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Drug-Checking in Deutschland: „Das Verbieten und Verteufeln von Drogen ist gescheitert”

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Dass Drogenpolitik in Deutschland progressiv sein kann, macht die Uni Rostock vor. In unserer Reportage geben die Mediziner:innen Einblick in ihre Arbeit.

Die aktuell wohl progressivsten Akteure in der deutschen Drogenpolitik arbeiten in einem recht unspektakulären Schuhbox-Hinterhaus im Rostocker Stadtzentrum. Am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock empfangen mich Dr. Anja Gummesson und Dr. Gernot Rücker. Es ist ein sonniger Montag, wir gehen in das Gebäude mit den „Leichen im Keller”, wie Gummesson scherzhaft anmerkt. 

Ein neonbeleuchteter Flur führt ins Labor, das gar nichts mit den Laboren gemein hat, die man aus Filmen oder Serien kennt. Die Wände sind nicht weiß-steril gefliest, es gibt normale Schreibtische, auf denen Geräte, Kartons und Materialien stehen, die das Team von Gummesson und Rücker für das Drug-Checking auf den Festivals in Mecklenburg-Vorpommern nutzt. In der rechten Ecke steht der eigentliche Star: ein Infrarotspektrometer. Mit diesem Gerät, das nicht viel größer als ein Schuhkarton ist, waren sie dieses Jahr auf der Fusion, dem Pangea Festival, aber auch in einer Rostocker U-Bahn oder einem Schweriner Club unterwegs, um Drogen zu überprüfen und um über ihre Arbeit aufzuklären. 

Sicherer Drogen nehmen

Was in Rostock passiert, ist inzwischen bundesweit als Drug-Checking bekannt. Das ist eine Analysemethode, bei der Konsumierende ihre gekauften Drogen anonym auf die Wirkstoffkonzentration und Verunreinigungen überprüfen lassen. In einem Fragebogen vor und einem Gespräch nach der chemischen Analyse werden Konsumabsicht, erwartete und gefundene Stoffe, Maßnahmen zum Safer Use und zu möglichen Wechselwirkungen mit Medikamenten oder Alkohol thematisiert. Falls eine gefährliche Verunreinigung festgestellt wird, warnt die Universitätsmedizin auf ihrer Website und vor Ort mit Aushängen. 

Nicht gerade Breaking Bad, aber: Überall nur Flaschen (Foto: Tom-Luca Freund)

Auf der Fusion konnte man so in diesem Jahr vor 20 hochdosierten Ecstasy-Tabletten warnen. Neben der Vorsorge für Konsumierende können auch die Wissenschaftler:innen viel lernen: „Wir erfahren viel darüber, wie verschiedenste Drogen, wenn man sie gleichzeitig konsumiert, wirken”, sagt Gummesson. „Normalerweise kennen wir Tabellen, mithilfe derer man Wirkungen von zwei interagierenden Stoffen ablesen kann. Aber wenn man mit den Konsumierenden spricht, ist das nochmal was anderes”, so die Wissenschaftlerin.

Drug-Checking hat in Deutschland eine bewegte Geschichte hinter sich, bevor es 2023 legalisiert wurde. In den 1990er-Jahren gab es hierzulande erste Projekte. Die Initiative Eve & Rave handelte damals in einer rechtlichen Grauzone, da der beim Drug-Checking notwendige Kontakt mit illegalen Substanzen schon als Drogenhandel gewertet werden konnte. Nach Anklagen gegen Vereinsmitglieder und der Anweisung aus der Politik an öffentliche Labore, solche Proben nicht mehr entgegenzunehmen, war dieses kurze Kapitel wieder geschlossen. 

Andere Länder starteten Projekte zur Drogenüberprüfung, Zürich gilt international als Vorzeigebeispiel. In Deutschland startete 2021 in Thüringen ein erstes Modellprojekt. Dort mussten die Drogen vor der Analyse von den Besitzenden mithilfe einer Substanz chemisch zerstört werden. Damit wurde sichergestellt, dass die Substanzen nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. 

