Stream:  SØS Gunver Ryberg – Magnetic Flow

Bei einem Projekt wie Oliver Barretts Petrels mag das Schweigen der Sirenen vielleicht noch etwas schwerer identifizierbar sein, aber sogar die stets auf den Höhepunkt hin arbeitende Maximal-Electronica von The Dusk Loom (Denovali) muss mal Atem holen. In genau diesen kurzen Momenten zwischen euphorischen Flächen, motorisch-tribalem Schlagzeugeklapper, sich in Ekstase hochschraubenden und doch seltsam leierndem Gesang, beginnt die Ahnung der Transzendenz, wenn Barrett gegen die Steigerungslogik seiner eher konventionellen, postrockenden Stücke anspielt statt sie zu bedienen. Selten waren die ruhigen Zwischenspiele auf einem Album wichtiger und essentieller als hier. Eric Quach, der als „thisquietarmy“ die E-Gitarre im experimentellen Drone-Ambient etabliert hat, hat diese antiklimatische Lektion ebenfalls verinnerlicht. Sein neues Projekt Some Became Hollow Tubes ist zwar postrockiger und echten Songstrukturen näher als je zuvor (und das von einer Armada von Pedalen vervielfachte Gitarren-Feedback nicht mehr das wichtigste Instrument), die Stücke des Debütalbums Keep It In The Ground (Gizeh) sind aber doch unvorhersehbarer als von Quach bekannt. Sie lassen mehr Lücken und lose Fäden zu. Auch wenn sich einige der Tracks zu groben Indie-/Metal- Rockbrettern auftürmen wirken sie doch improvisierter, in sich verheddert, ohne dass eine Auflösung der Knoten passieren würde oder wünschenswert wäre. Eine ziemlich komische tolle Prog-Psychedelia.

Stream: Petrels – Telos

Rita Mikhael betreibt in Toronto das interessante Tape-Label Summer Isle auf dem vorwiegend, aber nicht nur lokale Acts aus dem Bereich Post-Industrial und Power Electronics veröffentlichen. In ihren eigenen Produktionen als RM, Hadeel J und E-Saggila hat sie einen dubbig-düsteren Industrial-Techno-Sound definiert, der von Beginn an hart auf den Wellen des Zeitgeistes surfte und ihr die Aufmerksamkeit einschlägiger Label wie Opal Tapes, BANK Records NYC oder Total Black sicherte. Dass sie nun in Schweden auf Vargs Label Northern Electronics veröffentlicht, ist da nur folgerichtig. Allerdings hat Mikhael für My World, My Way (Northern Electronics) ihren etablierten E-Saggila-Sound eingestampft. Sie orientiert sich ebenso wenig am skandinavischen Post-Techno Sound des Labels. Stattdessen hat sie den derbest möglichen Freeform-Noise aus ihrer Lo-Fi-Hardware gekratzt. In einem krassen und dezidiert nicht digital-cleanem Sounddesign aus Digital Hardcore, Neo-Gabber und verzerrt massivem Urban-Ambient bietet das Minialbum einen wilden Trip, der an einiges andockt, was gerade wieder superfrisch daherkommt (siehe Groove-Roundtable zum Thema). Mehr jetzt geht nicht. 

Stream: E-Saggila – Pattern Obligation

Oder vielleicht doch? Das lang erwartete Debüt von DJ Haram aus New Jersey und aktuell Philadelphia wirkt ebenso frisch und energisch. Haram, die im Discwoman-Kollektiv aktiv ist und als 700 Bliss mit der Rapperin Moor Mother aus Hip-Hop und R&B etwas explizit queeres macht, führt auf der Mini-LP Grace (Hyperdub) die aus ihren DJ-Sets bekannte Verquickung von Jersey-House und schnurgeradem Klopftechno mit den komlizierten Beats und Breaks von Footwork/Juke in einem nahöstlichen Rhythmusverständnis in ungeahnte Höhen. Vom Coverartwork und der Darbukah-Percussion zu den prägnanten wie ins abstrakte gehackten Samples von Zurna- oder Rhaita-Flöten der Trancemusik der Sufis, ist die klassische arabische Kultur in Harams Tracks unmittelbar präsent, aber doch vielfach übersetzt und inhaltlich verschoben, teilweise ausradiert und wieder überschrieben in der Komplexität der Jetztzeit angekommen.  

Stream: DJ Haram – Gemini Rising

Ein kultureller Transfer, den die tunesische Produzentin Deena Abdelwahed auf ihrem Debütalbum Khonnar mit anderem Schwerpunkt, aber nicht weniger verblüffend und überzeugend umgesetzt hat. Die zwei EPs Khonnar Remixes / Tawa Remix (Infiné) mit Bearbeitungen sehr bekannter und minder bekannter Produzent*innen vorwiegend aus der Genreumgebung der bassigen Splitterbeats schieben die Tracks zurück in bekanntere Gefilde, meist indem sie sich auf wenige Elemente aus Abdelwahed-Originalen konzentrieren und diese in klappernde IDM-Electronica, Post-Industrial oder Berlin-Style “Deconstructed Club”-Tunes rückübersetzen. Und der im Vergleich zu den restlichen Bearbeitungen ziemlich einfache und straighte „Tawa – Clip Remix“ des spanischen Tech-House Produzenten Eduard Tarradas Bufi war, ist und bleibt ein Hit.

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