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[REWIND2023]: Das Phänomen Stella Bossi: Ein nebulöser Sehnsuchtsort, massentauglich gemacht

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Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresrückblicks REWIND2023. Alle Texte findet ihr hier.

Technoaffine Social-Media-Nutzer:innen kommen an ihr nicht vorbei. Wer öfter durch TikTok oder seine Instagram-Reels scrollt, hat Stella Bossi mit Sicherheit schon einmal gesehen. Wie sie auf einem Pferd ins KitKat reitet, zum Beispiel. Wie sie in einem Supermarkt den Kopf ins Eisfach steckt, um ihre überhitzte Raverinnen-Birne abzukühlen, wie sie mit Nebelmaschine in einer Dönerbude auflegt oder wie sie eine gigantische Bong raucht.

Auf Instagram, TikTok und Facebook postet die Berlinerin Videos, in denen sie Techno in surreale Sketch-Comedy verarbeitet. Obwohl die Inhalte weder mit der Musik noch mit der Kultur dahinter sonderlich viel zu tun haben, stößt sie in den sozialen Medien auf große Resonanz. Für ihr Publikum ist Bossi eine Koryphäe des berüchtigten Berliner Nachtlebens, an Coolness kaum zu überbieten. Über eine Million Menschen folgen ihr auf Instagram und TikTok. Längst hat sie aus ihrer Reichweite Kapital geschlagen: Als DJ tourt Bossi derzeit um die Welt, produziert und betreibt ein eigenes Label. Wie ist es dazu gekommen?

Ihren ersten Kontakt zu Technomusik hatte die gebürtige Berlinerin im Alter von 15 Jahren, als sie in den Zweitausendern zum ersten Mal in der Bar 25 war. So jedenfalls erzählt sie es in Interviews selbst. Seitdem sei sie passioniert feiern gegangen, Sisyphos, Kater, Berghain. Im November 2018 postete sie dann erstmals ein Video von sich. Darin sieht man sie in einem rosa-orangefarbenen Badeanzug und mit dunkler Sonnenbrille, wie sie im Dunkeln vor dem Berliner Club Kater Blau tanzt. Leicht roboterartig, ansonsten gar nicht mal so außergewöhnlich, nichts jedenfalls, was man nicht auf jedem Berliner Floor zu sehen bekäme. Das Video ging dennoch viral, etliche Menschen amüsierten sich über ihren Tanzstil – die Kunstfigur Stella Bossi war geboren.

In algorithmischer Manier legte Bossi nach: Fortan sah man sie in schwarzer Technomontur auf der Oberbaumbrücke zappeln oder vor dem Berghain ein Sven-Marquardt-Double antanzen. Ein bisschen witzig sollen die Videos sein, stets mit einer Prise verspulter Ironie versehen, dafür ließ sie sich mit der Zeit immer mehr einfallen. Übergroße Gegenstände sind so ein wiederkehrendes Element.

Cappuccino und Aperol Spritz, den sie aus gigantischen Behältern trinkt, zum Beispiel. Oder weißes Pulver, das sie mit einer überdimensionalen Karte kleinhackt. Und: Weed. Mal präsentiert sie die „Mobile Hotbox”, bestehend aus einem großen Plastikball, in den sie Menschen einschließt und Marihuanadampf hineinpustet, mal baut sie aus einem Föhn die „Stella Bossi Weed Machine”. Optisch bedient Bossi die bekanntesten Klischees der Technoszene: Fetischklamotten, irgendwas mit Drogen, performative Ernsthaftigkeit. Auch wenn man über ihre Videos lachen soll, bleibt ihre Miene regungslos, ganz so wie es sich für die Clubschlange gehört. Bald kamen Videos mit dem „Hipster-Opa” und durch soziale Medien bekannten Raver Günther Krabbenhöft dazu, dann führte sie in einem Reel durch das Kitkat, präsentierte sich als eingeweihte Tanzflächen-Veteranin.

