Nation of Gondwana (Foto: Spiritzone)

Existenzängste, Solidarität und Raum für Kreativität – wir haben mit Ellen Allien, Robag Wruhme, Marlon Hoffstadt, Meggy und Nation-of-Gondwana-Gründer Markus Ossevorth darüber gesprochen, was die Corona-Pandemie für unsere Szene bedeutet.

Noch vor einer Woche hätte sich in Deutschland wohl noch kaum jemand vorstellen können, dass das Coronavirus sich so allumfassend auf den Alltag der Menschen auswirken würde. Mittlerweile sind über 6000 Menschen in Deutschland infiziert, 17 Menschen sind im Zusammenhang mit einer COVID19-Infektion gestorben. Deutschlandweit bleiben Schulen und Kitas geschlossen, die Grenzkontrollen wurden verschärft, Einreiseverbote eingeführt und von Auslandsreisen abgeraten.

Bayern hat bereits den Katastrophenfall ausgerufen, und auch in Berlin kommt das öffentliche Leben immer mehr zum Erliegen. Die meisten Clubs, Kneipen und Restaurants wurden statt wie geplant am Dienstag bereits am vergangenen Samstag geschlossen – teilweise durch Polizeibeamte, die noch in der Nacht vor Ort die Schließung veranlassten. Auch wenn alle wirtschaftlichen Branchen kurz- oder langfristig unter der Krise leiden werden, bekommt doch vor allem der Kultur- und Veranstaltungssektor die Folge bereits jetzt mit großer Härte zu spüren. Wir haben uns in der Szene umgehört, um die Auswirkungen, die die Pandemie für Veranstalter*innen, Club- und Barbesitzer*innen, Festivalbetreiber*innen und Künstler*innen haben wird, besser einschätzen zu können und herauszufinden, wie die Akteur*innen unserer Szene mit der Krise umgehen.

Existenzbedrohung und kreatives Potenzial

„Ich habe die Absagen meiner Gigs nicht gezählt”, sagt Ellen Allien. „Ich hatte gerade drei Wochen Urlaub und mich schon riesig auf die Gigs gefreut und mich vorbereitet. Aber es geht ja allen so, nicht nur den DJs. Die Veranstalter*innen werden Geld verlieren, das ist viel schlimmer – ich werde es überleben.” Neben der Sorge um Clubs und Veranstalter*innen fühlt die Berliner DJ, Produzentin und BPitch-Chefin vor allem mit DJs mit, die kleine Gagen haben oder nicht so oft spielen. Dass es immer ein Risiko ist, sich allein auf den künstlerischen Beruf zu verlassen, weiß Ellen Allien aus eigener Erfahrungen – sie selbst habe lange neben dem DJing noch einen normalen Job gehabt, um ihre Existenz zu sichern.

„Das werden auf jeden Fall ein paar harte Monate. Andererseits kann ich mir, wenn es hart auf hart kommt, auch immer noch einen normalen Job suchen.” 

Meggy

„Die Situation ist auf jeden Fall existenziell”, bestätigt auch die Berliner DJ und Produzentin Meggy. Sie spielt für gewöhnlich drei bis vier Gigs pro Monat, tourt auch international, nutzt das DJing aber vor allem auch, um ihr Studium zu finanzieren. Gerade erst ist sie selbst aus der vorsorglichen Quarantäne entlassen worden, weil es in ihrem Umfeld einige positive Corona-Fälle gab. Auch wenn sie sich durch ihr Studium gerade ein zweites berufliches Standbein aufbaut, ist sich Meggy sicher: „Das werden auf jeden Fall ein paar harte Monate. Andererseits kann ich mir, wenn es hart auf hart kommt, auch immer noch einen normalen Job suchen.”