Verbieten und verteufeln war gestern

Das vorerst letzte Drug-Checking-Kapitel wurde im Juni 2023 eröffnet, als der Bundestag eine Änderung des berühmtberüchtigten Betäubungsmittelgesetzes beschloss. Damit ist es den Bundesländern erlaubt, sogenannte Modellprojekte zum Drug-Checking auf Grundlage von eigenen Verordnungen durchzuführen. Mecklenburg-Vorpommern war das erste Bundesland, das Drug-Checking auf diesem Wege legalisiert hat. Das hat mit der steigenden Zahl an Drogentoten zu tun, aber auch mit den tragischen Todesfällen von Teenagern nach dem Konsum von hochdosierten Ecstasy-Pillen. 

„Wir können die bisherigen Wege nicht einfach so weitergehen.”

Stefanie Drese

„Ich habe politisch den Rückschluss gezogen, dass wir die bisherigen Wege, die wir bei der Sucht- und Drogenpolitik gegangen sind, nicht einfach so weitergehen können”, sagt Stefanie Drese, Gesundheitsministerin für die SPD in Mecklenburg-Vorpommern. „Das mit dem Verbieten und Verteufeln und so tun, als würde es keine Drogen geben, das ist gescheitert”, so die Politikerin im Gespräch mit der GROOVE.

Auch der Berliner Senat wollte 2023 neue Wege in der Drogenpolitik gehen. Kurz vor dem Bundestagsbeschluss hat man dort auf Grundlage eines Rechtsgutachtens ein Modellprojekt zum Drug-Checking gestartet – mit einem anderen Fokus als in Mecklenburg-Vorpommern. Anstelle des aufsuchenden Festival-Ansatzes stehen in der Hauptstadt drei stationäre Anlaufstellen zur Verfügung. Neben den Partykonsument:innen sollen so auch Jugendliche, Personen mit abhängigen Konsummuster oder Personen der offenen Drogenszene erreicht werden. 

Augustine Reppe (Foto: Vista)

Die Berliner Charité hat das Projekt in den ersten Monaten evaluiert. Eine Erkenntnis: Konsumierende kommen früher mit Angeboten der Suchthilfe in Kontakt. „Im Drogen- und Suchthilfesystem ohne Drug-Checking erreichen wir die Konsumierenden, die wirklich Unterstützung haben wollen, erst deutlich später”, sagt Augustine Reppe, Fachbereichsleiterin bei Vista – einem von drei Trägern des Berliner Drug-Checkings. Aktuell seien die meisten Nutzer:innen des Drug-Checking im Schnitt in ihren 20ern oder 30ern. Im besten Falle könne man ihnen schon kleine Hinweise mitgeben, die dazu führen, dass sie später gar nicht erst bei uns ankommen, so Reppe weiter.

Andere Länder, andere Schwierigkeiten

Das Heft des Handelns liegt in Deutschland bei den Bundesländern. Das sieht die Legalisierung von Drug-Checking im Jahr 2023 auch so vor, damit die Bundesländer zielgenau auf die Situation vor Ort reagieren können. Die GROOVE hat alle Landesregierungen nach einer Positionierung gefragt. Dabei zeigt sich: Sachsen oder Bayern lehnen Drug-Checking grundsätzlich ab, weil es Konsumierende in falscher Sicherheit wiegen würde. Eine Annahme, die Augustine Reppe vom Berliner Verein Vista nicht gelten lässt: „Die Leute haben schon immer konsumiert und sie werden auch immer weiter konsumieren. Wichtig ist, dass die Konsumierenden nicht eingeschränkt werden, sondern eine informierte Entscheidung treffen dürfen.” 

Auf der anderen Seite stehen Bundesländer, die eine Implementierung planen oder sie schon durchgesetzt haben. Hierbei setzt man unterschiedliche Akzente. Neben den schon geschilderten Unterschieden zwischen stationär und aufsuchendem Ansatz kann Drug-Checking auch nur an bestimmten Orten erlaubt sein. Nordrhein-Westfalen möchte die Methode beispielsweise nur in Drogenkonsumräumen einführen. 