Während der Coronapandemie tanzte Bossi einfach weiter, jetzt mit Maske im Späti oder in der Eingangshalle des Ostbahnhofs. Ihre Message: Die Feierei geht weiter, zur Not auch allein. Vielleicht war es gerade die Banalität ihrer Videos – simpler Humor, das Leben als Party –, die als willkommener Ersatz gerade recht kamen, denn ihre Reichweite wuchs stetig.

Wer seine Reichweite monetarisieren will, muss sich etwas Eigenes ausdenken, und so fängt Bossi schon bald an, selbst Musik zu produzieren und aufzulegen. Ihr Stil ließe sich als instagramfähiger Neotrance-Pop beschreiben. Will man Bossi als Parodie lesen, wird dieser Interpretation spätestens jetzt ein Ende gesetzt.

Am erfolgreichsten sind ihre Edits alter Hits, wie etwa von „Das Boot” von U96 oder „System XTC” von Da Hool. Dennoch oder gerade deshalb wurde sie nach der Pandemie plötzlich fleißig gebucht, zunächst für die Symbiotikka im KitKat, dann schon als Headliner auf internationalen Festivals, auch an die Seite renommierter Techno-Acts wie Ellen Allien oder Jeff Mills. In Interviews vermutet sie selbst, dass ihre Reichweite online der Grund dafür ist. „Mein erster Gig war in Deutschland, der zweite schon in der Schweiz. Dann ging es direkt weiter in Europa und Indien, dank Social Media, denke ich”, erzählt sie im Podcast „Babes Behind the Beats”.

Wahrscheinlich stimmt das: Schaut man sich eines ihrer zahlreichen TikToks an, die sie beim Auflegen in Clubs oder auf Festivals zeigen, ist nicht zu übersehen, dass es bei ihren Auftritten gar nicht so sehr um die Musik geht. Die meiste Zeit steht sie nämlich nicht hinter dem Pult, sondern vorne auf der Bühne, spritzt Sekt in die Menge und heizt mit erhobenen Armen im Tomorrowland-Stil die tanzende Menge an. Die Fans kommen nicht, um ihrem Set zu lauschen, sondern um sie tanzen zu sehen, im absurd-ironischen Stil ihrer Videos. Seit Ende 2022 kommen passenderweise immer mehr Solo-Shows dazu: „STELLA BOSSI LIVE” im Kölner Bootshaus, in Dublin und Mailand, ein „Stella Bossi Special” der Symbiotikka im KitKat. Fast immer mit dabei: Die Kamera, die ihre Show für die sozialen Medien festhält.

Die Mutter von RaveTok

Dabei war das Filmen im Club bis zum Beginn der Pandemie eigentlich ein unbeugsames Tabu, zumindest in Berlin. Was auf der Tanzfläche passiert, hatte auch dort zu bleiben, vor allem aber sollte es nicht im Internet landen. Dann aber kam Stella Bossi. Denn in vielerlei Hinsicht ist sie die Vorläuferin und Wegbereiterin von TikTok-Techno und RaveTok. Als die Clubs in der Pandemie geschlossen blieben, wuchs eine neue Generation jüngerer und digitalaffiner Raver:innen nach, die ihre ersten Berührungen mit Techno und Clubkultur im Internet hatten. Manch einer sicher auch bei Bossi.

Statt einer Freizeitbeschäftigung wurde Techno damit für viele zunächst eine Internet-Identität. Mit einem Mal tauchten immer mehr Videos von jungen Menschen im Lederharness auf, die sich filmten, wie sie zu stumpfen Beats in ihrem Wohnzimmer tanzten. Die Selbstinszenierung in sozialen Medien als „Raver:in” wurde zum Trend, und praktischerweise war es ja auch gar nicht mehr wichtig, ob man es wirklich in die Clubs hineinschaffte.

