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Reisebericht Ibiza: Die Sehnsuchtsvorstellung eines Raves, den man sich zusammenfilmt

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Feiern auf Ibiza ist mittlerweile so teuer, dass es sich nur noch Betuchte leisten können. Verpassen die anderen was? Und wie ist die Stimmung auf der Insel? Wir haben uns durch die Clubs geschlagen und veröffentlichen zum Saisonstart im Traditionsclub Pacha unsere Reportage über den legendären Rave-Sehnsuchtsort.

Sie blicken mir alle entgegen. Manche grinsen, manche schauen betont unnahbar oder haben sich gleich eine Sonnenbrille aufgezogen, wieder andere geben das Partyschweinchen und damit ein noch uneingelöstes Versprechen an potenzielle Gäste ab – auf Ibiza buhlen die ganz Großen aus dem DJ-Zirkus bereits am Flughafen um die Aufmerksamkeit der just Gelandeten. Die Ankunftshalle ist gepflastert mit Plakaten und kleinen Aufstellern, auf denen von Tech-House-Hüne Solomun bis zum EDM-Act Fisher so ziemlich alles Platz findet, was auf der Insel Sinn macht.

Vor dem Flughafen wartet ein silberner Van, dessen Fahrer mich trotz ungefähr gleichen Alters mit „Sir” anspricht. Ich bin Press. Auf der Fahrt passieren wir großformatige Billboards, auf denen Stars wie Charlotte de Witte für ihre Partys werben, immer mit einem Wochentag verknüpft. Nicht nur sie beschwören Parallelen zu Los Angeles: das drückende, schwüle Wetter, das im Sichtfeld stets dominierende Beige, die Unwirtlichkeit der Umgebung, auf der die Kulissen fürs menschengemachte Spektakel provisorisch, doch beständig platziert wurden.

Unser Ziel ist das Pacha, einer der traditionsreichsten Clubs der Insel. Seit 1973 prägt er die ibizenkische und damit auch die internationale Clubkultur, es gibt Ableger in München oder im österreichischen Ischgl, wieder andere in London oder Buenos Aires sind inzwischen geschlossen. Auch auf der Fassade des zugehörigen Hotels auf der anderen Straßenseite prangt die ikonische Doppelkirsche, seit Jahrzehnten ein Symbol für ungezügelten Hedonismus, den man sich leisten können muss.

Manch eine wippt mit, andere stehen mit Getränken aus den Bars der angrenzenden Promenade in der Gegend herum und blicken sich verstohlen um.

Momentan lässt sich dieser nur erahnen: Das legendäre Pacha sieht früh am Morgen aus wie eine Ferienanlage in einer Gated Community. Hinter einem hohen Bretterzaun steht der Komplex, der den Club beherbergt. Am Haupteingang wird bereits gewerkelt, das samstägliche Flower-Power-Artwork mit dem der heutigen Party namens +1 ersetzt. Ben Sterling und Haupt-Act BLOND:ISH werden später spielen und versuchen, ihr Event vom allwöchentlichen Betrieb abzuheben.

Im Hotel, das auf den einleuchtenden Namen El Hotel Pacha hört und wie die Insel selbst mit allerlei Beige-Tönen aufwartet, ist gerade Frühstückszeit. An den Tischen finden sich erstaunlich viele Paare ein, um in relaxter Atmosphäre in einen weiteren Tag zu starten, der aussehen dürfte wie die bisherigen auch: Tagsüber an den Strand, abends in ein Restaurant, dann in den Club, um 6 Uhr früh rausstolpern, schlafen und auskatern. Das Durchschnittsalter liegt erwartungsgemäß eher hoch. Nicht nur weil Ibiza für jüngere Raver:innen wohl kaum noch die Traumdestination ist, die es in den Achtzigern und möglicherweise noch den Zweitausendern darstellte. Wer seinen Aktivurlaub hier verbringen will, sollte auf ein mehr als solides Finanzpolster zurückgreifen können.

Die Preise auf Ibiza (Foto: Maximilian Fritz)
Die Preise auf Ibiza (Foto: Maximilian Fritz)

50 Euro Eintritt kostet der heutige Sonntag im Pacha, Purple Disco Machine morgen 60 Euro. Doch das ist nichts gegen den Montag im Ushuaïa, wo David Guetta seinen Gästen 100 Euro aus der Tasche zieht. Wohl dem, der einen Verbindungsmann auf der Insel hat: Frank „Phrank” Weyrauther fotografiert das Treiben auf Ibiza seit den Neunzigern und ist so etwas wie ein menschlicher Partykompass. Nach einem klimatisierten Mittagsschlaf im Hotel, vor dem mir ein dem Symbolismus dieser Geste gewahrer und deshalb feierlich grinsender Angestellter eine Schüssel voller Kirschen aufs Zimmer bringt, erfolgt die erste Kontaktaufnahme: Luciano spielt im Hafen, schreibt Phrank. Und das, man höre und staune, umsonst. Außerdem dabei: Franky Wah, der die Party namens SHÈN präsentiert und aussieht wie die Karikatur eines Ibiza-DJs, Miss Monique und Nohan. Anschließend sollen die Festlichkeiten im Club Chinois unter anderem mit Sasha und John Digweed weitergehen.

Wann ist ein Mann ein Mann? 

