Neben dem Album des Monats haben wir im Mai weitere LPs und Compilations besprochen: Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Mai findet ihr hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier und die Compilations hier.
Priori – This but More (naff)
Ei, ei, ei, so eine Schnitzeljagd! Vor der Veröffentlichung von This but More, bei korrekter Zählung sein viertes Soloalbum, hatte Priori online einige Spuren ausgelegt. Diesen Vorzeichen war zweierlei anzuhören. Erstens: Es gibt wieder einen neuen Klang-Entwurf im Schaffen des Francis Latreille aus Montréal, Kanada. Zweitens: Es gibt einen Grund zur Vorfreude. Zunächst war da „Learn To Fly”, eine Koproduktion mit Sabola, erschienen bereits im März: Nach allen Himmelsrichtungen zerstiebende Basswolken bilden den Himmelsfokus, während erdnah die Finger schnippen und eine mädchenhafte Stimme von clear blue skies erzählt.
Vor Kurzem legte Priori mit „Wake” nach, das sich aus morgendlichen Nebelschleiern erhebt, eine Gesangsstimme erklingen lässt und dann ein lässiges Spielen mit Ambient und Breakbeats beginnt. Produziert hat er dieses Stück gemeinsam mit Jamie Krasner alias James K, der ursprünglich aus New York stammenden multimedialen Künstlerin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt. Sie und Priori sind eng befreundet. So bilden die beiden Vorab-Kollabos bereits den Rahmen des nun vollends erscheinenden Albums.
Mehr als Hits
Denn This but More setzt die einzelnen Teile zusammen zu einem Album, das nicht zerfasert. Ein Prozess des gemeinsamen Musikmachens, Aufnehmens, Produzierens ist es geworden, was nur logisch erscheint beim Blick auf das, was Francis Latreille alles treibt. Als Produzent ist er bereits seit fast zehn Jahren aktiv. Er betreibt mit naff seit sechs Jahren sein eigenes Label in Montréal – mit Künstler:innen wie Maara mit ihren verträumten Soundscapes, DJ Python mit seinem DJ-Python-Sound (Cumbia als Schwarzes Quadrat) oder dem zu Jazz, klassischer Musik und Folklore hin geöffneten Pavel Milyakov. Zudem betreibt Priori sein eigenes Studio, wo er produziert, mischt und auch mastert. So kann er eben auf die Langstrecke als künstlerische Idee setzen, statt bloß auf eine Abfolge von Hits.
„Alles Vergessene fließt dahin.”
Langstrecke bedeutet, dass es sachte losgeht und der erste Tracktitel ebenso die Stimmung erahnen lässt wie ein erster Satz in der Literatur (siehe derzeit etwa bei Barbi Markovićs Minihorror im Residenz Verlag: „Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach”). Auf „Alles Vergessene fließt dahin”, oder in Prioris Original „Everything Forgotten Flows”, schält sich eine Violine aus einer Interpretation des Grundrauschens der Planeten. Dieses Grundrauschen wird immer wiederkehren. Die Violine jedoch gerät ins Stottern, hält an, wobei die Sphären-Lautstärke zunimmt und zunimmt. Mit diesem Spannungsgeber ist „Silicate Tusks” bereit, seinen Scherenschnitt-Beat und seine wellenartigen Vibrafon-Klänge zu entfalten. Erst mit dem eingangs erwähnten „Learn To Fly” setzt This but More auf Beats.
Mit dem fünften Stück „Ruins” erreicht das Album seine Weite: ein sanftes Teil Dub Techno, dessen Hi-Hats und Snares shufflen. Von hier an bleibt es episch, und doch zeigt This but More so viele Körperformen und Gesichter wie ein guter Gestaltwandler. Auch „Thick Air” und „Basalt Tones” (mit Jesse Osborne-Lanthier) tanzen unter silbern funkelnden Spiralnebeln, während „Eternal”, die Zusammenarbeit mit NAFF-Labelmitbetreiber Adam Feingold, eine Landschaft aus verstimmten, gut gestimmten und in verschiedenen Spielgeschwindigkeiten collagierten Flöten bringt. Das abschließende, wieder mit Sabola aufgenommene „To See Our Secrets Die” fasst die Breakbeat-Melancholie zusammen. Denn wo ein Geheimnis gelüftet ist, wartet ein Neues. Oder frische Luft.