Jan Goldmann war kein unbeschriebenes Blatt, als er im November 2020 als Redaktionspraktikant zu uns stieß. Er gehört zu dem Kollektiv, das das so kleine wie ambitionierte Festival Vision der Nüsschen betreibt, das in diesem Jahr in Traumburg umbenannt wird. 

Dass Jan mit der Berliner Szene schon gut vertraut war, konnten wir auch daran ablesen, dass er sich mit einem Review von Hyäne, dem Debütalbum von Marlene Stark, eine der unverzichtbaren Platten der Saison, auf den Praktikumsplatz bewarb. Eine Charlottenburger Disco kassiert 500.000 Euro Corona-Förderung? Ein Plague Rave in Bristol führt zu Gewaltausbrüchen? Ostgut Ton meldet sich nach einer Corona-Pause mit postkolonialen Soundscapes zurück? Jan verfasst so routiniert News, Trackpremieren und Charts from the Past, dass nichts erahnen lässt, dass er jemals etwas anderes getan hat. Zur Weihnachtszeit stehen seine ersten Features an. Eins handelt vom Berliner Techno-Kollektiv Raiders, ein anderes von Introversions Corona-Quarantäne in einem vietnamesischen Militär-Krankenhaus, ein weiteres von Rosa Anschütz und ihrem eigenwilligen Vinyl-Vertrieb. 

Im jungen Jahr spricht Jan mit niemand geringerem als mit Bicep und mit Modeselektor und beweist mit Premieren von Tracks von Borusiade, Nadia Struiwigh und DJ Marcelle Geschmackssicherheit. Geschmackssicherheit ist auch das Stichwort für seinen Platten-der-Woche-Roundtable. Seine Auswahl spiegelt wieder, was ihn an Musik begeistert: Die Freude und die Hoffnung, die zur Zeit oft fehlt. Jan, wir wünschen Dir alles Gute für Deine Zukunft, und wir sind uns sicher, dass wir dich bei der einen oder anderen Gelegenheit wiedertreffen werden.  

Kino-Moderno – Into The Future (Saisei)

„Into The Future (Original Mix)”


Jan: Ursprünglich wurde die EP 1990 in Japan veröffentlicht und ist nun als Repress auf dem Label Saisei Records neu erschienen.

Alexis: Das klingt interessant: Bleepiger Techno der Warp-Schule, ins Kindlich-Verspielte gewendet. 

Jan: Und jetzt der Rhythmuswechsel in den 4/4-Takt. Schöne Snare-Drums und warme Pads im Kontrast.

Max: Wow, geht heiter los, verwandelt sich dann in Electro mit Robot-Vocals und transformiert sich anschließend für wenige Sekunden zum Techno-Banger. Spannend. Auch wenn’s ja immer ein 4/4-Takt bleibt. Du meintest wohl Four-To-The-Floor. 

Jan: Stimmt!

Alexis: Der dumpfe, weiche Klang klingt nach Audiokassette, die Melodien sind rätselhaft und schön, ein ungewöhnliches Stilmittel sind die unerwarteten Sequenzwechsel.

Jan: Die trippige Synthline erzeugt eine unheimliche Spannung, die aber nicht ins Aggressive verfällt.

Alexis: Ein Track, der uns in eine fremdartige, romantische Welt hineinzieht. 

Max: Wirklich interessant, wie hier hibbelige Synths auf einen richtig schweren Electro-Beat mit leicht schiefen, organischen Bassakkorden prallen. Wie bist du darauf gekommen?

Jan: Ich habe das Label über einen kleinen Vinyl-Vertrieb in Kreuzberg gefunden. Bei Off The Grid, so nennt sich der Vertrieb, finden sich immer wieder wahre Schätze.

„Acid Water”

Max: Der klingt jetzt tatsächlich etwas älter.

Jan: Ähnliche Sound-Elemente, einfacherer Rhythmus.

Max: Hat für mich ein bisschen was von Wax Stag, wenn den noch jemand kennt. Wenn nicht: Bisschen schnell für Ghostly International, die Synth-Sprudeleien und überbordende Freude passen da aber schon hin, finde ich.

Alexis: Diese Nummer ist ähnlich neben der Spur wie das erste Stück. Interessant, wie hier die Blickwinkel psychedelisch verzerrt sind und das Ganze dennoch von einem vergleichsweise gradlinigen Groove zusammengehalten wird. 

