Stilistische Grenzen aller Art experimentierend sprengen. Von Geschlecht, Identität und Zugehörigkeit erzählen, von Rassismus, Homophobie und Gewalt, von Selbstermächtigung und Liebe, dabei in keinem Moment die Komplexität eines schwarzen queeren Frauenlebens vergessen und doch inmitten des Mainstreams von R’n’B, Hip Hop und Pop spielen – auf einem derart stellaren Niveau kann das zur Zeit nur MHYSA. Mehr noch als auf ihrem Debüt vor drei Jahren findet die aktuell in New York lebende Sängerin und Produzentin in Nevaeh (Hyperdub, 14. Februar) ungeahnte Wege, Ambient, Field Recordings, Bassmusik, minimalistische wie melancholische Songs und irritierenden Noise organisch zusammenzubringen, dass daraus großer kontemporärer wie genresprengender Pop entsteht.

Stream: MHYSA – „Saana Lathan”

Katie Gately ist weiß und lebt in Los Angeles. Abgesehen von diesen eher oberflächlichen aber nichtsdestoweniger wichtigen identitären Details, ist ihre musikalische Entwicklung in vielen Aspekten parallel zu der MHYSAs verlaufen. Gatelys zweites Album Loom (Houndstooth, 14. Februar) ist nicht weniger komplexe experimentelle elektronische Popmusik auf der Basis von R’n’B und zunehmend Post-Wave/Gothic. Sie arbeitet ebenfalls gerne mit Field Recordings und Ambient und schafft es, einen immens zugänglichen und zukunftsfähigen Quasi-Mainstream-Pop aus diesen manchmal schroffen und sperrigen Zutaten zu formen. Im direkten Vergleich wirkt Gatelys Annäherung an den Mainstream etwas glatter und durchkonstruierter. Ihr Sound ist weniger roh und „produzierter”. Die Fähigkeit zum Abweichen in Seltsamkeit im Detail und vor allem der neue melancholische Grundton machen aber auch ihr Album zu einem Anwärter auf eine Album des Jahres-Position.

Die EP Crest (Nature Scene Records, VÖ. 7. Februar) des slowenisch-britischen Trios Kreda schrammt an einer solchen Anmutung knapp vorbei, ist aber interessant und absurd genug, um auf mehr zu hoffen. Das neue Projekt der Singer/Songwriterin Mina Špiler, die mit ihren theatralischen Performances die slowenischen Pop-Avantgardisten Laibach aufgemischt und verjüngt hat und sogar schon mal Rammstein remixte, betont die Kunst im Artschool-Pop und die Dunkelheit im Dark Pop.

Video: Katie Gately – „Bracer”

Die in Berlin lebende Japanerin Midori Hirano kommt vom Klavier und kehrt mittlerweile, wie auf Invisible Island (Sonic Pieces, 7. Februar) unüberhörbar, immer öfter zu ihm zurück. Mit Neoklassik in der vorhersehbaren (Frahm/Hauschka) Form hat das trotz der unmissverständlichen Präsenz des neoklassischsten aller Instrumente wenig zu tun. In Hiranos unformatierter Electronica ist das Klavier Stichwortgeber für kurze, oft wiederholte minimale Phrasen, eine Schaumkrone auf pulsierendem Geräusch. Alles sehr einfach, sehr konzentriert, reduziert und wohldurchdacht. Formbewusst und formschön durchgearbeitet ist diesseits des Schönklangs (wo Hirano immer bleibt) weniger definitiv mehr.

Die crispen wie schwebeleichten Sounds von Anna-Karin Berglund alias AKB zeichnen sich durch eine vergleichbare Qualität und Intensität des Leichtgewichtigen aus. Die Produzentin und Multinstrumentalistin aus der schwedischen Provinzstadt Gävlen bezieht sich weniger auf Neoklassik denn auf klassischen Ambient nach Brian Eno und Harold Budd. Wie Hirano gelingt ihr spielend das Kunststück, einen alten Sound ganz neu und unerhört wirken zu lassen. Ihr maritimes Konzeptalbum Marianergraven (Lamour, 28. Februar) ist jedenfalls ein wundervolles Debüt, das Hoffnung auf mehr macht.

Stream: Midori Hirano – „Remembrance”

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