Die in der Peripherie von Frankfurt am Main und Offenbach aufgewachsene DJ Franziska Berns ist schon lange eine feste Größe im nationalen wie internationalen House-Geschehen. Dabei begann Berns’ Leidenschaft außergewöhnlich früh: So wusste sie bereits mit 15 Jahren, als sie selbst noch lange nicht in Clubs tanzen durfte, dass sie ihr Schulpraktikum auf jeden Fall in einem auf elektronische Musik spezialisierten Plattenladen machen will.
GROOVE-Autor Nathanael Stute hat in den Zehnerjahren in Frankfurt studiert und die Szene, in der Franziska Berns beginnt, sich ein Standing hinter den DJ-Booths der Clubs zu erarbeiten, selbst miterlebt.
In einem ausführlichen Gespräch mit der Künstlerin hat Stute unter anderem in Erfahrung gebracht, warum der Vinyl-Blindkauf eines House-Interpreten in einem Londoner Second-Hand-Plattenladen den Weg der Teenagerin maßgeblich vorzeichnen sollte. Außerdem spricht Berns darüber, wie sie sich im Laufe der Jahre von einer Warm-up-DJ hin zur Peaktime-Künstlerin in Clubs wie dem Robert Johnson gemausert hat und warum sie als Frau einen außerordentlich schweren Stand in der Frankfurter und Offenbacher Club-Bubble hatte.
Ich treffe Franziska Berns in ihrer Wahlheimat Berlin. Im Herbst 2022 hat es sie endgültig aus Frankfurt am Main, beziehungsweise dessen kleiner Schwesterstadt Offenbach, in die Hauptstadt verschlagen. Für das Gespräch setzen wir uns in den Schattenplatz eines Cafés in der Nähe des Neuköllner Körnerparks. Perfektem Sonnenscheinwetter entsprechend, treffe ich auf eine sympathisch strahlende Franziska Berns.
„Es war eine besonders schöne Atmosphäre an dem Abend. Irgendwie familiär, freundschaftlich, liebevoll.”
Franziska Berns
Vergangenes Wochenende hatte sie das Warm-up in der Offenbacher Club-Institution Robert Johnson gespielt. Ein Heimspiel für Berns, die dort erstmals 2019 aufgelegt und mittlerweile einen festen Platz als Resident hat. Neben Berns haben Zip und Einzelkind mit ihren Sets den legendären Holzboden des Clubs und die Körper der darauf tanzenden Menschen in Schwingungen versetzt.
Als einer der Köpfe des Minimal-House-Labels Perlon personifiziert Zip wie kein Zweiter einen deepen und hochwertig produzierten Club-Sound, die Musik des Labels ist bis heute nur auf Vinyl erhältlich. Ähnliches gilt für das Frankfurter Urgestein Einzelkind, der das Closing spielte. Dessen Label Pressure Traxx steht für einen kraftvollen, ebenfalls an Minimal geschulten House, der sich stilistisch in Richtung Techno und Acid orientiert. Im Kern ist ein Frankfurt-typischer, hochkarätiger Minimal-House so der gemeinsame Nenner der Nacht.
Für Franziska Berns war es ein besonderes Auflegen, denn Zip hat sie von der Pike auf musikalisch geprägt. Ähnliches gilt für Einzelkind, einen Freund und Förderer aus ihrer frühen DJ-Zeit. Über die Nacht sagt Berns: „Es waren wieder viele Gesichter von früher da. Und auch ein paar ältere Leute. Es war eine besonders schöne Atmosphäre an dem Abend. Irgendwie familiär, freundschaftlich, liebevoll.”
Entsprechend hat Berns ihr Set für die Nacht sehr gezielt vorbereitet, wovon sich eine gute Vorstellung gewinnen lässt, als sie mir ein paar jener Tracks, die sie gespielt hat, verrät. So stellt Skipsons „Silent Noises” – veröffentlicht auf dem ursprünglich in Frankfurt beheimateten Label Raum…musik – unter Beweis, dass es nicht mehr als ein geschickt gelooptes Vocal, eine sublime Bassline und ein paar jazzige Einsprengsel für einen wunderschönen Clubtrack mit Anspruch braucht. Eine dezidiertere Nach-Vorn-Bewegung macht Phil Evans’ „Goin’”, ein knackig arrangierter Ghetto-House-Track, der es sich erlaubt, das Tempo niedrig zu halten und wundersamerweise trotzdem aufs Gas zu drücken. Aber spätestens mit „Shhhh” der Solid Gold Playaz, einer ultrasmoothen und drückenden 20 Jahre alten French-House-Nummer, dürfte es schwer geworden sein, der Anziehungskraft dieses Warm-ups weiter zu widerstehen.