Jan: Ich finde die sehr simple Subbass-Line strahlt auch eine irgendwo friedliche Gelassenheit aus. Ein schöner Kontrast zu den sehr schnellen, bleepigen Melodie-Elementen.

Max: Besonders schraubt sich ins Ohr, wie im Hintergrund konstant die Tonleiter abgespult wird. Ein klein wenig klingt das auch nach Cybotron, später gesamplet von Missy Elliott. Bin ich bei dir.

Alexis: Kino-Moderno will keine Raves bespielen, sondern einen kleinen, inspirierten Kreis Eingeweihter. 

Jan: Genau. Das Label Saisei Records wurde vom Japaner Junki Inoue ins Leben gerufen. Der in Digger-Kreisen bekannte Künstler möchte fast vergessene Schätze aus der Welt der japanischen elektronischen Musik wieder ans Tageslicht bringen.

„Eclipse Live Mix (Extended Re-Edit)”

Max: Erinnert an einen weiteren Großen, dieses Mal aber im Beatkonstrukt: Ich kriege da leichte Joey-Beltram-Assoziationen. Wenn auch druckloser und mit weitaus weniger Ernst in der Melodie, die jetzt eben einsetzt.

Jan: Das Duo Kino-Moderno malt mit seinem Sound eine farbenfrohe, unbeschwerte Welt.

Max: Jetzt Feedback-Schleifen und Hall, der sich wieder in einer tatsächlichen Melodie konkretisiert.

Alexis: Hier wird mit Breakbeats und hüpfenden Bass-Tönen der britische Einfluss noch deutlicher. Dennoch ist auch der eigentümliche, verspielte Humor der anderen beiden Tracks tonangebend.

Max: Gehe ich mit.

Alexis: Techno, ins Naive, Unschuldige gewendet. Nicht die Höllenqualen des modernen Business Techno. 

Jan: Die Beat-Strukturen sind unheimlich groovy.

Alexis: Ja, funktionieren tut’s trotzdem.

Max: Hahaha, stimmt. Das ist der Himmel der Unbeschwerten.

Jan: Absolut!

Max: Scharfkantig ist daran auch nichts, die Synths fein säuberlich abgerundet. Quasi das Kinderzimmer unter den Techno-Tracks. Liebenswürdig!

„The Globe”

Max: Spooky. Und das erste Vocal.

Jan: Jetzt wird es deutlich langsamer und atmosphärischer. 

Max: Ok, das hört sich nach Videospielsoundtrack an.

Jan: Ist das Vogelzwitschern im Hintergrund?

Max: Denke ja, allerdings stark prozessiert.

Alexis: Jetzt wird es trippig, die Streicher erinnern an 808 State – „Pacific State”.

Max: Echt? So episch, hin und wieder irritierend, finde ich „Pacific State” nicht.

Alexis: Und an dessen tropischen Vibe, entgrenzt und ermattet zugleich. Wer hat episch gesagt?

Max: Ich. Mein Highlight bisher, „tropisch” trifft’s. Hat auch was vom großen Finale.

Jan: Der langsame, dumpfe Beat, die erzählende Vokal, erinnert mich ein wenig an „The Definition Of Happiness” von David August.

Alexis: Ja, irre auch das gesprochene Vocal mit japanischen Akzent  

Jan: Ein schöner, gebührender Abschied einer starken EP.

Max: Also finde das bewusst epischer als das eher atmosphärische „Pacific State”. Hier regiert Endzeitstimmung nach der Apokalypse, bei „Pacific State” tun das Genuss und Glücksgefühl. Extrem guter Track.

Paranoid London – Annihilate The World & Start All Over (Paranoid London Records)

„Annihilate The World & Start All Over”

Jan: Wir bleiben auf dem Dancefloor – aber auf einem anderen.

Max: Auf einem ganz anderen. Wir schließen an Chicago House an, der so britisch klingt, dass man ihn kaum mehr erkennt. Und schneller, natürlich. Auch wenn dieses Mal keine Acid-Töne dabei sind – angeblich ging die 303 ja kaputt –, erkennt man Paranoid London nach eineinhalb Sekunden.

Jan: Direkt!

Jan: Ein gerader Beat, simple Synthesizer, eine gesprochene Vocal. Und eindeutig vorwärts.