Bei allen Zukunftsängsten komme es darauf an, die eigene Situation realistisch zu beurteilen, findet auch Marlon Hoffstadt. „Ich bin ein weißer Mann, der in Deutschland lebt. Ich möchte keine Spenden haben”, sagt der Renate-Resident, der neben seiner Arbeit als DJ und Produzent auch als Booker, Veranstalter und PR-Agent aktiv ist und nebenbei studiert. Am vergangenen Freitag erst hat er sein Album Planet Love veröffentlicht. Einerseits sei der Zeitpunkt natürlich unglücklich, da alle Gigs, die für gewöhnlich auf eine Veröffentlichung folgen, nun auf Eis liegen. Andererseits bringe ihm das Release jetzt immerhin Verkaufseinnahmen. „Momentan ist meine Haupteinnahmequelle der Verkauf meiner Musik, das ist schon sehr ironisch”, sagt er lachend. 

Marlon zieht aus dem plötzlichen Stillstand auch etwas Positives: „So schlimm das natürlich alles generell ist: Für mich persönlich ist es die ultimative Entschleunigung, die ich gerade dringend brauche – und die Szene auch.” Das ewige „Höher-Schneller-Weiter” mit all den internationalen Flügen sei sowieso kein Dauerzustand. Stattdessen sei es jetzt vielleicht an der Zeit, wieder etwas lokaler zu denken. Für die Zeit nach der Krise denke er gerade aktiv darüber nach, wie man nachhaltiger Touren könne und welche Gigs man dann auch einfach mal lassen könne. Marlon ist sich sicher: „Ich glaube nicht, dass wir schnell in den Normalzustand zurückkehren werden.”

Wenn die Leute nicht in den Club kommen, kommt der Club zu den Leuten

Stattdessen sei es jetzt an der Zeit für kreative Lösungen. Marlon Hoffstadt und das Renate-Team haben mit einer solchen am Wochenende schon mal einen Anfang gemacht: ein Livestream aus dem Club. „Die Idee war: Wenn die Leute nicht in den Club kommen können, bringen wir den Club eben zu den Leuten.” Eine schöne Idee, deren Praktikabilität jedoch auch von den weiteren Entwicklungen abhängt – schließlich müssen auch für einen Stream Menschen vor Ort sein und sind einem möglichen Ansteckungsrisiko ausgesetzt.

Auch die Clubcommission Berlin startet in Zusammenarbeit mit ARTE concert neben einer weltweite Crowdfunding Kampagne die Streamingplattform unitedwestream.berlin, um auf die Spendensammlung aufmerksam zu machen. Ab Mittwochabend wird täglich von 19 bis 0 Uhr ein Video-Stream aus einem Berliner Club übertragen. Den Auftakt der Übertragung macht schon heute Abend das Gretchen mit einem radioeins-Facebook-Videostream ab 18 Uhr. 

Ich glaube leider, die Kulturszene und gerade die Clubkultur müssen sich da hinten anstellen. Kultur ist wichtig, weil sie Gesellschaft formt. Aber natürlich ist es eine Sache, die nicht zwingend notwendig zum Überleben ist.”

Marlon Hoffstadt

Zudem sind staatliche Rettungsmaßnahmen geplant. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte der „schwer gebeutelten Kulturlandschaft” Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen zu. Eine Online-Petition setzt sich zudem dafür ein, dass sich diese Finanzhilfen nicht nur auf Unternehmen und deren Angestellte konzentrieren, sondern auch die prekärere Lage von Freiberufler*innen und Künstler*innen berücksichtigen. Der Verband der Musikspielstätten Livekomm benannte sinnvolle Maßnahmen in einem Forderungskatalog und gab Handlungsempfehlungen für Veranstalter zur Abwehr der Club-Insolvenz

Staatliche Rettungsmaßnahmen mit Tücken

Von den geplanten staatlichen Rettungspaketen erhofft sich Marlon Hoffstadt derzeit jedoch nicht allzu viel. Der Berliner Lärmschutzfonds mit seinen hohen Auflagen habe gezeigt, dass es zum Teil hohe Hürden für Clubs gibt, staatliche Rettung zu beantragen, und dass das Geld oft nicht schnell genug bei den Clubs ankommt. „Ich bezweifle, dass der Staat rechtzeitig agieren wird. Die sind einfach zu langsam und auch mit akuteren Dingen beschäftigt. Ich glaube leider, die Kulturszene und gerade die Clubkultur müssen sich da hinten anstellen. Kultur ist wichtig, weil sie Gesellschaft formt. Aber natürlich ist es eine Sache, die nicht zwingend notwendig zum Überleben ist.”