„Auch ich habe eine 180-Grad-Wendung vollzogen.”

Dr. Gernot Rücker

Andere Bundesländer lehnen Drug-Checking zwar nicht  grundsätzlich ab, sehen aber aktuell keinen Bedarf dafür, weil beispielsweise die Zahl der Drogentoten stabil auf niedrigem Niveau sind (Brandenburg) oder vor dem Hintergrund eines hohen finanziellen Aufwands (Niedersachsen). Dieser liegt in Berlin und Thüringen, bei denen das Modellprojekt von Vereinen getragen wird, bei etwas mehr als 200.000 Euro. In Mecklenburg-Vorpommern, wo das Drug-Checking über die Rostocker Universitätsmedizin läuft, kostet das Projekt 12.000 Euro. Im Vergleich zu den Vorteilen, die neben dem Schutz von Konsumierenden auch im verstärkten Monitoring von Verunreinigungen und Konsumtrends liegt, sind das relativ kleine Posten, meinen Befürworter:innen des Verfahrens.

Alles politisch?

Drug-Checking ist aber nicht nur die rein chemische Analyse von Drogen. Es ist ein Gradmesser, wie die Gesellschaft – und mit ihr die Politik – mit dem Konsum von illegalen Substanzen umgeht. An diesem Punkt treffen konservative und progressive Drogenpolitik aufeinander. Die Position zum Drug-Checking lässt sich aber nicht nur von der Parteizugehörigkeit ableiten. So forderte der Bundesdrogenbeauftragte Hendrik Streeck von der CDU kürzlich vollumfängliches staatliches Drug-Checking. Auch die von der CDU geführte Landesregierung in Thüringen möchte das dortige Projekt fortsetzen, das die rot-rot-grüne Vorgängerregierung gestartet hatte. 

Dennoch wird vielerorts die Drug-Checking-Arbeit von der politischen Diskussion beeinflusst – so auch an der Rostocker Universitätsmedizin. Dr. Gernot Rücker fordert in diesem Zusammenhang, dass – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – alte Glaubenssätze in der Drogenpolitik hinterfragt werden, die noch aus der Zeit von Christiane F.s Wir Kinder vom Bahnhof Zoo stammen. Dass das kein schneller Prozess ist, kann er aus eigener Erfahrung sagen: „Auch ich habe eine 180-Grad-Wendung vollzogen. Ich musste mich da reinfuchsen, das hat viele Jahre gedauert.” 

Stefanie Drese geht auch andere Wege (Foto: Ministerium für Soziales, Geundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern)

Als „Epizentrum der Aufklärung”, wie Rücker die Universitätsmedizin bezeichnet, möchte das Team dafür sorgen, dass Drug-Checking weiter an Akzeptanz gewinnt. „Wir sind nicht jenes Bundesland, das den höchsten Drogenkonsum hat aber wir sind das Bundesland, das zeigt, wie man besser damit umgeht. Das ist auch ein Signal für alle anderen, weil der zweite es nie so schwer hat wie der erste”, so Rücker.

Unterstützung kommt von der Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich finde, wir sind in der Verantwortung, auch andere Wege zu gehen”, sagt SPD-Politikerin Drese. „Wenn wir Drug-Checking wissenschaftlich auswerten und sehen, dass es eine gute Ergänzung zur bestehenden Suchthilfe darstellt, ist es mein politischer Anspruch, damit auf andere Bundesländer zuzugehen.” Die beiden Rostocker Drug-Checking-Pioniere Anja Gummesson und Gernot Rücker erkennen darin zaghafte Änderungen im politischen Diskurs: „Wir haben weniger Gegner als zuvor. Aber die Revolution beginnt immer im Kleinen.”

Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Thema Drogen. Weiters sind Beiträge zur Drogenpolitik in Deutschland sowie ein Interview mit Awareness-Expertin Killa Schütze erschienen. Außerdem haben wir über Sober Partys und Drogen als Selbsttherapie geschrieben.

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