Der Franzose Pascal Bideau hat sich mit dem Projekt Akusmi ebenfalls vorgenommen, Minimal Music mit spirituellen Jazz und energischer Siebziger-Fusion zu versöhnen, was auf Fleeting Future (Tonal Union, 24. Juni) vorzüglich gelingt. Vor allem, weil neben der üppigen, warmen Instrumentierung und den organischen Loops eine deutlich an Gamelan angelehnte, komplexe und doch leicht verständliche, gar nicht hüftsteife Rhythmik flockig herangetanzt kommt.

Ich gebe jederzeit gerne zu dass ich die Musik von Yann Tiersen in all seinen Karrierestufen mochte. Denn die hat sich selbst in ihren farbübersättigten, filmisch-dekorativsten Momenten immer eine gewisse Struppigkeit erhalten, einen sympathischen Knarz, der öfter mal zwischen Oberfläche und Hintergrund wechselt. Wenn Tiersen wieder Bock auf etwas experimentellere und elektronische Produktions- und Arbeitsweisen, hat kommt das selbstredend besonders gut zur Geltung. Wie jetzt auf 11 5 18 2 5 18 (Mute, 10. Juni), einer digital codierten Variation seines letzten Albums Kerber, auf der er teilweise mehr nach Caterina Barbieri oder Perel klingt als nach seinem alten Selbst, aber doch wieder die Kurve kriegt zur unverkennbar eigenen Signatur.

Interessant, wie sich manchmal Koordinaten verschieben und Horizonte erweitern. Im Falle des französischen Duos O’o gab die im März erschienene Single schon entscheidende Hinweise: Eine respektvolle wie respektable Coverversion von Laurie Andersons Avantgarde-Hit O Superman (O’o Cover) (Infiné), ganz nahe am Original, mit französisch angehauchtem Timbre in der Stimme, produziert in Barcelona und abgemischt in den Kompakt-Studios. Also Electro, Techno, Moderne, Pop-Klassik und Avantgarde in einem kleinen Stück. Das Album Touche (Infiné, 17. Juni) führt diesen vielversprechenden Ansatz noch weiter in eine zukunftsweisende Idee von Pop-Techno oder Techno-Pop, gerne mit kölsch-schunkelndem Bollerrhythmus. Oder eben genau so gut ganz ohne Beat – schwebende französische Vocals über sanfter Electronica.

Und wie toll, dass sich Frau Kraushaar, die ebenfalls sehr gerne Laurie Anderson hört, entschlossen hat, nach zehn Jahren doch nochmal Musik zu machen. Das Album Bella Utopia (Staatsakt, 17. Juni), erst ihr zweites, das außerhalb eines engeren Galerien- oder Kunst-Kontextes erscheint, klingt dementsprechend nach langer Reifungsdauer und extensiver Sammelphase. Also überbordende Inspiration in kleine, avantgardistische Popsongs, elektronisch oder kammermusikalisch, gepackt, oder in Ambient, Field Recordings, ko(s)mischen Krach. In genreüberlegenes, krauses Leben halt.

Eine nahe Verwandte im Geist und Charakter muss Kate NV sein. Das Projekt der Moskauerin Yekaterina Shilonosova loopt hibbeligen Jazz und freies Quietschen in weirde bis geniale Popsongs. Meist ohne Gesang, dafür aber mit extrem liebenswerter Weirdness. Nicht weniger liebenswert die Tatsache, dass die Einnahmen von Bouquet (RVNG Intl., 26. Mai) an die NPO Helping To Leave gehen, die Menschen unterstützt, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten.

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