Max: Vocals klingen erstaunlich offen nach David Lynchs eigentümlichem Organ.

Alexis: Quinn Whalley ist schon seit den 1990er Jahren aktiv als Producer, für Paranoid London hat er sich mit dem jüngeren Gerardo Delgado zusammengetan.  

Jan: Das Duo aus (Achtung: Überraschung!) London bereitet sich laut Beschreibung auf die bald wieder geöffneten Clubs vor.

Max: Der ganze Track bewegt sich in Wellenlinien, packt immer wieder eine Schicht, eine neue Dimension der Intensität drauf.
Scheinen ja auch vor allem live ein Erlebnis zu sein, die beiden. Auch so sagt’s mir aber zu.

Alexis: Ihre Produktionen sind hypnotischem US-House der Prescription-Schule verpflichtet, bei dem es um die von Max beschriebenen Nuancen geht.

Jan: Jetzt wird es immer roher und kantiger. Und auf einmal wieder ruhiger.

Max: Die Live-Schule steckt auch porentief in den Produktionen, so wie da mit dem Lautstärke-Regler hantiert wird.

Alexis: Live treten sie meistens mit einem Sänger auf, dessen Namen mir entfallen ist. 

Max: Da muss Jan ran.

Jan: Bin schon auf der Suche.

„External In”

Für diesen Track haben wir bislang kein Hörbeispiel gefunden.

Alexis: Auch hier sind wir sofort wieder in dem monotonen Trip, der gleichzeitig eine enorme Energie freisetzt. Ich muss dabei auch an Donato Dozzy und Neel denken, wobei das hier nicht so subtil produziert ist, sondern ein wenig hart und digital klingt 

Jan: Wenn ich nicht irre, müsste der Sänger Mutado Pintado sein.

Max: Oh, hier wird gesägt. Nachdem der Titel des ersten Stücks schon den bemitleidenswerten Zustand unseres Globus zur Sprache brachte, bricht jetzt der akustische Wahnsinn im eigenen Kopf los.

Jan: Schöne, kleine Akzente sind hier zum Beispiel an manchen Stellen schnell hintereinander gepackte Kickdrums. 

Max: Ja, die Melodie, die mit hämischem Augenzwinkern den letzten Nerv raubt, hat aber beispielsweise Roman Flügel auf „Geht’s Noch?” schon besser hinbekommen.

Jan: Ich finde den Track im Ganzen hier auch ein wenig monoton. Auf dem Dancefloor funktioniert er trotzdem bestimmt.

„The State Of That”

Alexis: Ich bin hin- und hergerissen:  Einerseits mag ich diesen ins Frenetische gewendeten hypnotischen Tech-House-Trip. Andererseits klingt das Ganze etwas billig und aufschneiderisch.  

Max: Gehe mit. Kann ich aber weitaus besser ertragen als die vorherigen fünf Minuten.

Jan: Finde ich auch. Es hat schon einen sehr treibenden Drive, das muss man ihnen lassen, aber es passiert auch nicht allzu viel. Die Claps passen jetzt gut.

Alexis: Vielleicht zu durch und durch retro? Und grenzt sich nicht klar genug zu UK-Tech-House ab. 

Max: Hört sich nicht von ungefähr analog an. Die Frage der EP ist ja: Besser ohne 303 oder fehlt die zu sehr?

Jan: Die Pads finde ich an dieser Stelle doch sehr angenehm.

Max: Ja! Für mich immer schwer nachzuvollziehen, wenn du feine Breaks mit Tech-House in Beziehung bringst, Alexis.

Jan: Ich nehme meinen anfänglichen Unmut zu diesem Track zurück – er entwickelt sich ganz wunderbar!

Max: Da würde ich ganz klar die Retro-Karte spielen. Obwohl man an der eigentümlichen, bewusst die Höhen fokussierenden Produktion schon hört, dass es Paranoid London ist. Wenn man’s weiß, zumindest.

Alexis: Stimmt, das ist kein Tech-House.

Max: Ein sog. Orbit-Schrauber.

Jan: Jetzt folgt eine Kollaboration mit dem Chicagoer House-Musiker und Sänger Paris Brightledge.

„Linked In”

Für diesen Track haben wir bislang kein Hörbeispiel gefunden.

Max: Ah ja, das war meine Nummer zwei der EP.

Alexis: Der unvermittelte Anfang ist super. Klingt, als sei der Track aus einem Set rausgeschnitten. 

