Die Dekonstruktions-Odyssee Post Traumatic Fantasy (Superpang, 27. Mai) des konzeptuellen britischen Exzentrikers Richie Culver geht ebenfalls von der Stimme aus, in digitaler Bearbeitung kompromisslos digital unkenntlich gemacht und in arrhythmische Loops gefasst. Wie eine trostlosere, aber interessante Variante von Uwe „LB” Schmidts Verfremdungs-Klassiker Pop Artificielle.

Posttraumatische Sounds, privatphilosophische Explorationen und drastische Selbstuntersuchung ergeben beim Zürcher Duo Perverts In White Shirts eine dunkel vor sich hinbrütende Mischung, die jederzeit explodieren könnte, es aber dann doch selten tut. Eigentlich nie. Das zweite Album von Natalie Drier und Dave Phillips, Meaning What Exactly? (Misanthropic Agenda, 20. Juni), baut auf die Kraft der Entfremdung und alles, was von Industrial und radikaler Kunst übrig blieb. Bauf auf Stille, Introspektion und Reflexion, nicht auf die im Schimpfluch-Umfeld, aus dem Phillips stammt, üblichere Katharsis.

Vom Postpunk-Avant-Popper zum frei flottierenden Ambient-Modernisten, war es für David Sylvian immer die sonor-resonante Qualität der Stimme, die alle Stücke, an denen er beteiligt war, unmittelbar zu seinen eigenen machte, egal in welchem Zusammenhang sie gerade stehen. Und es waren viele Kollaborationen, Konfrontationen und Kontexte, wie sie auf der Compilation Sleepwalkers (Grönland, 17.Juni) dokumentiert sind, die nun neu gemastert wieder auf Vinyl verfügbar ist. Sie ist manches Mal geradezu unheimlich resonant mit der Jetztzeit, etwa die Zeile aus der Fennesz-Kollaboration „Transit”: ‚Our shared history dies with Europe’.

Markus Acher, Band- und Labeltausendsassa von The Notwist, Alien Transistor und vielen mehr, hat offenbar einen enormen kreativen Schub, eine Verjüngung und Neuausrichtung aus seiner Japan-Connection mit den Uenos gezogen. Diese Uenos, so ungefähr die netteste Ehepaarcombo der Welt, machen als Tenniscoats experimentellen, herzerwärmenden Minimal-Pop und betreiben noch diverse Labels und Plattformen, auf denen sie Arbeiten befreundeter Künstler*innen vorwiegend aus Japan veröffentlichen. Zu Saya Uenos Minna Kikeru hatte Acher vergangenes Jahr eine Handvoll Songs beigesteuert, die nicht weniger hauchzart, experimentell und herzerwärmend sind als die der Uenos. Nun endlich als physischer Tonträger zugänglich, ist die EP ライク ア プレイン / Like A Plane (Morr, 27.Mai) auch in Achers umfangreicher Diskografie etwas ganz Besonderes, nicht nur weil er erstmalig seinen bürgerlichen Namen verwendet.

Elegische Folk-Popsongs, mit zarter wie kraftvoller Stimme dargeboten in einem elektronischen Umfeld, das sich nur zu gerne in Ambient, Shoegaze und sparsamen Pianoklängen verliert – davon kann es in der kleinen, doch geräumigen Motherboard-Welt nie genug geben. Sehr erfreulich, dass die schwedische Berlinerin Caroline Blomqvist alias Minru für Liminality (Morr, 1. Juli) eine renommierte Plattform gefunden hat, die es vielleicht schaffen kann, diese so leisen und zarten Klänge in die Welt hinauszutragen. Denn so subtil einfach, zurückgezogen und emotional vorhaltend wie produktionstechnisch gereift diese daherkommen, eröffnen sie doch wundervolle Songs mit dem Hang zu Größe.

Das Geheimnis wahren, wenn doch alles offenliegt, das ist die große Kunst des St. Petersburgers Vladimir Karpov alias Xram Yedinennogo Razmuwlenuja. Entspannend warmes Blubbern aus analogen Quellen, dazu stille, dunkle Flächen und ein zurückhaltend groovender Taktgeber, ebenfalls synthetisiertes Klappern, Knattern oder Wubbeln, aber nie so dominant, dass es zu Beats würde oder zur Basslinie. Wie diese an sich so normale, handelsübliche Synthesizerware in Moll zwischen Electronica und New Age es immer wieder aufs Neue schafft, eine derart unmittelbare wie starke Faszination auszuüben, ist der unaufklärbare Rest, der Karpovs Projekt X.Y.R. immer ausgemacht hat. Weil derselbe alte Trick regelmäßig und immer wieder aufs Neue einfach unglaublich gut funktioniert. Auf dem großen Vinylalbum Aquarealm (Not Not Fun, 3. Juni) nicht weniger als auf der im Frühjahr erschienenen Tape-EP Vision Quest (Good Morning Tapes, 31. März).

Acid Twilight aus Buenos Aires mag mit seinen in Sounddesign und Ästhetik sehr nahe an X.Y.R. liegenden Synthesizerexkursionen im Erstkontakt nicht ganz so faszinierend wirken wie dieser, aber Mustang Zodiac (Not Not Fun, 3. Juni) belohnt eine Wiederholung, ein näheres Hinhören ungemein. Die synthetischen, halligen Soundscapes sind einfach zu gut konstruiert, haben zu viel Detail unter der Oberfläche, um je zu enttäuschen.

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