Im Winter 2022/2023 jährte sich Franziska Berns’ erster – offizieller – DJ Gig in einem Club zum zehnten Mal. Berns, damals mit 17 Jahren noch nicht volljährig, spielt das Warm-up auf dem kleinen Floor des Frankfurter Cocoon Clubs. Der Mainact des Abends sind Extrawelt, die ein Liveset spielen. Im Anschluss an Berns übernimmt Chris Tietjen die Plattenspieler in Sven Väths Feiertempel, der nur wenige Wochen später für immer seine Türen schließen wird. Weil sie nach 24 Uhr noch nicht legal in dem Club auflegen darf, muss Berns sich sogar noch den berühmt-berüchtigten Mutti-Zettel unterschreiben lassen. Doch was normalerweise wie der Start in ein Erwachsenenleben inklusive Ausgehen und Club-DJing aussieht, war in der Zeitrechnung von Franziska Berns nur ein weiterer Schritt, dem schon viel früher ganz maßgebliche Episoden vorangegangen waren.
Die erste Platte
Berns wächst in der dörflichen Umgebung von Frankfurt und Offenbach auf. Sie beginnt sich für die Plattenspieler und -sammlung eines Kumpels zu interessieren, fühlt sich als junge Teenagerin geradezu magisch von technischem Gerät und schwarzem Vinyl angezogen. Ihrem Kumpel beim Mixen zuzusehen, beschreibt Berns nach wie vor ungläubig: „Ich dachte mir: ‚Das ist für mich nicht nachvollziehbar, wie man so ein Gefühl in die Hände bekommen kann – wie kann man das so angleichen?’”
Dann fährt Berns mit ihrer Mutter nach London, wo es sie in die Second-Hand-Plattenläden der Stadt zieht. Ohne sie Probe zu hören, kauft Berns sich in einer Abteilung für elektronische Musik ihre erste Platte, um sie, wieder zuhause angekommen, bei besagtem Kumpel auf die Turntables zu werfen – und ist von der ersten Sekunde an im Bann dessen, was da aus den Lautsprechern in ihre Gehörgänge dringt. Sie geht in die Recherche: Wer ist dieser Artist? Was ist das überhaupt für eine Musik? Und gibt es irgendwo in der Nähe einen Plattenladen, bei dem ich noch mehr davon hören und kaufen kann?
Im Frankfurter Plattenladen Freebase, der genau diesen Künstler im Sortiment führt, wird Berns fündig. Die Teenagerin beginnt, einen Großteil ihrer Freizeit mit dem Diggen von Platten und dem Kennenlernen des Universums elektronischer Musik zu verbringen. Auch kauft sie sich von ihrem Konfirmationsgeld eigene Technik: Mixer, Plattenspieler, Kopfhörer und Lautsprecher. Berns erzählt und lacht dabei: „Mein Papa war richtig sauer auf mich. Er meinte, er schenke mir nie wieder Geld, ich könne damit ja nicht umgehen.”
Als Berns in der zehnten Schulklasse ein Pflichtpraktikum machen soll, ist ihr sofort klar: „Das muss ich in dem Plattenladen machen.” Zu diesem Zeitpunkt ist sie selbst ihre beste Kundin. Als zeitweise Mitarbeiterin hört sie zwangsläufig die neuesten Releases, tauscht sich über die Musik aus, entwickelt im Kontext elektronischer Clubmusik, die mensch ja üblicherweise erst im volljährigen Alter beginnt kennenzulernen, schon sehr früh ein differenziertes und nuanciertes Gehör und Gespür für Sounds, Klicks, Hats, saftige Bässe, Deepness und Qualität – und das, ohne bis dato je selbst in einem Club gestanden zu haben.