Zeitgleich nahm die Bedeutung von Social Media für die elektronische Clubkultur stark zu. Reichweitenstarke Videos versprachen plötzlich kommerziellen Erfolg. Wer heute mit einem HÖR-Set viral geht, sichert sich europaweite Bookings für das restliche Jahr. Der American Dream des digitalen Zeitalters. Es ist also längst nicht mehr außergewöhnlich, dass DJs, egal welcher Qualität, ihre Karriere auf ihren Social-Media-Profilen aufbauen und nicht mehr andersherum. Gleichzeitig lassen sich Acts wie VTSS oder Peggy Gou längst auch als Influencerinnen verstehen, die keinerlei Hemmungen haben, in die Handykamera zu sprechen, deren mondänes Jetset-Leben sich aber auch hervorragend dafür anbietet.

Folgerichtig fußt auch Stella Bossis Label auf ihrem Instagram-Account. Für „The Beat Must Fuck” veranstaltet Bossi Wettbewerbe auf Social Media, bei denen sie ihre Follower darüber abstimmen lässt, welche Artists einen Vertrag bekommen sollen. Ein andermal verlost sie die Möglichkeit, sie zu einem Treffen mit den „big boys”, den Organisatoren der großen Festivals, zu begleiten und mitzubestimmen, wie es in Zukunft laufen soll in „der Szene”.

Subkultur als Brand

Ihr Erfolgsrezept folgt einem bewährten Muster: Bossi ist die Insiderin, die den geheimen (womöglich verbotenen) Einblick in eine Welt bietet, die sonst nur Auserwählten vorbehalten ist. Wenn Alexander von Schönburg in seiner Bild-Kolumne vom Leben als Adliger schreibt oder Lara Cosima Henkel von Donnersmarck ihre TikTok-Community auf Bälle mitnimmt, dann tun sie nichts anderes als Stella Bossi: Sie verkaufen ihr vermeintliches Insider:innentum, einen Bild-Artikel, ein Instagram-Reel at a time

Dabei sind viele Referenzen und Nuancen der Subkultur nur für andere Insider verständlich, nicht jedoch für ein breites Publikum. Wer Reichweite generieren will, muss daher seine Authentizität mit dem Verständnis des Publikums abwiegen. So wird die kulturelle Komplexität auf ein Produkt reduziert, das in einer Boulevardzeitung, auf TikTok oder Instagram funktioniert, sie wird zur Brand gemacht. Und Bossis Brand ist die Clubkultur, die sich aufgrund ihrer Mystik dankbar zur Eigenvermarktung eignet. 

Der Ruf der Berliner Clubszene zieht spätestens seit der Einführung des Billigfliegers zuverlässig Wochenende für Wochenende an, schrieb einst Tobias Rapp vom „Easyjet-Raver”. Längst jedoch lassen sich damit nicht mehr nur Clubs füllen und DJ-Gagen steigern, sondern vor allem auch Klicks generieren. Der Berliner Techno-Mythos setzt sich online fort und wird zur aufregenden Fantasie von TikTok-Nutzer:innen von Kaiserslautern bis Neu-Delhi. Davon profitiert auch Stella Bossi. Der Großteil ihrer Follower:innen wird das KitKat wohl nie selbst von innen sehen. Für sie verkörpert der vermeintliche Lifestyle Bossis einen nebulösen Sehnsuchtsort, den sie massentauglich macht.

Eine Influencerin kann man Bossi dennoch nicht nennen. Ihr Content ist strikt inszeniert, ihr Privatleben teilt sie nicht. Generell ist wenig über sie bekannt: Ihr echter Name? Ihr Alter? Wo sie aufwuchs? Nicht einmal ihre Stimme kennt man. In ihren Videos spricht sie nicht. Auf Spotify finden sich gar Podcastinterviews mit ihr, in denen sie Siri antworten lässt. Bossi bleibt eine Kunstfigur, ihr Image streng kontrolliert. Es gehe um „Spaß”, erklärt sie in Interviews, um „Witz” und „Leichtigkeit”. Bei all der lockeren Stimmung fällt gar nicht mal mehr auf, dass das doppelte S in ihrem Logo SS-Runen gleicht, wahrscheinlich nicht einmal ihr selbst.

