Dieser Text ist der erste Beitrag unseres fünfteiligen Drogen-Specials. Wir verlinken die anderen Beiträge hier, sobald sie erschienen sind.
Im Sanitätszelt liegt jemand mit glasigem Blick auf einer Isomatte. Sanftes Licht, dahinter prügelt Techno. Die Helferin trägt ein T-Shirt mit Regenbogenlogo und fragt: „Weißt du, was du genommen hast?” Pause. Dann: „Keine Ahnung, das war in so einer Kapsel.”
Im Hintergrund läuft eine Nebelmaschine Amok. Was die Helferin jetzt tun kann, ist Schadensminimierung. Eigentlich hätte bereits jemand die Substanz einordnen und Risiken erklären können. Aber das war in Deutschland bis vor Kurzem ein juristisches Minenfeld.
Erst seit Juni 2023 ist das Testen von Drogen, sogenanntes Drug Checking, in Deutschland offiziell legal. Also, theoretisch, in Gesetzesform. Wenn die Bundesländer denn wollen. Und die Polizei. Und das Gesundheitsamt. Und alle Ministerien, die sich davon keine Überschrift in der „BILD” einfangen wollen.
Die Neuerung steht in Paragraf 10b des Betäubungsmittelgesetzes, einem Paragrafen, der klingt wie ein Update für eine Software, die niemand benutzt. Er erlaubt Modellprojekte zur Schadensminimierung, nennt das aber nicht „safer use”, sondern: „Analytische Angebote im Rahmen der Suchtprävention”. Das klingt nicht nach Klubnacht, das klingt nach drei Stunden Wartezeit und jemandem in Beige.
Legal, aber wo?
Berlin hat es zuerst gemacht. Also zumindest ein bisschen. Seit Sommer 2023 gibt es dort ein offizielles Drug-Checking-Angebot, das so aussieht: Man muss sich anmelden. Die Proben werden abgegeben, dann geht alles ins Labor. Ein paar Tage später bekommt man ein Beratungsgespräch. Gut, aber ein bisschen so, als würde man einen ADAC-Ratgeber zur Notbremsung schreiben, der einem nach dem Crash per Einschreiben zugestellt wird.
Andernorts? Funkstille. NRW prüft. Bayern winkt ab. Die restlichen Länder wirken, als würden sie lieber eine neue Lachgas-Verordnung verabschieden, bevor sie ein einziges Zelt mit Teststreifen genehmigen. Der politische Wille ist oft exakt so groß wie die Dose Red Bull in der Hand des Landrats: leer, aber laut.
Das Ergebnis: Drug Checking ist in Deutschland legal, aber oft nicht zugänglich. Und wenn es zugänglich ist, dann nicht dort, wo es gebraucht wird. Auf dem Festivalgelände etwa. Im Club. Vor dem Kiosk, nachts um halb drei, wo irgendein Typ aus einer Plastiktüte bunte Tabletten verkauft, die angeblich dieselbe Wirkung haben wie „letztes Jahr Fusion”. Die neue Gesetzeslage ändert wenig an der alten Realität: Clubkultur hat längst Lösungen entwickelt. Doch Deutschlands Gesetzgeber interessiert sich nur bedingt für die Realität der Nacht.
Der totale Rausch
Das ist Realitätsverweigerung auf Länderebene. Klingt nicht gerade fair, hat aber System. Drogenpolitik in Deutschland ist nämlich keine Schutzpolitik, sie ist Kontrollpolitik. Und sie formt das Nachtleben radikaler, als es jeder Headliner zur Peaktime jemals könnte.
Während sich halb Europa in Richtung Entkriminalisierung bewegt, hält Deutschland eisern an seinem Betäubungsmittelgesetz fest – als wäre 1994 nie vorbei gewesen und Ecstasy noch immer die größte Bedrohung für die westliche Zivilisation, gleich nach der RAF und, na ja, Techno im Allgemeinen.
Dabei weiß jeder, der mal auf einer Silvesterfeier nicht nach dem Donauwalzer heimgegangen ist: Der Konsum ist da. Er war immer da. Ketamin, MDMA, Speed, 2C-B, GHB, manchmal sogar alles gleichzeitig und trotzdem mit Einhorn-Haarreifen. Die Frage ist nicht: Ob konsumiert wird. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Und genau da beginnt das Drama. Oder, wie es der Gesetzgeber nennt: die Gefährdung der öffentlichen Ordnung.
Denn auf der einen Seite gibt es diese Clubs, die Verantwortung übernehmen wollen. Die sich überlegen: Was können wir tun, um safer use zu ermöglichen, ohne dafür gleich unsere Lizenz zu riskieren? Die Antwort ist oft: nicht viel. Ein Hinweis an der Toilette, vielleicht ein QR-Code zur Drug-Checking-Seite, den sowieso niemand scannt, weil kein Empfang im Keller. Ein Awareness-Team, das alles darf, außer sagen, dass die grüne Pille mit dem Dreieck besser nicht geballert werden sollte.
Warum? Weil das – Achtung! – eine implizite Bestätigung wäre, dass man hier mit Substanzgebrauch rechnet. Und das ist, rechtlich gesehen, heikel. Noch absurder wird es nur, wenn man weiß, dass in Berlin zum Beispiel ein Club nicht explizit über Drogen informieren darf, weil es bislang keine rechtssichere Grundlage für Informationsmaterial im Clubkontext gibt. Und das, obwohl das Land selbst Modellprojekte für Drug Checking mitfinanziert.
Andere Länder, andere Süchte
Währenddessen, drüben, in Lissabon: ein kleines Studio, weißer Schreibtisch, darauf ein paar Testkits. Ein Mann zieht sich Schutzhandschuhe an und testet eine Substanz. Man wartet ein paar Minuten, bekommt das Ergebnis. Ohne Zeigefinger, ohne Formular mit „Haben Sie in den letzten drei Monaten Drogen konsumiert?”