Im Elternhaus sind es ihre Plattenspieler, die sie Themen wie Schule oder andere Teenager-Befindlichkeiten vergessen lassen. Erste Gigs auf Geburtstagen in den Kellern der Elternhäuser von Freund:innen oder auf Open-Airs in den Feldern des Speckgürtels sind der Praxisinhalt von Berns’ jungen Lehrjahren. Mit 16, 17 folgen die ersten Clubbesuche als Gästin. Mit dem Reinkommen funktioniert es – wie es sich gehört – mal recht, mal schlecht. Frankfurt und Offenbach sind Städte mit einer ausgeprägten Afterhour-Kultur. In dieser Clubwelt außerhalb der Clubs kommt Berns in Kontakt mit Künstlern wie dem erwähnten Einzelkind, auf dessen Afterhours sie beginnt aufzulegen. Als sie mit gerade einmal 17 Jahren ins Cocoon gebucht wird, hat die DJ bereits drei Jahre Erfahrung vorzuweisen.
Vom Freebase ins Cocoon
Durch ihre Verbundenheit zu Freebase kommt Berns nicht nur extrem früh mit Clubmusik in Kontakt, sondern auch mit diversen Personen aus der Szene, die allesamt erheblich älter als sie selbst – und meistens männlich – sind. Besonders den Support der Freebase-Besitzer hebt Berns dabei hervor: „Carsten Schuchmann [Meat, Anm. d. Red.] war älter als ich, wahrscheinlich über 20 Jahre. Aber er und Chris Wood haben mich von Anfang an ernst genommen und nie belächelt, auch als ich mit 15 Jahren im Laden stand und gefragt habe, ob ich ein Praktikum machen kann.”
Auf diese „ältere Generation”, wie Berns sie nennt, folgen im Laufe der Zeit junge – wiederum mehrheitlich männliche – Künstler aus ihrer eigenen Altersklasse. Artists wie Phil Evans oder Markus Sommer bilden die neue DJ- und Produzierenden-Generation, es formieren sich Labels wie Traffic oder HardWorkSoftDrink.
Berns, die nach dem Abitur ein Studium mit Schwerpunkten in der Kunst und Geisteswissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität aufnimmt, erspielt sich mit dem Startschuss im Cocoon ab 2013 einen festen Platz in den Clubs der beiden Städte: dem Tanzhaus West und dessen House-Spielstätte Dora Brilliant – wo sie häufig mit Perlon-Künstler:innen auflegt und in diesem Zuge auch Zip kennenlernt –, dem Silbergold oder dem Hafen 2 in Offenbach. Im Laufe der Zeit folgen erste Gigs in Berlin und anderen deutschen Städten, 2018 wird sie erstmals auch international gebucht.
Vom Robert Johnson wird Franziska Berns aber erst 2019 unter der Ägide des damaligen Bookers Oliver Hafenbauer zum 20. Jubiläum des Clubs angefragt – ein Ritterschlag. Ihre Sichtbarkeit erhöht sich schlagartig. Sie legt im Leipziger Institut fuer Zukunft auf und knüpft erste feste Bande mit der Hauptstadt, als sie in Kontakt mit der Berliner Crew O-Mato kommt. Seit 2021 spielt Berns außerdem wiederholt Sets bei HÖR.
Wie für die meisten DJs bedeutet die Corona-Pandemie auch für Berns eine weitestgehende Auszeit vom DJing und Ausgehen. Neben einem Festivalgig und einem Booking im Robert Johnson zusammen mit Dixon im Herbst 2021 ist es vor allem die post-pandemische Zeit seit 2022, die Berns’ endgültigen Durchbruch bedeutet.
So ist sie beispielsweise Voract von Sven Väth bei der feierlichen Eröffnung des MOMEM auf einem Open-Air in der Frankfurter Innenstadt. Und sie wird für die erste Episode der ARD-Dokureihe Techno House Deutschland auf DJ-Gigs begleitet, agiert als Interviewpartnerin und irgendwie auch als Markenbotschafterin der Stadt und ihres musikkulturellen Erbes. Dass Berns seit einiger Zeit so richtig durchstartet, ist auch ihrer Berliner Booking-Agentur zu verdanken: „In Berlin habe ich meine Agentur und damit Leute, die mir immer den Rücken stärken. Das sind Menschen, die mich als vollwertige Person anerkennen, mich als Künstlerin sehen und die mich niemals irgendwie infrage stellen.”
