Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Beau Wanzer, Gerd Janson, Pjotr, The Maghreban und µ-Ziq. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.

5. Beau Wanzer – Inverted Audio Mix 271

Achtung, dieser Mix ist nichts für sanfte Trommelfelle. – Der amerikanische Produzent Beau Wanzer ist der richtige Ansprechpartner, wenn es um obskure, bizarre elektronische Outsider-Musik geht. Das beweisen nicht nur seine eigenen Produktionen, die auf Labels wie L.I.E.S., Dark Entries oder Rush Hour zu finden sind, sondern auch sein neuester Mix auf Inverted Audio.

Geläufige Mix-Prämissen wie Tanzbarkeit und Zugänglichkeit der Tracks oder reibungslose Übergänge treten dabei in den Hintergrund. Wir kriegen hier einen guten Einblick in Beau Wanzers Plattensortiment, weshalb es eher nach einem persönlichen Mixtape klingt. Aber es geht auch darum, experimentelle, komplex miteinander verstrickte (analoge) Synth-Konstrukte erfahrbar zu machen. Darum, Grenzen zu sprengen und das Gehör für Sound-Strukturen abseits der Harmoniebedürftigkeit aufzuzeigen. Wanzers Mix bietet das und noch mehr. Er zeigt eine Collage, zusammengefriemelt aus HipHop-, EBM- und Industrial-Fetzen, und vor allem die Hingabe für ungewöhnliche Klänge, die sonst vielleicht nur bei gruseligen Filmen eingesetzt werden würden. (Franziska Finkenstein)

4. Gerd Janson – Boiler Room x Sugar Mountain Set 2018

Kann vermutlich nur Gerd Janson: Bei geschätzten 35°C im Schatten im Erdkundelehrer-Outfit aufkreuzen und das Thermostat konsequent nach oben regeln. Sein Boiler Room-Set auf dem australischen Sugar Mountain Festival in Melbourne – aufgezeichnet im Januar und im März ins Netz geladen – ist vermutlich als ein Paradebeispiel dafür anzusehen, wie das Video-Streaming sich auf zeitgenössische DJ-Sets und erst recht die DJs dahinter ausgewirkt hat.

Viel Stimmungsaufbau ist nicht, die Lyn-Breaks flattern sofort los: in medias rave. Im Hintergrund werden schließlich Mitsubishis gepoppt und auch an den Endgeräten fiebert die Crowd in Boxershorts dem nächsten Drop entgegen. Schert Janson zum Glück wenig, geht aber auch nicht spurlos an ihm vorbei. So konzentriert er denn dreinschaut, fällt zur Minute zehn (Limes “I Don’t Wanna Lose You” sei dank) doch erst die Jacke und zuletzt im furiosen Finale (sollte nicht jedes Set auf einem “Born Slippy”-Remix enden?) das Zopfgummi. Und dann, ja, dann hätte die Party eigentlich richtig beginnen können – doch dann steht schon Honey Dijon hinter den Decks, der Zeitplan drängt, der Kurs wird neu vorgegeben und die Sache wiederholt sich.

Janson geht sowohl mit der limitierten Spielzeit wie auch der Foucaultschen Gesamtsituation dankenswert souverän um und obwohl er bei Krystal Klears Hi-NRG-Hymne-meets-New Order-Überhit “Neutron Dance” den Bass mit einer Miene reinzieht, als würde er parallel dazu einen Nierenstein abführen: Den Spaß hat er sichtlich nicht allein als Labelbetreiber von Running Back, wo das erste garantierte Sommer-Anthem seit “What’s a Girl to Do” die Tage erscheint, sondern auch als DJ, der aus der Situation das noch bestmögliche herausholt. Dennoch: Wie viel mehr Energie hätte dieses Set in der vierfachen Länge ohne die nervigen Kameras gehabt? (Kristoffer Cornils)

3. Pjotr – HNYPOT 258: Pjotr’s Burns Slow

Pjotr aka The Redhead Baby ist ein Stockholmer Partyveranstalter und DJ, der inzwischen in Berlin wohnt und dort in Clubs wie dem Schwuz oder auf den monatlichen Lab.Dance Events in Berghains Sexclub Lab.oratory auflegt. Mit Red Curls führt er seit 2016 ein eigenes Plattenlabel, das auf bisher fünf Katalognummern zeigt, wie man auch ohne auf etablierte Namen zu setzen ein gutes A&R macht. Die Releases von Acts wie Penelope oder Osynlig Fetma sind im besten Sinne freigeistige, humorvolle und soundverliebte Maxis, die House mit einer Art verschrobenen Pop-Appeal kreuzen.