Die Kameras im analogen Leben

In der echten Welt aber clashen sie dann doch manchmal, das Social-Media-Image und die sogenannte „Szene”. Eine Kunstfigur aufrechtzuerhalten, ist eben nicht so leicht, wenn jede Bewegung gefilmt wird. Im Oktober zog Bossi einen Shitstorm auf sich, als sie den DJ Pappenheimer unfreundlich vom DJ-Pult räumen ließ, nachdem dieser ihre Verspätung überbrückt hatte. Pappenheimer postete ein Video der Situation auf Instagram, es folgten Boykott-Aufrufe.

Ihr Verhalten sei unkollegial, abgehoben und entgegen allem, wofür Techno stehe, wetterte es in Kommentaren. Bossi reagierte mit drei unbeholfenen Nonpologys auf Instagram, die erste ließ sich fast als weitere Provokation lesen: „sorry das ich gestern zu spät in Stuttgart ankam und sorry, dass ich den DJ vor mir nicht adäquat gegrüßt und behandelt habe” (sic!), hieß es da zunächst. Wenig später folgte eine zweite Story, ihr Verhalten tue ihr aufrichtig leid, ihr sei klar, dass das „kacke” war. Am Abend schien sie langsam das Ausmaß des Shitstorms zu begreifen, in einem dritten Versuch erklärte sie, sie sei dankbar, dass Pappenheimer ihre Verspätung überbrückt habe.

„Techno ist für mich auch Respekt und Wertschätzung untereinander – dem bin ich im Eifer des Gefechts nicht gerecht geworden. Pappenheimer, es tut mir Leid.” Doch für die Kommentatoren auf Social Media war es längst zu spät, Bossis Glaubwürdigkeit dahin. Ein Schreck für diejenigen, die wirklich eine Szenegröße in ihr sahen, ein gefundenes Fressen für all jene, denen sie seit jeher ein Dorn im Auge war. Die Stuttgarter Veranstalter:innen verkündeten, sie künftig nicht mehr zu buchen.

Zugegeben: Nach dem fünften Video, in dem Stella Bossi auf den Boxen der Festivalstage herumspringt, um eine Show für die hunderten Handykameras abzuliefern, die aus der Tanzfläche heraus auf sie gerichtet sind, allesamt bereit, das nächste virale TikTok zu produzieren, legt man sein Handy etwas deprimiert beiseite. „Spürt da noch jemand irgendwas”, möchte man seufzen. Natürlich will man sich auch abgrenzen, immerhin ist das nicht die echte Ravekultur, wer will damit schon in Verbindung gebracht werden? Dann aber erinnert man sich an die eigene letzte Party, da gab es ja keine Kameras, dafür aber gute Musik und die Leute waren alle total nett. Irgendwie findet das Phänomen Stella Bossi also parallel statt, und das ist erstmal nichts Neues, denn schlechten Techno gab es schließlich schon immer.

Letztlich lässt sich Bossi aber ganz losgelöst von der „Technokultur” verstehen. Denn eigentlich ist sie ganz einfach ein Produkt der Logiken sozialer Medien. Die Algorithmen der Plattformen zwingen content creator in eine Pfadabhängigkeit: Wer einmal mit einem Video viral geht, muss das Muster möglichst genau wiederholt bedienen, um die Reichweite aufrechtzuerhalten und zu steigern. Deshalb sehen wir immer wieder die gleichen Memes auf einem Account – was funktioniert, wird fortgesetzt. Die Konsequenz: Eine junge Frau tanzt nach dem Feiern vor einem Club, Menschen interessieren sich für ihren Tanzstil, also tanzt sie immer weiter. Da kann man es fast geschickt finden, sich darauf zur Instagram-Vertreterin der Berliner Clubs aufzubauen, ob gerechtfertigt oder nicht. Vermutlich wird früher oder später jede Subkultur eine solche Persönlichkeit hervorbringen. Geschmacksverirrungen sind schließlich nicht verboten.

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