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Motherboard: Juni 2023

Den zeitgenössischen Jazz mit all seinen Ausfransungen in andere Stile und Wahrnehmungsweisen von Musik und Welt auf einen konzentrierten Punkt zu bringen, ist ja schon mal ein exzellenter Ansatz. Wenn das ganze so extraweltlich und emotional, so textural und reich gerät wie The Sport of Love (PAN, 26 Mai) von der elektroakustischen Improv-Supergroup Asma Maroof, Patrick Belaga, Tapiwa Svosve, liegt ein klarer Anwärter für das motherboardend gesamt-integrative Album des Jahres vor. Vermutlich einfach schon deswegen, weil sich hier sehr unterschiedliche Erfahrungswelten ganz selbstverständlich nahekommen können.

Was die kalifornische Produzentin und Kelela-Kollaborateurin „Asmara” Maroof mit dem Schweizer Jazz- und Elektroakustik-Saxofonisten Svovse und dem im weitesten Sinne neoklassischen Cellisten Belaga verbindet, ist eine Offenheit, die ihre Stücke in sich nahtlos verschmilzt, aber zugleich anschlussfähig macht an ganz unterschiedliche Aufführungssituationen und Kontexte wie Laufsteg, Kunstinstallation, Tanztheater und Club. Wie man etwas, das sich dermaßen auf der Höhe der Zeit bewegt, so unmissverständlich schön gestaltet, bleibt das Geheimnis dieses grandiosen Projekts.

Das Klischee geht so: zeitgenössische Komposition, Neue Musik gar, ist eine verkopfte Übung in atonaler Verkrampfung und Komplexität als Selbstzweck. Oder andersherum: zeitgenössische Neoklassik ist orchestral aufgemotzte, kompositorische Zuckerwatte, die eigentlich lieber Filmscore geworden wäre. Dass es auch anders geht im Kleinen, dass strukturelle Klugheit und komplizierte Emotionen in einfache, sparsame wie sinnliche Kammermusik umgesetzt werden können, die keine Kompromisse eingeht und doch unmittelbar affektiv verständlich ist, zeigen die Field Studies (Redshift, 12. Mai) der kanadischen Komponistin Emilie Cecilia LeBel auf höchst beeindruckende Weise. Ob es das fragile Zittern von Holzbläsern ist, mehr Atem als Ton, vorsichtig in Raum und Zeit verteiltes Piano oder ein ausgewachsenes Kunstlied, so viel Hingabe an das Leise und Subtile ist rar, delikat wie wertvoll.

Auf ganz andere Weise mit ihr umgegangen, gesampelt, über eine komplexe Drone und allerlei elektroakustisch mikrofoniertes Geknurpsel gelegt, funktioniert die menschliche Stimme auf dem geteilten Tape Split 2 (Second Editions, 13. April) von René Margraff / Malte Cornelius Jantzen. Nämlich als exzellente Markierung der Differenz von Form (experimenteller Ambient im weitesten Sinne) und Inhalt (eine komplexe Reflexion über Punk und Konsumkultur).

Soll es noch ein wenig offener und offensichtlicher sein mit der Neuen Musik, hilft das Vancouver-Montréaler Trio Beatings Are in the Body gerne aus. Im gleichnamigen Debüt Beatings are in the Body (For the Living and the Dead, 26. Mai) sind Indie-Folk-Songwriting, freie Improvisation, Showtunes, Jazz-Vokalartistik und elektroakustisches Experiment ganz und gar gleichgestellt. Was theatralischer Popsong oder akusmatisches Geknurpsel werden wollte, lebt friedlich und ausdrucksvoll in- und miteinander. Nichts sitzt quer oder korrodiert das melodisch-melancholische Gesamtbild. Ein bunter Flechtteppich mit radikal ausfransenden Rändern, etwas, das genau durch die Lücken, die kratzigen Stellen so viel besser aussieht als geschlossen perfektionierte Fabrikware.

Die Stimme in der kompositorischen Moderne und kathedralischen Archaik findet sich ebenfalls im Duett aus Sarah Albu & Gayle Young. Als Erfinderinnen von Instrumenten, musikalischen Ausdrucksweisen, Spielweisen und Singweisen der neueren Neuen Musik bringen Young, eine der Gründer:innen des World Forum for Acoustic Ecology, einer Tagungsreihe, die sich seit 30 Jahren regelmäßig mit Theorie und Praxis des Hörens in einer technologisierten Welt beschäftigt, und Albu, eine Performancekünstlerin zwischen den Welten akademischer Forschung und künstlerischer Praxis, mehr als genug theoretisches Hintergrundwissen in ihr erstes gemeinsames Album According To The Moon (Farpoint Recordings, 19. Mai) ein, um dieses eventuell wieder zu in den Hintergrund zu rücken und sich auf Freiheit und Spiel zu konzentrieren – im Rahmen mikrotonaler Kompositionen die es auf immer wieder neue und verblüffende Weise schaffen, die menschliche Stimme mit instrumentalen Tönen zu verschmelzen, sie ineinander übergehen zu lassen.

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