Auf seinem Mix für die Podcast-Serie des kalifornischen Honey Soundsystem zeigt er, wie stark das Ganze von seinem eigenen Auflege-Stil beeinflusst ist: Mit den Simple Minds anzufangen (“Someone Somewhere (In Summertime)”), eine grummelige Wave-Nummer von Maoupa Mazzocchetti auf Mannequin folgen zu lassen und danach einen fabelhaften Tricky-Disco-inspirierten unveröffentlichten Red Curls-Track zu spielen, zeugt zumindest von Selbstbewusstsein. Was sehr schnell klar wird: Pjotr liebt Tracks, die irgendetwas Besonderes haben, reine Funktionstools sind seine Sache nicht zum Glück. Und so schraubt er sich mit Matthew Styles “Metro” und KiNKs Remix von Radio Slaves “Chirldren Of The E” in erste Euphoriehöhen, lässt den kühlen Funk von Paranoid London auf Gesloten Cirkel treffen und schließt mit atmosphärischen Stücken von Steffi und dem Mörk-Act No Moon ab. Auffällig ist, dass die herausragendsten Tracks dieses auch dramaturgisch schön angelegten Mixes nicht näher gelabelte, unveröffentlichte Stücke von seinem eigenen Label sind – Red Curls sollte man deshalb genau im Auge behalten. (Thilo Schneider)

2. The Maghreban – Dekmantel Podcast 171

Für Foto-Shootings trägt er zuweilen auffällige Hoodies oder zieht sich Fake-Monsterkrallen von der letzten Halloween-Feier über die Hände. Um aufzufallen, muss Ayman Rostom aka The Maghreban das aber gar nicht. Dafür sorgt schon seine Musik. Nach einem Dutzend EPs veröffentlichte er in diesem Jahr endlich sein Debütalbum 01 Ideas auf R&S Records, wo bekanntlich auch schon Künstler wie Aphex Twin, Pariah, James Blake und Jeff Mills ihre Musik in die Welt entbanden.

Eine ähnlich diverse musikalische Bandbreite wie das Label und sein Album, das Elemente aus House, Jungle, Afrobeat und Jazz schöpft, weist auch Rostoms Mix für Dekmantel auf. Darauf gibt er sich als Polymath im Genreuniversum. Dort treffen Dub, quietschende Synthlines und African Beats auf punkige Disco-Tunes. So folgt zum Beispiel auf Richard H Kirks Synth-lastigen Industrial-Track „Nocturnal Children“ die spaced out Variante von ESGs „Moody“. Es ist ein Mix, der gute Laune bereitet, und mindestens genauso bunt ist seine eigenen Produktionen – oder eben seine Hoodies. (Franziska Finkenstein)

1. µ-Ziq – XLR8R Podcast 533

In dem einstündigen Mix, den Mike Paradinas alias µ-Ziq Anfang März für das US-Magazin XLR8R zusammenstellte, geht es vor allem um ihn selbst, genauer um seine Vergangenheit. Sein Label Planet Mu, das schon 1995 als Sublabel von Virgin Records startete, war zuletzt so relevant und produktiv wie selten zuvor und brachte unter anderem Jlin, Antwood und RP Boo hervor. Dabei gerät leicht in Vergessenheit wie wegweisend einst Mike Paradinas eigene Musik war – von Solo-Alben wie Tango N Vectif und Bluff Limbo, seinem Warp-Alias Jake Slazenger bis hin zum gemeinsamen Album mit Aphex Twin, Expert Knob Twiddlers.

Der Mix konzentriert sich auf die Jahre 98/99 und begleitet damit die neue µ-ziq-Compilation Challenge Me Foolish. Erstaunlich ist hier vor allem die Bandbreite der Musik: von Amen-Breaks unter seinem Tusken Raiders-Alias über Acid Tracks bis hin zu Streich-Quartett-Einspielungen („Slice“), die unter dem Einfluss von Björk entstanden, die Mike Paradinas damals auf ihrer Homogenic-Tour begleitete. Obendrauf gibt es unveröffentlichtes Material wie µ-ziqs Remixe für Björks „Hunter“ und I-Fs „Space Invaders Are Smoking Grass“. (Heiko Hoffmann)

Vorheriger ArtikelRecondite: Dämmerlicht und Brummton
Nächster ArtikelStudiobericht: Frank Bretschneider