zunft, die die Pioniertaten eventuell noch persönlich miterleben konnten. Vermutlich aus genau diesem Grund wirken die klassisch anmutenden Schleifen zwischen gleißendem Schönklang, zerrendem Noise und krautigem Wubbern auf Sonus Ruinae (Morphine Records, 7. September) wohl so frisch.

Und der britische Berliner Tyler Friedman, der sonst wohl eher für experimentellen Fringe-Techno bekannt sein dürfte, hat ebenfalls die Produktionssoftware gegen modulare Hardware getauscht. Sein knapp halbstündiges Stück Epiphytic (Kontra-Musik, 28. September) wuchert und windet sich pulsierend durch die Möglichkeiten und Grenzen der Hüllkurvenmodulation in einer reinen Stimmung. Also in einem Verhältnis der Töne zueinander, in dem die Obertöne einiger Tonleitern vom Gehör als besonders brillant und harmonisch wahrgenommen werden, andere dagegen als spitz und dissonant. Klingt also wie alte Synthesizer in Ultra-HD.

Die von Synthesizer pur dominierte Herbstkollektion des Labels Not Not Fun aus Los Angeles hat es ebenfalls gehörig in sich. Wenn sich etwa ein junger Russe als Coral Club auf Nowhere Island (Not Not Fun, 4. September) in die denkbar entferntesten Eilande imaginiert, in denen Vintage-Modularsynthesizer auf Tiki-Exotika treffen, dann macht das einfach sofort gute Laune. Weil der Kontrast zwischen den Realitäten in Moskaus musikalischem Untergrund und den hier skizzierten Tropenwelten einer besseren Vergangenheit (die es nie gab) so offensichtlich und hellsichtig ist, stellen diese Sounds das exakte Gegenteil von Eskapismus dar.

Die submarinen Synthesizerklänge auf Sydra (Not Not Fun, 4. September), produziert von Jared Carrigans unter seinem ältesten Alias V. Kristoff, sind ebenfalls leicht exotisch und nicht weniger außerweltlich. Der umtriebige Produzent aus Los Angeles macht als Scout Island postrockige Electronica, als Freak of Nature eher Technoides und betreibt mit Dravier zusammen das Tape-Label Jungle Gym. Gemein ist seinen Projekten die extreme Soundqualität, die mit Lo-Fi nur unzureichend beschrieben ist. Was an Rauschen und mumpfig verwischtem Sound ansonsten eventuell als Mangel oder Defizit empfunden werden könnte, hat hier System und macht die Stücke interessant.

Keine der bis hier vorgestellten Synthesizer-Arbeiten ist durchschnittlich oder langweilig, ganz im Gegenteil. Eine Arbeit ragt aber dennoch heraus: die Pilgrimage (Not Not Fun, 4. September) des Lo-Fi-Synth-Wizard und Rasputin-Lookalike Vladimir Karpov aus Russland, der sich Xram Yedinennogo Razmuwlenuja oder kurz X.Y.R. nennt. Zweimal 20 Minuten subtilst mäandernder, detailintensiv texturierter Wohlklang in mitternächtlich traumschöner Atmosphäre.

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