Max: Schön aus dem Drum-Machine-Baukasten.

Jan: Eine schöne House-Kick, klingt nach Chicago.

Max: Feinfühligkeit im Arrangement ist kein zwingendes Charaktermerkmal Paranoid Londons – für den Sound, den sie machen, ist das nur förderlich.

Jan: Die gehauchten Vocals über einem House-Beat klingt mir aber auf der anderen Seite fast ein bisschen zu sehr nach dem Bachstelzen-Floor auf der Fusion

Max: Haha. Dafür bräuchte es noch mehr Orientalismus, oder?

Jan: Stimmt! Beim Beat passiert hier leider aber auch seit zwei Minuten wieder nichts.

Alexis: Dass nichts passiert, ist nicht mein Problem. Allerdings frage ich mich, ob der Groove wirklich geil ist: Er nutzt sich doch recht schnell ab.

Max: Jetzt noch ein Zwischenspiel, dann geht’s etwas lauter weiter.

Jan: Mit gut 135 BPM ist der Track ziemlich schnell für House-Musik.

Max: Ja, wie der Erste auch. Mir gefällt’s. Stilistisch sehr variable EP, die Vocal House, Breaks, schnellen, rohen House und einen abgedrehten Peaktime-Hit vereint.

Stiletti-Ana – Stiletti City Rhythm Band (Public Possession)

„Star”

Jan: Stiletti-Ana ist der Künstlername des finnischen Produzenten Ilari Larjosto und heißt übersetzt soviel wie Schnappmesser-Anthony.

Alexis: Stiletta-Ana klingt wie eine Mischung aus den ersten beiden Platten: Gradlinig und funktional wie Paranoid London, verspielt und ein wenig albern wie Kino-Moderno.

Max: Passt zu Public Possession wie der Ulk-House nach Skandinavien.

Jan: Es wird eindeutig wieder fröhlicher und ein wenig cheesy – aber nicht unbedingt trashy.

Max: Stimmt, Schnappmesser-Anthony fühlt sich in Disco-Synths pudelwohl. Auf Dauer droht hier dennoch die akute Reizüberflutung.

Jan: Auch die enge Zusammenarbeit mit DJ Fettburger ist hier nicht überraschend.

Alexis: Vielleicht allzu augenzwinkernd das Ganze? 

Max: Ah, die gibt’s? Dann überrascht sie tatsächlich nicht. Muss auch sagen, dass ich mir nach mehr als zehn Minuten davon auf der Tanzfläche vorkommen würde wie in einem 80s-B-Movie. Einem Dirty-Dancing-Abklatsch, der seine Story flickschustert.

Jan: Ich habe neulich ein Interview mit Stiletti-Ana gelesen, das das Augenzwinkern eindeutig bestätigt: Der werte Herr kann keine ernst gemeinte Aussage treffen.

Alexis: Running Back ohne guten Geschmack? Max ist geladen. Euphorie und Ironie widersprechen sich. Euphorie will Distanz aufheben, Ironie Distanz herstellen.

„Enchodus”

Max: Na ja, was heißt guter Geschmack. Dieses Ironische bzw. ein irgendwie gesittetes Humorverständnis ist ja auch das, was ich mir vom ein oder anderen Techno-Act wünschen würde – aber nicht zwingend auf musikalischer Ebene. Ja, und mit Distanz ist es langsam gut.

Jan: Ich finde, das kann durchaus funktionieren auf einem Dancefloor – vielleicht nicht einen ganzen Abend und sicherlich muss das Setting stimmen. Aber es hat schon eine fröhliche Qualität.

Max: Jan, was begeistert dich daran? Man will ja nicht meckern.

Alexis: Haha, das kommt etwas spät. 

Jan: Es passiert viel, es ist trippig, es entsteht Spannung. Eine gewisse Reizüberflutung ist aber auch da. Vielleicht eine Synth-Line weniger?

Max: Ok, kann ich in Ansätzen nachvollziehen. Die Spannung entsteht aber eher in diesem Track hier, oder? Im Sinne von: Wann kommt die Kick? Und das ist nunmal das ewige Katz-und-Maus-Spiel.

Jan: Ja. Ich frage mich, ob die Kickdrum noch kommt oder gänzlich ausbleibt.

Max: Die lässt er sich nicht nehmen.