Das andere Frankfurt
Mit der Absicht, meine persönliche Wahrnehmung der Szene mit einem internen Blick abzugleichen, möchte ich von Berns wissen, ob sich die Frankfurter und Offenbacher Szene immer auch durch Arroganz oder Unnahbarkeit gekennzeichnet hat. Berns entgegnet mir unverblümt – sich damit einschließend:
„Es ist tatsächlich so, dass Frankfurter und Offenbacher Leute ein bisschen verschlossen oder arrogant wirken. Man merkt schon, dass alle, die es in diese Bubble geschafft haben, viel auf sich halten oder zu dem Zeitpunkt gehalten haben und wiederum selbst eher weniger bereit sind, andere Leute willkommen zu heißen. Wenn man dazugehört, mag es vielleicht cool sein, aber für Außenstehende mag das schon sehr wie eine geschlossene Gemeinschaft wirken.”
Und plötzlich, ganz unerwartet und unbeabsichtigt, schwenkt das Gespräch zu den Schattenseiten der Szene und Berns’ eigener Rolle in ihr um. So ist jenes Milieu, in dem sie sich von Anfang an als junge Frau behaupten muss, nicht selten durch Missgunst geprägt, innovationsfremd-konservativ und bis ins Mark durch Misogynie durchtränkt. Berns sagt: „Als Frau in Frankfurt/Offenbach hatte man es nicht so leicht. Es wurden viele Frauen neben mir rausgeekelt.”
Franziska Berns erzählt von vielen verstörenden Episoden vor allem aus der Prä-Corona-Zeit, die wie mittelalterliche Schauergeschichten anmuten. Beispielsweise schildert sie einen Vorfall mit einer jungen Frau, der auf einer Open-Decks-Party das Auflegen untersagt wurde, die sogar körperlich angegangen wurde: „Ich habe viele andere Frauen gesehen, die teilweise sogar wortwörtlich weggeschubst wurden. Zum Beispiel auf einer Tagsüber-Party, wo ein Mädel gefragt hat, ob sie auch mal eine Platte spielen darf.”
Nicht selten habe sie ausgeprägtes Reviergehabe unter Menschen miterlebt, die eigentlich Kollegen und Freunde sind. Schließlich erzählt sie von der Verbreitung diskreditierender Falschinformationen – sie, Berns, sei an DJ-Freundschaften nur aus Eigennutz zugunsten der Coolness und Karriere interessiert.
„Mit Corona, wo viele einen persönlichen Einbruch hatten, fühlten sich diese Künstler vielleicht gar nicht mehr in der Position, Frauen noch fertig zu machen.”
Franziska Berns
Insgesamt nimmt Berns aber eine starke Veränderung des allgemeinen Klimas in der Szene vor und nach Corona wahr. So kommen in letzter Zeit immer wieder Personen auf sie zu, die sich bei ihr entschuldigen, was sie nicht selten verstörend findet. Diese Anfälle von Reue intepretiert Berns aber nicht nur als Akte der Nächstenliebe. So kommen seit Corona unterschiedliche Aspekte zusammen, die das erklären könnten: Einmal die grundsätzlich positive Entwicklung einer lange überfälligen Awareness-Bildung in puncto Förderung und Booking explizit von Frauen und queeren Personen.
Gleichzeitig vermutet Berns, dass ihre erhöhte Sichtbarkeit, etwa im internationalen Geschehen, dafür sorgt, dass Menschen, beziehungsweise Männer, gar keine andere Möglichkeit mehr haben, als sie nicht weiter zu diskreditieren, also Sanktionsmechanischen greifen, die sich die Szene neuerlich selbst implementiert hat:
„Mit Corona, wo viele Künstler einen persönlichen Einbruch hatten, fühlten sich diese Künstler vielleicht gar nicht mehr in der Position, Frauen jetzt noch fertig zu machen. So nach dem Motto, wenn sie sich das jetzt noch erlauben, sind sie ja komplett raus. Es hat sich etwas verändert. Leute haben plötzlich Angst um ihren Ruf bekommen, wenn sie Frauen weiter wenig Plattform geben.”