„Man sitzt da in einem Boot. Wenn wir so eine Mentalität an den Tag legen, sind wir ganz schnell an einem Punkt, an dem wir uns noch mehr aufreiben”,

Robag Wruhme

Runner*innen, Türsteher*innen, Barleute – neben der künstlerischen und veranstalterischen Seite sind auch viele angrenzende Branche betroffen. „Solidarität” ist daher ein Wort, das in allen Gesprächen fällt. Deshalb sei es Marlon auch besonders wichtig, dass er als Künstler nicht auf seine Gage bestehe, gleichzeitig der Club diese aber auch nicht von Künstler*innen zurückfordere, die existenziell darauf angewiesen seien. „Wir sind ja keine Unmenschen. Jede*r so, wie er*sie kann.” Theoretisch gäbe es Klauseln in Verträgen, die regeln, ob Veranstalter*innen eine Gage trotz Ausfall zahlen müssen. Gerade im Falle von höherer Gewalt sei dies jedoch oft schwierig zu bewerten.

„Man sitzt da in einem Boot. Wenn wir so eine Mentalität an den Tag legen, sind wir ganz schnell an einem Punkt, an dem wir uns noch mehr aufreiben”, findet auch Robag Wruhme. Den DJ und Produzenten aus Weimar trifft die Krise gerade auch persönlich ganz besonders, da er mit seiner Familie in Ecuador überwintert habe und er nun durch den überraschenden Einreisestopp nicht mehr aus Deutschland dorthin zurück fliegen könne. Zudem wurde seine geplante USA-Tour abgesagt. Er fühle sich ohnmächtig der Situation gegenüber, da man einfach nicht absehen könne, wie die Auswirkungen in ein paar Monaten tatsächlich seien.

„Wir müssen jetzt zusammenhalten, fleißig Ideen sammeln und versuchen, dass nicht die Kreativität darunter leidet”

Ellen Allien

Positives beobachtet Robag Wruhme allerdings schon jetzt: „Ich kriege Remix-Anfragen ohne Ende! Ich bin mir sicher, dass wenn diese Sache dann hoffentlich bald vorbei ist, es einen Release-Stau geben wird, weil jetzt alle zu Hause sitzen und Musik machen können.” Auch Ellen Allien freut sich in gewisser Weise darauf, jetzt wieder mehr Musik zu machen und Dinge vorzubereiten, die im Alltagsgeschäft oft untergehen. „Wir müssen jetzt zusammenhalten, fleißig Ideen sammeln und versuchen, dass nicht die Kreativität darunter leidet”, sagt sie. 

Risikofaktor Festivalsaison

Doch auch Robag Wruhme schätzt die Lage natürlich realistisch ein: „Die Zeiten sind vorbei, in denen man durch ein Release einen schönen warmen Geldregen von der GEMA und dem Label bekommen hat. Die Haupteinnahmequelle ist das Touren.” Zudem sei der Zeitpunkt der Krise ein großes Problem: Im März werden am Ende des ersten Quartals für Selbstständige die Vorauszahlungen der Einkommenssteuer an das Finanzamt fällig. Wie die Finanzämter auf die aktuelle Situation reagieren, sei momentan noch unklar. Außerdem stehe die Festivalsaison bevor – für DJs oft die Zeit im Jahr, in der sie einen Großteil ihres Jahreseinkommens generieren können.

Wie hart diese Unsicherheit Festivalmacher*innen selbst trifft, hat Markus Ossevorth am Wochenende bereits erfahren. Er ist Gründungsmitglied der Nation of Gondwana und betreibt mit seinem Kollegen André Janizewski vier Bars in Berlin, mit denen sie das Festival in der Nähe der Hauptstadt jedes Jahr querfinanzieren. Auch diese seien am Wochenende von der Polizei geschlossen worden. „Unsere höchste Priorität ist, dass unsere Mitarbeiter*innen nicht im Regen stehen und versorgt sind”, sagt Ossevorth. 45 Beschäftigte habe das Unternehmen insgesamt, über die staatlichen Kurzarbeiterregelung sei es immerhin möglich, die Angestellten weiterhin zu bezahlen. Bei Selbstständigen greift diese Regelung jedoch nicht. 