Alexis: Dass viel passiert, finde ich nicht per se gut.

Jan: Und da ist sie. Und ein wenig ruhiger wird es auch. Den Track mit ein bisschen weniger Synthesizern finde ich ganz schön.

Alexis: Spannung spüre ich hier eher wenig, dazu ist das Ganze zu unstrukturiert und willkürlich.

Max: Das sehe ich leider ähnlich. Dieser Funk-Bass macht mich fertig. Die Spannung, die’s zuvor gab, wurde jetzt aber gekonnt vom Tisch gefegt.

Jan: Obwohl die Bassline, die gerade reinkommt, ein wenig zu sehr das Klischee von Disco aus den 70ern bedient.

Max: Danke, haargenau.

Jan: Die passt auch nicht so gut zu dem unheimlich intensiven Synth-Geplänkel. Jetzt ist es mir eindeutig zu viel.

Max: Da schwirren zu viele Früchte im Smoothie-Maker.

Jan: Gut gesagt! 

Alexis: Haha. 

Jan: Off to the next one.

Max: Aber ich werde mich hüten, die Musik von jemandem namens Schnappmesser-Anthony weiter zu kritisieren.

„Pro One”

Jan: Ein wenig Tribal zur Abwechslung. Das mag ich immer mal ganz gern.

Max: Bongos gehen immer.

Jan: Den Beat finde ich wirklich schön.

Alexis: Das gefällt mir auch besser. Dieser angezerrte Bass klingt interessant. Aber mit dieser Hook ertränkt er uns gleich wieder im Smoothie-Maker. 

Max: Bis jetzt am besten, das kann man sich am Ende einer Party schon ganz gut vorstellen.

Jan: Sehe ich auch so. 

Max: Stimmt, da wird’s wieder etwas fiepsig.

Jan: Es ist aber schon viel klarer und ruhiger als vorher.

Max: Höre ich da ein Akkordeon?

Jan: Ich glaube schon.

Max: Arrrrrrrr.

Jan: Das kurze Break und der Beatwechsel hatten was an sich. Ob ich davon ein Fan war, weiß ich aber noch nicht.

Max: Fräst sich mit Nachdruck in Gehörgang und Hirnwindungen. Aber das Akkordeon – wow. Krass auch: Man erkennt erst nach und nach, was die Hook ist. Jetzt glaube ich, sie aber gefunden zu haben.

Alexis: Der Punkt ist schon, dass es zwei bis drei Hooks gibt. 

Max: Mindestens.

„Circles”

Jan: Nun zum letzten Track der EP. 

Max: Ist es schon so weit? Ok, auch hier: organisches Drumming, synthetische Klänge. Mal schauen, ob sich noch ein Akkordeon dazugesellt.

Alexis: Jetzt gibt er Gas, was das Tempo angeht, und garniert seine Bassdrum mit Percussions. 

Jan: Ja, erneut leichte Tribal-Patterns. 

Max: Okay, jetzt der überstrapazierteste Vergleich überhaupt: „I Feel Love”.

Jan: Jetzt bedient er sich auch eines Roboter-Vocals.

Max: Genau, das noch drüber. Hat so eine Frankenstein-Attitüde, die mir zusagt. Ist der Ruf erst ruiniert…

Jan: Ich finde den Track schon deutlich weniger chaotisch. Ein bisschen mehr Struktur.

Max: „Circles, they go round.” Wo er recht hat, hat er recht. Darum geht’s auch: Ausbruch nicht erwünscht, hat bisschen was von Reise nach Jerusalem. Aber ja, strukturell sagt mir das bislang am meisten zu. Er versucht’s zwar noch auf die Spitze zu treiben, aber macht Spaß.

Alexis: Stimmt, „I Feel Love”. Es gibt nichts, das sich nicht nochmal durchs Dorf treiben ließe. 

Jan: Im Gegensatz zu „I Feel Love” wird hier allerdings auf das klassische Pop-Musik-Schema mit Strophe und Refrain verzichtet. Es schraubt sich einfach immer weiter hoch. Und jetzt eine kleine Ruhepause. Der bislang stärkste Track der EP meiner Meinung nach. 

Max: Einverstanden.

Alexis: Krass anstrengend diese EP, schraubt sich ins Hirn.

SW. – blewLIPs (Acid Test/Avenue 66)

In diesem Roundtable haben wir vier der sieben auf dem Album erschienenen Tracks besprochen.