Wenngleich diese Fallbeispiele zeigen, wie der Fortschritt anscheinend manchmal nicht anders zu erkaufen ist als über Mechanismen wie öffentlichen Druck, so hat zumindest Franziska Berns selbst nie ihren Optimismus verloren oder sich – noch viel wichtiger – ihre Leidenschaft kaputt machen lassen: „Im Endeffekt bin ich natürlich froh, dass ich mich nicht habe unterkriegen lassen. Es hat mich stark gemacht, aber es gab wirklich schwierige Momente, wenn man mal an sich zweifelt oder der Druck zu viel wird.”
Clubkultur-Mentalität
Zwar hatte Berns im Cocoon ihren ersten Gig und stand in den Anfangsjahren als DJ hinter so ziemlich jeder DJ-Booth der Stadt – nur die Kür, das Auflegen im Robert Johnson, ließ lange auf sich warten. Genetisch verbunden mit dem Club fühlte sich Berns aber schon früher: „Meine ersten Erinnerungen an das Robert Johnson waren auf jeden Fall die Nächte mit Zip, als ich endlich selbst in Clubs gehen konnte. Das ist mittlerweile zehn Jahre her.” Ein genauerer Blick in den Club ist elementar, um Berns’ musikalischer Prägung und Entfaltung auf die Schliche zu kommen. Was ist das Besondere der Wirkstätte Robert Johnson, welcher Einfluss ging von hier auf Berns aus?
Sven Väths Cocoon-Universum war Bigroom-, Progressive-, Tech-House, außerdem groß, resonanz- und außenwirkungsaffin, visuell. Ganz anders Ata Macias’ Robert Johnson auf der anderen Mainseite. 1999, noch fünf Jahre vor dem Cocoon eröffnet, setzt der Club von Beginn an auf ein Konzept des Minimalismus. Sei es das Interieur mit seinem spartanischen, verhältnismäßig kleinen, rechteckigen Raum, die Lichtanlage, nur bestehend aus einem Dutzend Lichtröhren in unterschiedlichen Farben, die für alle gut sichtbare Dezibel-Anzeige im DJ-Pult und der ikonische Rotary-Mixer, oder seien es die Analogfernseher hinter dem DJ-Pult, auf denen in ewiger Wiederholung die immergleichen Clips gleichgeschaltet laufen.
Oder es sei an die Phase erinnert, in der das Line-up nicht bekanntgegeben wurde, nur Set-Schnipsel vorhörbar waren und das Gemunkel groß war, wer heute spielen würde. Eine gezielte Dekonstruktion des Sicht- und Wissbaren auf ein Minimum und eine gleichzeitige Affirmation des Hörbaren. Überhaupt, der Sound: Schwer bestreitbar dürfte das Robert Johnson das bestaustarierteste Club-Soundsystem Europas haben.
Die (Gegen-)Bewegung hin zum Minimalen passt in die Zeit der Entstehung des Clubs. Ende der Neunzigerjahre hatte die medienerfolgreiche Rave-Pop-Kultur den Underground-Charakter des originären Neunzigerjahre-House und -Techno dem kapitalistischen Ausverkauf preisgegeben. Minimal entsteht als totale Antithese zum Drüber und Billig. Der neue Sound ist fordernd, alles andere als eingängig, geradezu langweilig: Da passiert ja gar nichts!
Gleichzeitig ist er im Wenigen umso hochwertiger: Das, was noch hörbar übrig bleibt, ist mit einem klaren Anspruch in Szene gesetzt. Künstler wie Ricardo Villalobos, Richie Hawtin, Roman Flügel, Zip, Gerd Janson, das Label Playhouse oder Running Back personifizieren auf ihre eigene Weise jene Soundwelten, die sich im Kern allesamt auf das eine Moment verständigen, wieder die Musik zu inszenieren.