„Vor elf Jahren hat man mit all unserem Geld die Banken und die Reichen gerettet. Das Resultat ist ein marodes Gesundheitssystem, was uns jetzt vor die Füße fällt. Vielleicht ist es an der Zeit, sich das Geld von den Reichen zurückzuholen.”

Markus Ossevorth, Nation of Gondwana

Darauf machte auch die Liveinitiative NRW in einem Schreiben an die Landesregierung aufmerksam. Sie forderte, auch für die kleinen und mittleren Betriebe der Veranstaltungsbranche spezifische Hilfsprogramme zu entwickeln und ihren Fortbestand zu sichern, da diese ihrer Ansicht nach von den derzeit vorgesehenen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Erstattungsansprüchen nach dem Infektionsschutzgesetz oder Kreditvergaben zur Liquiditätssicherung nicht ausreichend berücksichtigt würden. Schnell umsetzbare Hilfsinstrumente wären daher die unbürokratische, flexible und kurzfristige Übernahme von Personal- und Mietkosten, die Stundung von Steuervorauszahlungen und Krankenkassenbeiträgen sowie die Übernahme von Ausfallbürgschaften ohne Stellung von Sicherheiten.

Auch Markus Ossevorth sagt: „Ich hoffe, dass dieses Land nicht nur Großkonzerne rettet, sondern sich auch im Klaren ist, dass es vor allen Dingen der Mittelstand ist, der dieses Land hält – vor allem auch mit seinen Steuermitteln. Vor elf Jahren hat man mit all unserem Geld die Banken und die Reichen gerettet. Das Resultat ist ein marodes Gesundheitssystem, was uns jetzt vor die Füße fällt. Vielleicht ist es an der Zeit, sich das Geld von den Reichen zurückzuholen.” Daher hofft er, dass der Staat nicht nur Kredit-Lösungen anbietet, „an denen am Ende dann wieder nur die Banken verdienen werden”. Wichtig sei vor allem, dass die Hilfe schnell komme, da alle ihre laufenden Kosten decken müssen. 

Die Leidtragenden sind vor allem die Künstler*innen

Momentan gehen Ossevorth und sein Team fest davon aus, dass die Nation am letzten Juliwochenende stattfinden wird. Kaum ein*e Veranstalter*in sei gegen Ausfälle aufgrund von Epidemien abgesichert, da diese sehr teuer sind. „Würde die Nation, so wie es aktuell läuft, ausfallen, wären wir insolvent. Dann ist es vorbei”, weiß Ossevorth. Sollten sie Finanzhilfen bekommen, sei es ihnen neben der Bewahrung der Liquidität ihres Unternehmens besonders wichtig, die Künstler*innengagen zu zahlen – nicht aus vertraglicher Verpflichtung, sondern aus Solidarität. „Wir glauben, dass vor allen Dingen Künstler*innen unter dieser Krise am meisten leiden.”

Auch jede*r einzelne sei gefragt, Künstler*innen zu unterstützen. Fans sollten gekaufte Tickets lieber verfallen lassen, statt diese zu stornieren und den Betrag somit spenden, rät Markus Ossevorth. Marlon Hoffstadt ruft dazu auf: „Supportet die Clubs, schaut, ob sie Spendenaktionen haben, kauft Musik eurer Künstler*innen. Supportet Journalist*innen, indem ihr für ihren Content bezahlt. Rechnet aus, wie viel ihr im Monat für Eintritt, Suff und Ballern ausgebt und gebt das euren Lieblingskünstler*innen.” Und Robag Wruhme plädiert: „Wenn der ganze Spuk vorbei ist, wieder zahlreich in die Clubs und auf Festivals gehen und sich die Seele aus dem Leib tanzen.” Bleibt zu hoffen, dass es bis dahin nicht mehr allzu lange dauert.

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