„ElypsiaDANCEsentence”

·

Max: Interessant. Organischer House-Groove, während sich die Melodie im Dub verorten lässt.

Jan: Ein stampfender Beat auf deepe Synths. Interessant.

Max: Haha.

Jan: Diese Kombination gefällt mir durchaus. Angenehm geradlinig im Vergleich zu der EP davor.

Alexis: SW. kenne ich hauptsächlich von seinem Label SUED, mit dem er einen originellen House-Entwurf verfolgt. 

Jan: Dieses Mal veröffentlicht er zum zweiten Mal auf dem Berliner Label Acid Test/Avenue 66, auf dem unter anderem auch schon Donato Dozzy, Iron Curtis und Recondite veröffentlicht haben.

Max: Finde ich richtig schön. Über das Prädikat „sehr originell” würde Stiletti-Ana von eben wohl nur hämisch lachen.
Wobei ich nicht sage, dass das falsch ist.

„DrumDUMMrace”

·

Jan: Wieder eher weiche Synths auf recht ruppige Beat Strukturen. Gefällt mir.

Alexis: Viele seiner Tracks klingen wie Collagen kurzer Loops, die auf unerwartete Weise gesetzt sind. Sie erzeugen die ebenso herausfordernden wie interessanten Grooves, die auch hier zu finden sind. 

Max: Erinnert leicht an den dritten Track der Paranoid London vorher. Leicht im Sinne von: kaum. Haha.

Alexis: Haha. Techno critic turned comedian.

Jan: Der Bass kommt hier fast nur durch Subbass-Lines und ohne Kick-Drum. Hört man auch nicht allzu oft.

Max: Weiß stets noch was Sinniges hinzuzufügen. Nicht ich, sondern SW.

„PSYcomaTIC”

·

Max: Oy, jetzt wieder gerader. So ein gutes Händchen für verhackstückte, abrupte Melodien.

Jan: Auch die Tracknamen sind eher ungewöhnlich in Anordnung und Schreibweise.

Max: Diese Groß- und Kleinschreibung in den Titeln ist allerdings fies.

Alexis: Was ich daran interessant finde: Es ist auch eine Art, den Club zu dekonstruieren. Aber SW. verzichtet auf das Pathos der Musik von Labels wie PAN oder Posh Isolation. Indem er aus den Strukturen heraus arbeitet, klingt das Ergebnis eher spielerisch.

Max: Ja, und unprätentiös.

Jan: Dieser Melodieübergang, auf einmal total trippig.

Alexis: Voll. 

Jan: Die Beat- und Melodiestrukturen machen Spaß. Und es wird immer trippiger. Hier kann man an Elementen im Gegensatz zu Stiletti-Ana kaum genug bekommen.

Max: Das liegt zuvorderst daran, dass die gezügelt auftreten und nicht eins greller ist als das nächste.

Jan: Stimme ich zu!

Max: Ist das der Lockdown-Sound? Oder könnt ihr euch sowas im Club vorstellen?

Alexis: Der Vergleich ist interessant. Du fühlst dich nicht wie eine Stopfgans, eher bist du neugierig, was als nächstes passiert. 

Max: Haha, bin eh für mehr Essens-Metaphern in Kritiken.

Jan: Diese Musik könnte ich mir vor allem in einer Listening Bar mit super Soundsystem vorstellen.

Alexis: Kann ich mir schon vorstellen, zur Afterhour in der Hoppetosse.

Jan: Oh ja, da auch! Mit der Sonne die, durch die bunten Fenster scheint.

Max: Wo wir doch wieder bei prätentiös wären – also Listening Bars.

Jan: Nun zum letzten Track der Mini-LP.

 „RAMframe”

·

Jan: Jetzt deutlich langsamer. Aber immer noch unheimlich spannend.

Max: Das hat was von Instrumental-Hip-Hop, allerdings mit den hyperaktiven Mitteln von Techno.

Alexis: Stimmt. 

Max: Kein Platz für die Raps.

Jan: Und darauf diese atmosphärischen Pads – wunderschön.

Alexis: Eine vertrackte Future-Hip-Hop-Nummer, die sich aber auch nicht ins Labyrinthische versteigt 

Max: Vertracktes Gefrickel! Da gibt’s wenig hinzuzufügen. Auch diese kleinen Bass-Salven, die sich manchmal Bahn brechen, sind super gesetzt.

