Im Club, aus dem Club, zum Tanzen mit und ohne Bewegung, mit und ohne Körper. Vieles was sich gerade so an gerade-noch oder gerade-nicht-mehr Clubmusik verbreitet, mag sich da gar nicht entscheiden. Gemeinsam ist dem nur, dass Hedonismus und Funktionalität jeglicher Art nicht ganz oben auf der Prio-Liste stehen, aber doch immer irgendwie mitgedacht, mitgemeint sind. Bässe lügen nicht. Und Bässe machen Politik. Auf der Ebene von purem Sound wie im weiteren Kontext und großen Ganzen. So „In-Your-Face“ wie möglich und so explizit-aggressiv wie nötig fundiert ein derartiger Bass-Aktivismus zum Beispiel die Arbeit der Künstler*innen und Labelmacher*innen des NON-Kollektivs. Mit dem positiv globalisierenden Impuls angetreten, den Sound post-kolonialer, afrodiasporischer Zusammenhänge aus der ganzen Welt in die ganze Welt zu verteilen finden sich auf der NON Plattform inzwischen (queer-)feministische Positionen neben Ambient-Outlaws wie dem staatenlosen ehemals taiwanesischen Drone-Rocker Alex Zhang Hungtai (siehe Motherboard vom August 2018). Ein ziemlich definitiver Überblick über die weltweite und weltoffene Rhythmuspolitik des Labels erschien vergangenes Jahr mit dem dreiteiligen NON Worldwide (NON)-Sampler. Neben dem US-Amerikaner Chino Amobi (der mit Airport Music for Black Folk den denkbar ätzendsten wie wahren und notwendigen Kommentar zur „Whiteness“ von Ambient und „Fourth World“-Klängen abgegeben hat) und der südafrikanischen Bassmusikproduzent*in Angel-Ho ist die belgische, seit längerem in London lebende Melika Ngombe Kolongo Gründerin und eine der Hauptverantwortlichen für das Programm des Labels. Als Produzentin nennt sie sich Nkisi, nach den rituellen Figurinen der Bantu, die im Kongo, aus dem ihre Familie stammt, zur Abwehr von bösem Zauber dienten. 7 Directions (UIQ), ihr Debütalbum auf Lee Gambles Label, bringt nun einiges zusammen: einen analytischen Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten der globalisierten Klassen seien es elitestudierte Expat-Weltbürger*innen oder Arbeitsmigrant*innen, einen ungeschönten Blick auf die eigene Herkunft und ihre Traditionen religiöser wie kultureller Art. Diese finden aber keine 1:1-Umsetzung. Nkisis Tracks sind das Gegenteil von World Music im üblichen Sinn. Ihre aktivistisch-aggressive Elektronik zwischen Post-Club, Grime und Industrial-Techno ist genauso urbritisch, dem „Hardcore-Continuum“ entsprungen wie Berlinerisch schroff, smooth wie Hip-Hop und Trap, samplelastig und düster wie Demdike Stare und afrikanisch wie die Subsahara-Rhythmen ihrer familiären Abstammung. Der gerade von London nach Manchester umgezogene Producer Nazar agiert genauso zwischen (oder besser: inmitten) den Welten der afrikanischen Diaspora. Nazars Familie stammt aus Angola und sein wütendes wie hellsichtiges Debüt Enclave (Hyperdub) beschäftigt sich eindringlich mit der düsteren Vergangenheit des Bürgerkriegs im Land. Seine Tacks ehren und mutieren die Clubmusik Angolas, vor allem den hochenergetischen, Breakbeat-Techno und Digi-Dub/Dancehall-nahen Kuduro-Style, und wenden ihn zu etwas schleifend düsterem, fast Industrial-harten. Gegenwärtiger geht es nicht.


