Die beiden Mini-Alben Conduit (Second Editions) und Newsun (Sounds et al.) der Komponistin und Synthesizer-Forscherin Kaori Suzuki, die ansonsten in der nordkalifornischen Improv-Elektronik Szene aktiv ist, führen die Ideen von generativer Computermusik in ungeahnte Extreme. Vor allem Conduit ist eine einschüchternde, sogar bei niedrigstem Volumen noch kaum fassbar laute Grenzerfahrung in minimalistischer Hochfrequenz-Elektronik. Das kann von der Kopfstärke her mit den abstraktesten Stücken Ryoji Ikedas mithalten, ist aber physikalischer, unmittelbar zupackend (oder je nach individueller Lage: nervenzerrend). Newsun gibt sich als Synthesizer-Drone etwas konventioneller und ist weniger streng zu den Ohren, irritiert durch clevere Stereoeffekte aber ähnlich nachhaltig. Mit diesen Arbeiten hat sich Suzuki als beeindruckende neue Stimme in den Zwischenbereich von Neuer Musik und Improv-Elektronik gesetzt. Die kanadische Komponistin Monique Jean bespielt diese Zwischenräume ähnlich virtuos. Ihre Werkzeuge sind Synthesizer und ihre liebsten Frequenzen, die ganz hohen. Troubles (empreintes DIGITALes/IMED) ist dabei aber schmutziger, von industriell anmutenden Maschinen-Sounds durchzogen und offener im Ergebnis. Ein Erlebnis ist es nicht weniger. Ein Abenteuer der besonderen Art dürfte es sein, das Archiv der berühmten „Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik“ zu durchforsten. Hanno Leichtmann hatte dieses Privileg und präsentiert auf Nouvelle Aventure (Karlrecords) so etwas wie Remixe oder Deutungen des gefundenen Klangmaterials. Das Ergebnis ist dabei weit weniger unerbittlich als der Mythos der Sommerkurse vielleicht nahelegt. Ein Mythos aus Zeiten, in denen das Erbe der Zwölftonmusik zu einem musikalischen Fundamentalsystem betoniert wurde, und in denen sich Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono aufgeregt über die Zukunft der Musik stritten. Hanno Leichtmann macht damit freundliche Elektroakustik, mit vielen verfremdeten und geloopten Stimmsamples. Der Platz zwischen dokumentarischen Feldaufnahmen und digital collagierter Klangkunst kann ganz ähnlich und ähnlich spannend klingen wie „pure“ Elektronik. Speziell wenn sich die Klangkünstler*innen in einer Dark Ambient Ästhetik bewegen, also mit einer flächig-pastösen und düsteren Soundpalette arbeiten, die von nicht so leicht zu dekodierenden disruptiven Klangereignissen durchzogen sind.


Stream: Yair Etziony – Microcosmos

Die Norwegerin Jana Winderen vom prominenten Soundart-Kollektiv Freq_Out montiert zum Beispiel auf Spring Bloom in the Marginal Ice Zone (Touch) von Wind und Wellen kräftig durchgeschüttelte Field Recordings aus dem Nordatlantik zu dynamischen Soundscapes von höchster Konzentration. Die Mistpouffers (empreintes DIGITALes) des Franzosen eRikm stammen aus der gleichen Gegend, spezifisch aus Island. Der englische Begriff „Mistpouffer“ bezeichnet physikalisch nicht vollständig erklärbare Klangereignisse, die an manchen Meeresküsten beobachtet werden, etwa Donnergrollen bei Sonnenschein. Die drei Soundscapes des gleichnamigen Albums geben sich ähnlich wettergegerbt, geheimnisvoll und verschlossen, obwohl ihre Quellen komplett offengelegt werden. Wie der Titel Mouthful Of Silence (Burning Harpsichord Records) nahelegt füllt das erste Album des britischen Improv-Gitarristen und Klangünstlers Bill Thompson die Zwischenräume von Stille und Sound mit langem Atem. Die hochkonzentrierten Drones zwischen minimalistischer Elektroakustik und Celer sind auf der Moog-Gitarre eingespielt, einem exklusiven wie seltsamen Hybriden von Gitarre, Synthesizer und digitalen Klangbearbeitungsoptionen. Der vielbeschäftigte norwegische Avant-Rock und Jazz-Gitarrist Håvard Volden (unter anderem bei Jenny Hval, Moon Relay und Muddersten) schaltet auf seinem ersten Solalbum Space Happy (Sofa) einen Gang runter. Die durchnummerierten Tracks sind feine dunkle Drones für die eine Unterscheidung von Elektroakustik, Free Improv oder Dark Ambient keinen Sinn mehr macht. Sie wären in jedem Genre herausragend. Das ebenfalls allen Kategorien trotzende, ebenfalls norwegische Free Improv Duo Streifenjunko fabriziert auf Like Driving (Sofa) Soundscapes aus Saxophon und Trompete die das Improv-Klischee vom langen Atem und tiefen Hören wörtlich nehmen und doch elektrisch aufgeladen, zerrend spannend und düster klingend. „Richtiger“ als solcher deklarierter Dark Ambient wie etwa vom Berliner Yair Etziony auf As Above So Below (Lamour) exemplarisch und ziemlich perfekt durchdekliniert wird, ist da gar nicht mehr so weit entfernt.


Stream: Meditation Mixtapes – Watch Your Breathing

Ambient in allen klassischen und modernen Geschmacksrichtungen ist im digitalen Netzkosmos in Überfülle zu haben. Und doch gibt es immer wieder besonderes, herausragendes, dass das Genre weder transzendieren, oder aufheben möchte, noch es überbieten oder neu definieren. Wundervolle Beispiele sind etwa Bird of Paradise und Plumeria + Snake Plant (beide: Meditation Mixtapes/Bandcamp) von Meditation Mixtapes, hinter denen sich die kalifornische R’n’B-Avantgardistin und elektrische Harfenspielerin Low Leaf verbirgt. Auf den Meditation Mixtapes hommagiert sie reuelos die schwebendsten Seiten von New Age, mit einer offensichtlichen Liebe zu extremen Frequenzen – oben wie unten. Und, wie könnte es anders sein, vibriert der freie Geist von Alice Coltrane hier in jeder Frequenz. Emily Sprague (von den nettesten aller Lo-Fi-Rocker Florist) dekliniert auf dem zweiten Soloalbum Mount Vision (MLESPRG/Bandcamp) ihre Version von Indie-Ambient auf diversen Instrumenten, von Gitarre,/Piano zum Modularsynthesizer durch. Immer Lo-Fi mit viel Hall und Pedaleinsatz und immer wunderschön. Was sich aus einem guten Loop so rausholen lässt zeigt Orties Cuisantes (Cetieu, Free Download) von der Polin Tekla Morowitza alias Cétieu. Ein kleiner Schnitt aus einem Stück von John Zorns Filmworks zerbröselt zu einem knapp halbstündigen feinmürben Stück Drone-Ambient.


Stream: Emily A. Sprague – Mount Vision

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