Jan: Absolut!

Jan: Ein super letzter Track für ein Mini-Album.

Trent – Transition 35 (Bouquet Records)

„The Trip”

Alexis: Jetzt nochmal trippig wie Kino-Moderno, aber im Hi-Fi-Gewand.

Jan: Die Drei-Tracker-EP kommt vom CockTail-d’Amore-Resident Trent auf dem kalifornischen Label Bouquet Records.

Alexis: Und mit dicker Bassdrum. Da kriegt man richtig Lust zu feiern. Die Trillerpfeifen sind witzig, ohne ins Gag-Feuerwerk abzugleiten. 

Max: Ah, merci. Das ist in der Tat trippig. Trippiger als alles heute Dagewesene.

Jan: Trent ist neben einer Residency bei der CockTail, auf der er zur letzten Ausgabe in der Griessmuehle ein 24-stündiges Back-to-Back mit Dama hingelegt hat, auch Initiator der inzwischen eingestellten Party Oscillator – gemeinsam mit Dama und Budino. Das ist pure Energie bei verhältnismäßig langsamem Tempo.

Max: Drum-Workout mit atonalen Synths, schrägen Vocals und einer Bassline, die alles zusammenhält. Ja, stimmt. So ein bisschen Keinemusik im Paralleluniversum.

Jan: Stimmt! Es geht eindeutig nach vorne. Und geht eindeutig auf. Schön trippig, chaotisch, aber mit geradem Beat.

Alexis: Keinemusik höre ich da nicht. 

Max: Es klackert, es poltert, es stapft. Und jetzt wird’s aggro.

Jan: Und da ist wieder die Bassline. 

Max: Zu viel Stopfgans-Vibes?

Alexis: Interessant finde ich eher, wie er in das Rave-Konzept auch noch Achtziger-Elemente einbaut. Haha, ne, obwohl hier viel passiert, finde ich das stimmig.

Jan: Sehe ich auch so.

Max: Ebenso!

„Don’t Stop”

Jan: Das Tempo bleibt ähnlich auf gut 115BPM. Viel Percussion und wieder trippige Synth-Lines.

Max: Ist jetzt nicht zwingend was, was mir im Ohr bleibt, find’s aber ganz cool.

Alexis: Jetzt hat er eine geile Kick am Start. Ohne metallisches Scheppern, aber mit einem interessanten 3D-Klang

Jan: Die Snare-Patterns geben totale Energie. Ein wenig durchatmen, und weiter. „Don’t Stop”!

Max: Es ist schon sehr körperlich, beschwört den Exzess. Aber was will man auch erwarten.

Jan: Eine verträumte Melodie spielt sich in den Vordergrund. Kann ich mir gut im Club vorstellen.

Max: Definitiv, sonst eigentlich kaum wo.

Jan: Wohl nicht am Abendbrottisch.

Alexis: Wie Stiletti-Ana hat er den Hang zu Albernheiten, aber er setzt den Humor besser ein. In Trents hochgezüchtetem Techno-Gewand erwartet man die Gimmick-artigen Sounds nicht. 

Jan: Finde ich auch. Es passt irgendwo alles ganz gut zusammen.

„Touch Me”

·

Jan: Und es geht los mit synthetischen Bongos.

Max: Und Klanghölzern.

Jan: Die Stimmung ist ein wenig gelassener – aber das kann sich ändern.

Max: Das ist so Prärie-Techno, wie ihn auch ein Rebolledo gerne macht. Nur wird sich hier noch viel mehr tun.

Jan: Auch hier ein schöner, simpler Bass.

Alexis: Volle Ladung Prärie, eine Western-Operette mit dem Cowboy-Chor. 

Jan: Deutlich sanfter als die zwei Tracks davor. Der Drive ist super angenehm.

Alexis: Die Erdmännchen tanzen dazu im Takt. 

Jan: Haha.

Alexis: Auf witzige Weise überproduziert. 

Max: Haha, die Tumbleweeds tumblen dazu im Takt.

Alexis: Exactly. Ein glorioser Abschluss dieses Roundtables, zweifellos. 

Max: Teilweise mehr Song als Track, wie ich finde.

Jan: Da stimme ich beidem zu.

Alexis: Operette/Musical. Wo er wohl dieses Vocal herhat?

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