Und als in Berlin Clubs wie die Bar25 tagelanges Durchfeiern in Seemanns-Outfit in shabby-chicer Zirkusmanegen-Optik populär werden lassen und damit dem Sichtbaren neben dem Hörbaren einen festen Platz zuweisen, verweigert sich das Robert Johnson und bewahrt seine Haltung.
Das ist grob die Kultur, in die Franziska Berns hineinwächst, was an Aussagen wie der folgenden evident wird: „Je mehr ich angefangen habe, rumzureisen, desto mehr Vergleiche ich hatte, merkte ich, dass das der Ort ist, an dem ich mich am wohlsten fühle. Wo weniger Schnickschnack drumherum ist, sich das Geschehen nicht in irgendwelchen dunklen Kämmerchen oder Spielräumen verliert. Im Robert Johnson ist man in der Mitte der Tanzfläche, man hört die Musik organisch und klar und der Sound ist perfekt arrangiert. Man ist auch nicht abgelenkt von zu viel Nebel, Strobo oder anderen Dingen. Es ist authentisch, minimalistisch, und trotzdem kann man sich total frei fühlen und gehen lassen.”
Identitätsentwicklung
Noch vor dem Ausgehen im Robert Johnson ist es aber der Plattenladen Freebase, der Berns musikalisch originär prägt. Über ihre Einflüsse und den Stil jener Zeit sagt sie: „Der ‚Freebase-Sound’ war im Kern auf jeden Fall minimalistischer, techiger House. Das war die Zeit um 2010. Vor allem die Perlon-Platten habe ich eigentlich immer alle gekauft. Giegling trat da auch gerade neu auf.”
In dieser Anfangszeit kaufte und spielte Berns vornehmlich aktuelle Releases. Das hat sich mittlerweile geändert. So erschließt sich die DJ seit einiger Zeit auch vermehrt ältere Musik. Als wir uns in diesem Kontext in einem (wehmütigen) Nerd-Talk über Playhouse- und frühe Live-At-Robert-Johnson-Platten verlieren, stellt Berns für sich fest: „Heute ist es so, dass vieles sehr synthetisch klingt, perfekt gemastert ist, on point. Früher hat man vielleicht eher nochmal einen kleinen Shuffle drin gehabt.”
Nachdem der Freebase Store vor einigen Jahren seine Tore geschlossen hat, entdeckte Berns vor ihrem Wegzug nach Berlin den einzig verbliebenen Offenbacher Plattenladen Mainrecords für sich, der, weniger auf neue Releases ausgerichtet, eine Art kleines historisches Archiv für (Offenbacher/Frankfurter) Clubmusik darstellt. Berns Hin- beziehungsweise Rückwendung zum Alten erklärt sich auch dadurch: „In den letzten Jahren habe ich angefangen, mich durch alte Sammlungen zu diggen. In Offenbach gab es ja nur noch einen Plattenladen, Mainrecords, mit ganz vielen alten Platten, auch Robert-Johnson-Klassikern von DJs, die mittlerweile in Rente sind. Der Besitzer Chris ist schon lange in der Szene und konnte mir immer Sachen sagen wie: ‚Ach, das hier war Anfang 2000 im Robert Johnson ein Hit.’ Und wir fragten uns dann: ‚Warum spielt das denn niemand mehr?’ So was finde ich schön, in die Tasche zu packen.”
„Die Bassline ist mit das wichtigste Element für mich.”
Platten, die für Berns Zeitlosigkeit besitzen, sind zum Beispiel Konrad Black & Ghostmans „Medusa Smile (Don’t Look Back)” von 2005, eine an Minimal – und ein bisschen auch an Electro-Indie – geschulte, drückende Vocal-House-Nummer, unter der eine massive Bassline rollt. Auf das Jahr 1990 wiederum datiert Psychic TVs „Infinite Beat”, ein Teaser-Track mit genauso simpler wie affizierender Bassline, Klavier-Chords, Michael-Jackson-Thriller-esken Vocaleinsätzen und Psychedelic-Rock-Gitarrenschrammeln. Der Track weist House als damals noch verhältnismäßig junges Genre aus, das Versatzstücke unterschiedlichster Disziplinen aufgreift und zu etwas Neuem synthetisiert. Schließlich Larry Heards „Teleportation”, der Opener seines 1997 erschienenen Albums Dance 2000. „Teleportation” ist auch eine Art Blaupause von Franziska Berns’ eigenem Sounduniversum, das sie auf meine Rückfrage hin so skizziert: „Ich würde schon sagen, dass mein Sound grundsätzlich vor allem bouncy ist und dass es gleichzeitig nicht zu flächig oder unemotional wird. Die Bassline ist mit das wichtigste Element für mich.”
