Classical Mechanics, „Woman of Ice”, war da nicht was? Nun, also hinter der EP Sealand (Nonclassical, 11. März) verbirgt sich keine Wiedervereinigung der Proto-House- und Prog-Disco-Elektroniker der frühen Achtziger, sondern ein Synthesizer-Only-Projekt des kaum weniger exzentrischen und discoaffinen Marcas Lancaster. Selbiger ist nicht nur mit den posheren unter den britischen House- und Electropop-Produzenten exzellent vernetzt, er pflegt ebenso gerne eine dezidiert experimentelle Seite, wie sie in den vier Tracks zum Vorschein kommt, für deren Produktion er sich ein exklusives zehnteiliges Eurorack von Moffenzeef Modular hat konstruieren lassen. Kein geringer Aufwand für insgesamt 20 Minuten eleganter wie sparsamer und wohlgesetzter Electronica. Aber doch ein Statement: Weniger ist mehr, selbst wenn der technische Aufwand immens war.

Der schottische Musikmaschinenbastler Lomond Campbell setzt dagegen auf die ältere alte Schule in Form von Bandmaschinentechnik. Zu dem technisch und inhaltlich höchst versierten Großwerk LÛP aus dem vergangenen Jahr (Motherboard berichtete) kommt nun noch die Kassettenveröffentlichung Lost Loops (One Little Independent, 25. März), auf der interessanterweise gerade nicht Bandschleifen selbst das Hauptthema sind, sondern das für sie vorgesehene Rohmaterial, also speziell für die Verwendung als Tape-Loop gemachte Soundschnipsel. Kleine, ambiente Module, Samples und Mitschnitte von je wenigen Minuten oder sogar nur Sekunden Länge, arrangiert zu feinen Collagen. Eine unglaubliche Menge an Sounds und Ideen, konzentriert auf 19 Stücke.

Der Kölner Vincent Schmidt ist wohl eher als bildender Künstler bekannt, seine pastelligen Bilder, seine sparsam belegten Radierungen sind gern gesehene Austellungs- und Galeriegäste. Als Panta Rex verfolgt Schmidt eine kraftvolle und doch sanfte Vorstellung von Electronica als Erinnerung an Clubnächte, aus House und Techno. Ungerade electroid bouncend oder gleich ganz ohne Beats und nun erstmals im langen Format verbreitet die LP1 (Noorden, 25. März) eine sonnig-pastellwarme Vorfreude auf einen Sommer, in dem wieder getanzt wird, in dem wieder umarmt wird, ein Sommer ohne Krieg. Falls das nicht alles wieder klappen sollte, dann umarmt immerhin der Sound, gibt Energie und wärmt von innen.

Kirill Vasin, Labelbetreiber und Produzent aus St. Petersburg, hat sein Alias Hoavi für Posle Vsego (Quiet Time) auf den Weg ins Innere von Electronica und Pop geschickt. Angekommen ist er bei einer sehr eigenen Art neuen Ambients. Nicht mal ein halbes Jahr nach dem clever auf die IDM-Neunziger referierenden Invariant findet seine jüngste Kassette einen (ent)spannenden organischen Gegenpol zu den Prog- und Beatvariationen des Vorgängers, der aber nicht weniger elektronisch verspielt und Tape-psychedelisch verspult daherkommt.

Winterlich warmblütige Ambient-Tapes von emotionaler Tiefe und melancholischer Qualität bietet das diesmal durchwegs sehr ruhige und beatlose neue Kassetten-Paket der japanischen Muzan Editions. Am Shhara, eine Newcomerin aus Nagoya, knüpft mit Shinsoko (Muzan Editions, 25. Februar) einmal mehr an die minimal elektronischen Soundscapes der Kankyô Ongaku, der Environmental Music Japans der Achtziger an. Sie braucht nicht mehr als ein, zwei Sounds aus einem monophonen Synthesizer, um daraus wundervoll elegante und delikat zerbrechliche Stücke zu erschaffen, die doch eine ganze Welt enthalten können.

Die Schwedin Elin Piel findet auf dem Tape Satsuma Sunday (Muzan Editions, 25. Februar) die Nähe zum Material. In der Ästhetik wie in der Produktion liegen die geliebten, gehassten Eigenschaften der Kassette immer an der Oberfläche, ein immer leicht scheppernder, immer knapp am Verzerren entlangleiernder Lowest-Fi-Sound, der unmittelbar Tiefe und Wärme suggeriert, einlädt zum Abtauchen in ein analoges Schaumbad.

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