Stream: Nkisi – 7 Directions – VII

Nkisis NON-Partner*in Angel-Ho hat ebenfalls ihr Debütalbum vorgelegt. Death Becomes Her (Hyperdub, VÖ 1. März) zeugt von einer global-lokalen multiplen vielförmigen Existenz in den körperlichen Zu- und Einschreibungen von Gender und Race aber nicht weniger von globalem Pop-Mainstream und lokalen Capetown-Styles, von Musik, Mode und Sex, Vorurteilen, Verachtung und Gewalt. Angel-Ho macht genuin globale Clubmusik aus hyperspezifischen Quellen. Ihre Identitäten als Trans-Mensch, Südafrikaner*in und Weltbürger*in sind in ihre Tracks genauso eingeschrieben wie die eher experimentellen und minimalistischen Varianten von südafrikanischem House und Gqom, wie ihre Liebe zu Lady Gaga, Grace Jones, mittelgut gealterten Achtziger-Filmen und US-amerikanischem Neunziger-R’n’B. DJ Sprinkles hat es in den Liner Notes zu Midtown 120 Blues wohl am dringlichsten formuliert: Wird der spezifische Kontext ihres Entstehens, ihrer Rezeption und Funktion ignoriert, wird selbst die liebevollste Aneignung zur feindlichen Übernahme und die Inhalte der Musik, so „deep“ sie auch sein mögen zu „greeting card bullshit about peace, love, and happiness“. Im Gegensatz zu Deep House, auf das Sprinkles sich bezieht, ist die Gefahr von Missverständnissen und aktiver Ignoranz im Konsum von Angel-Hos Tracks hoffentlich etwas geringer, denn sie sind auch musikalisch sehr queer und doch jederzeit größtmöglich denkbare Popmusik. Zudem gilt hier ebenso: gegenwärtiger geht es nicht.


Stream: Angel-Ho – Like A Girl

Der nordische Sexgott Loke Rahbek hat mit seinen vielfältigen Solo-Releases und Kollaborationen sowie seinem Tape-Label Posh Isolation einen ganz erstaunlichen Trip durch die Sphären der elektronischen Musik unternommen. Waren seine Produktionen anfangs noch stark in Industrial und Dark Ambient verwurzelte schmutzig derbe Lo-Fi Soundscapes, so hat er in den vergangenen Jahren eine Faszination wie ein Unbehagen an den Sounds des Mainstreams entwickelt, an Trap-Vocals und Cyber-R&B, an Cloud-Rap und EDM-Sirenen. Isa (Posh Isolation), sein viertes Soloalbum unter dem Alias Croatian Amor ist in so ziemlich jeder Hinsicht ein definitives Statement zu dieser zwiespältigen Vorliebe. Mit übersteuertem Autotune-Gesang zahlreicher Vocal-Gäste von Soho Rezanejad bis Yves Tumor dampft Rahbeck den aggressiven Partyhedonismus und die via Kompression auf maximale unmittelbare Wirkung getrimmten Sounds des Mainstreams weitgehend ein. Zu immer noch hochenergetischen, dabei aber zart melancholischen und ambient schwebenden Tracks, die beharrlich einen unterschwelligen, kaum weghörbaren Rest an Beklemmung transportieren. Diese zerrissene emotionale Lage in hochglänzende Elektronik zu fassen gelingt auf Isa fast noch überzeugender als in der sehr ähnlich angelegten Nordic Flora-Serie seines Label-Kumpels und Kollaborationspartners Varg. Der junge Portugiese Gonçalo Penas steht in seiner Karriere ganz am Anfang. Sein Blick auf dekonstruierte Körperlichkeit und maximal zerschlissene EDM auf Ego De Espinhos (Subtext) ist aber von erstaunlicher analytischer Schärfe und klanglichen Kompromisslosigkeit. Offensichtliche Vorbild sind Oneohtrix Point Never und vor allem Yves Tumor. Penas Debütalbum kommt allerdings mehr nach den konfrontativen Live-Sets des letzteren als nach den Veröffentlichungen.


Stream: Croatian Amor – Dark Cut ft. Jonnine Standish

Musik, die aus dem Club raus spielt, ohne ihn zu verlassen, machen ganz anders Sascha Funke und Niklas Wandt. Wismut (Multi Culti) dokumentiert das spannende Treffen zweier Generationen elektronischer Musikproduktion dies und jenseits von Techno. Dass der Berliner Techno-Routinier Sascha Funke und der jung-weirde rheinländische Krautelektriker Niklas Wandt so gut zusammenpassen würden, war dann doch nicht so zu erwarten, obwohl Funke eine experimentellere Seite vor allem in den Live-Sets mit Saschienne andeutete und Wandt, der mit zahlreichen und hippen Projekten wie Neuzeitliche Bodenbeläge oder dem vor allem in England gehypten Instrumentalmusik von der Mitte der World-Duo mit Salon-des-Amateurs-Kollege Wolf Müller, definitiv auch Tanzmusik und seltsamen Pop kann. So sind die Beats ihrer gemeinsamen EP gerade, die Produktion sauber und die musikalischen Inhalte, Spoken-Word-Passagen, Dub- und Echo-Schleifen so abgefahren wie möglich und so restfunktional wie nötig. Ob das auch im Watergate läuft? Im Salon bestimmt.

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