Besonders jetzt, da sie immer häufiger den Rollenwechsel von einer Warm-up- hin zur Peaktime-DJ macht, wird dieser Anspruch umso klarer: Der Sound soll drücken, darf auch mal schneller sein, kann technoide Elemente aufgreifen. Roza Terenzi sei beispielsweise eine Künstlerin, die – zeitgenössisch – mit ihren Produktionen auf perfekte Weise jene Sphäre zwischen House und Techno füllt, an der Berns im Moment interessiert ist: „Richtig gerne mag ich gerade Sachen, die ein bisschen proggy sind, wo trotz des Technoiden positive Elemente drin sind und es insgesamt nicht zu düster ist.”
Apropos proggy. An dieser Stelle offenbart sich eine spannende – aber bei genauem Hinsehen nur vermeintliche – Inkonsistenz in Berns’ Aussagen. Denn an einer anderen Stelle des Gesprächs, in dem es um gegenwärtige Moden in der Musik und der Szene geht, positioniert sich Berns bisweilen kritisch gegenüber einem Stil, der momentan gefühlt allgegenwärtig den House-Sound der Clubs bestimmt. Und damit ist nicht der Rave-Trash gemeint, der ebenfalls momentan Hochkonjunktur hat. Berns spricht von ‚Energetic House’.
Dabei scheinen zwei Aspekte in der Welt des Energetic House eine zentrale Rolle zu spielen, die schon beim oben gemachten Unterschied zwischen Cocoon Club und Robert Johnson tragend waren: Das Visuelle und das Klangliche. Siehst du nicht cool genug aus, bist du nicht willkommen, und was cool ist, entscheidet das Kollektiv. Dann das Klangliche: Der Sound ist House und kein Industrial Techno. Er ist sogar extrem nah an dem Sound dran, den Franziska Berns selbst gut findet und spielt. Mit einem Unterschied: Der Energetic House, der derzeit auf den Tanzflächen einschlägiger Partyreihen, Clubs und Festivals tonangebend ist, ist einer, in dem Emotion, Wärme oder einfach zu starke Harmonien unerwünscht sind. Aber Gefühl – und sei es nur in Minimal-esken Dosen verabreicht – ist für Berns ein unveräußerliches stilistisches Element.
Es ist vielleicht genau diese Perspektive, aus der verständlich wird, wenn Berns über die Perlon-Nacht im Robert Johnson folgendermaßen spricht: „Dieses Aufgesetzte, das viel in der Szene zu finden ist, diese instagrammablen Momente oder Inszenierungen, mit Leuten, die sich so und so anziehen und ihre Gigs auch dementsprechend vorbereiten. Das war im Robert Johnson in dieser Nacht halt nicht.”
„Ich kann auch nicht die ganze Zeit eine Laune versprühen nach dem Motto: alles toll.”
Franziska Berns
Dass Franziska Berns zu der Sorte Interviewpartnerin gehört, die unverstellt ihre Meinung äußert, zeigt sich auch in ihrer zugleich differenzierten, aber auch relativ klaren Haltung gegenüber der anderen Mode, dem Trash, in dem die Szene momentan deliriert.
Auf meine Frage, ob nicht der Trash, der selbst auf den anerkanntesten Dancefloors der Welt gerade geduldet wird, den Anspruch einer ästhetisch hochwertigen elektronischen Musik untergräbt und irgendwie auch ein gewisses Frankfurter-Offenbacherisches Selbstverständnis tangiert, sagt Berns: „Ja, die Musik mit Trash-Elementen – macht Spaß, mal für zwei, drei Stunden. Aber generell ist mein Motto: Don’t believe the hype. Denn genauso schnell wie ein Hype kommt, ist er auch wieder weg.”