Portugal hat 2001 die Entkriminalisierung eingeführt, weil man eingesehen hat: Die Leute nehmen es sowieso. Dann lieber ohne Strafregister. Seitdem ist der Konsum nicht explodiert, wie deutsche Innenpolitiker gerne mal sagen. Er ist sogar zurückgegangen. Aber das passt natürlich schlecht zur Apokalypse-Rhetorik der hiesigen Ministerien.
Dabei müsste man nur weiterscrollen. Zürich? Dort läuft das Drug Checking seit Jahren unaufgeregt, integriert, finanziert. In Wien gibt es checkit! – mit mobiler Teststation, Event-Präsenz und Analysen, die öffentlich zugänglich sind. In Berlin gab es: PDF-Dokumente mit Wartezeiten. Und das mulmige Gefühl, dass man als Veranstalter:in lieber keinen zu gut informierten Awareness-Flyer verteilt, weil sonst irgendein Bezirksamt „Drogenverherrlichung” wittert.
Der europäische Standard liegt also längst woanders. Deutschland dagegen setzt auf einen ganz eigenen Mix aus Pathos, Panik und Paragrafen. Der Rave darf stattfinden, aber bitte ohne Drogen, ohne Hautkontakt, ohne Rausch. So wie früher in der Mittelstufe: Klassenfahrt, aber ohne Knutschen.
Was man dabei übersieht: Drogenpolitik ist immer auch Klassenpolitik. Wer genug Geld hat, kauft sich sichere Reinheit. Wer genug Worte hat, redet sich raus. Die Polizeikontrollen treffen nicht die Gymnasiast:innen aus Prenzlauer Berg, die bei der neuen Loveparade nostalgisch auf ihre „Ketakinder”-Tattoos zeigen. Sie treffen die migrantische Clique vor dem Club, die dreimal durchsucht wird, bevor sie überhaupt an den Türsteher kommt. Dieselbe Substanz, anderes Schicksal. Dieselbe Party, andere Realität.
Verantwortung verboten
Awareness ist das, was bleibt, wenn Politik nicht hinsehen will. Es sind oft ehrenamtliche Kollektive mit Funkgerät und Wärmedecke, die nachts um drei das übernehmen, was eigentlich staatliche Fürsorgeleistung wäre: Menschen informieren, Panik begleiten, vor allem aber Konsum nicht verurteilen, sondern ernst nehmen. Sie machen Erste Hilfe im Ausnahmezustand. Ohne Blaulicht, ohne Versicherung, ohne Absicherung. Und sie machen es gut. Nur eben: auf leisen Sohlen.
Weil man offiziell ja nicht davon ausgehen darf, dass jemand etwas nimmt. Weil Aufklärung als Aufforderung gelesen werden könnte. So leben Awareness-Teams in der Grauzone zwischen Sorge und Strafbarkeit. Manchmal scheint es, als wäre der Gesetzgeber mehr um die moralische Hygiene des Diskurses besorgt als um die körperliche Unversehrtheit der Menschen.
Gleichzeitig feiert sich die sogenannte Szene in Feuilletons und auf Panels für unsere achtsame Szene, für queere Events, Awareness, Safer Spaces. Weil das ja alles wichtig ist. Aber es ist auch: zermürbend, wenn das System, in dem man diese Arbeit macht, permanent so tut, als gäbe es keinen Bedarf dafür. Die Realität: Ein Awareness-Zelt ist oft das Einzige zwischen jemandem mit Kreislaufkollaps und einem Notarzteinsatz, der vielleicht nie kommt, weil das Festivalgelände zu groß, der Weg zu weit, das Funkgerät zu leise war.
Drogen bei Nacht
Vielleicht liegt das Problem ja darin, dass Drogen in Deutschland immer noch als Ausnahme gedacht werden. Als Exzess, als Unfall, als entgleiste Jugend. Nie als soziale Praxis. Schon gar nicht als Realität. Dabei ist der Rausch längst durchinstitutionalisiert: auf Firmenretreats, in Biohack-Podcasts, in After-Work-Mikrodosierungen. Nur im Club bleibt er das große Tabu; da, wo er eigentlich am offensten gelebt wird.
Manchmal wirkt es, als hätte sich die Politik längst damit abgefunden, dass Drogen existieren. Aber eben nur, wenn sie privat und diskret genommen werden. Nicht in der Öffentlichkeit, nicht in Ekstase, denn: Der Fehler ist nicht der Konsum. Der Fehler ist das Sichtbarwerden. Die drogenpolitische Vision der Bundesrepublik heißt nicht Legalisierung. Sie heißt: Diskretion.
Dabei hätte man längst alles da: Wissen, Projekte, Menschen, die sich kümmern wollen. Aber was fehlt, ist Vertrauen. In die Szene, in die Veranstalter:innen, in das Publikum. Stattdessen bleibt alles ein Tanz auf dünnem Eis, zwischen Care und Kriminalisierung, zwischen Lichtshow und Dienstaufsichtsbeschwerde.
Am Ende ist es wie immer: Die Clubkultur ist weiter als der Gesetzgeber. Sie hat gelernt, mit der Realität umzugehen. Mit Risiko, mit Vielfalt, mit Verantwortung. Die Politik dagegen macht weiter Prävention auf PowerPoint, während draußen weitergetanzt wird. Nicht trotz der Drogen. Sondern mit ihnen.
Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Thema Drogen. Weiters sind Beiträge zum Drug-Checking und ein Interview mit Awareness-Expertin Killa Schütze erschienen. Außerdem haben wir über Sober Partys und Drogen als Selbsttherapie geschrieben.