Im Hafen ist eine riesige Bühne mit LED-Wand und acht Strahlern aufgebaut. Wer gerade spielt, ist schwer zu erkennen, weil sich – das gehört zu Ibiza wie überteuerte Getränke – eine irrsinnig hohe Anzahl von Leuten hinter dem DJ-Pult tummelt. Nach einem Check auf Instagram stellt sich der DJ als Franky Wah höchstpersönlich heraus, der mit weit geöffnetem weißen Hemd seine Muskeln zur Schau stellt und glatte Big-Room-Tech-House-Grooves wie den von „Somos Libres” von Cato Anaya & Eran Hersh aus seinem USB-Stick schraubt. Vor der langsam untergehenden Sonne schindet das Eindruck, insbesondere dank der theatralischen Strings. Manch eine wippt mit, andere stehen mit Getränken aus den Bars der angrenzenden Promenade in der Gegend herum und blicken sich verstohlen um. Besonders augenscheinlich wird, dass nach Ibiza nicht ausschließlich Partytourist:innen pilgern. Österreichische Familien, Grüppchen von Seniorinnen, die die Wärme suchen, und ganz herkömmliche deutsche Pärchen mittleren Alters stehen auf dem Gratis-Rave, vielleicht sogar auch die eine oder der andere Einheimische.

Noch vor Einbruch der Dämmerung geht es zurück ins Pacha Hotel. Die erste Nacht im Club steht an, und für die will man geschniegelt und gestriegelt sein. Oder zumindest eine lange Hose anhaben, wie es das Pressebriefing der zuständigen Agentur verlangt: „Please keep in mind that men should wear long trousers.” Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn seine Hose bis zu den Schuhen reicht, so einfach ist das manchmal. Jetzt nur noch die Straße überqueren und beim Eiertanz am Pacha Family Entrance mehrfach versichern, dass man auch wirklich auf der Gästeliste steht, um Einlass in den VIP-Garten zu bekommen.

Ähnlich wie von den Sitzkirschen einige Meter zuvor geht von diesem pulsierenden Dungeon eine eigenartige Faszination aus, teils camp, teils cringe.

Drin. Alles ist in mattes violettes Licht getaucht, Palmen und bequeme Sitzgelegenheiten schmiegen sich aneinander. Das Publikum sieht aus wie erwartet: überwiegend heteronormativ, teils aufwendig gestylt, aufgeregt strahlend und vorfreudig, bereit für eine großartige Nacht. Die Frauen tragen oft knappe Kleider, viel Make-up und nicht selten hochhackige Schuhe. Die Männer lassen es ruhiger angehen, weil sie es können: Viele sehen mit Basecap, kurzärmligen Hemden und flachen, unspektakulären Schuhen aus wie NPCs. Schockierend: Haufenweise meiner Geschlechtsgenossen tragen Shorts, setzen sich also über ungeschriebene, in meinem Fall geschriebene Gesetze hinweg. Auf diesen Schock erst mal einen Drink-Token verbraten, sonst stünden um die 25 Euro für einen Gin Tonic zu Buche.

Auf dem Weg in den tatsächlichen Club lauern diverse Attraktionen, die das VIP-Publikum bei Laune halten. Eine Zweierbank mit dem Pacha-Logo etwa, auf deren Kirschen je eine Person Platz findet. In ihrer pompösen Geschmacklosigkeit hat sie etwas extrem Anziehendes und wird deshalb praktisch den ganzen Abend lang für Fotos genutzt. Ähnlich verhält es sich mit dem rechtwinkligen Gang, der zum VIP-Bereich führt. Komplett mit LEDs ausgekleidet, räkeln sich in ihm Silhouetten von Tänzer:innen – links, rechts, oben, unten. Die Gäste tun es ihnen nach und posieren ausgiebig für Fotos, wodurch sie die enge Passage gerne mal für einige Sekunden verstopfen. Irgendwie kann man das verstehen, ähnlich wie von den Sitzkirschen einige Meter zuvor geht von diesem pulsierenden Dungeon eine eigenartige Faszination aus, teils camp, teils cringe.

Jim Morrisons unterkühlte Dringlichkeit 

Nach VIP-Garten und VIP-Tunnel wartet die größte Attraktion noch: Der VIP-Bereich über dem Dancefloor. Nach dem Präsentieren des VIP-Bändchens am Handgelenk nickt ein mürrischer Security und gibt die Treppe nach oben frei. Während unten bereits alles tanzt, geht es für mich dorthin, wo sich die Reichen und Schönen vergnügen und auf das gemeine Fußvolk herabblicken. Der Hauptraum des Pacha ist imposant: An der Decke befinden sich Sechsecke, die im gleichmäßigen Takt Aufglimmen und den Eindruck erwecken, man befinde sich in einem brummenden Bienenstock. Gleich unter dieser gigantomanischen Architektur ragt ein riesiger Balkon in den Raum, auf dem die DJs und diejenigen Platz finden, die noch mehr bezahlt haben als der Rest. Er besteht wiederum aus verschiedenen Arealen, die man nur mit bestimmten Bändchen erreicht. Die Faustregel dabei: Je näher du an den DJ willst, desto mehr solltest du investiert haben. Es gibt Table-Service und Wodka-Boote, eher im hinteren Bereich, vorne in Richtung Brüstung intensiviert sich das Gedränge, sodass nur schwer Tanzdynamik aufkommt. Unablässig laufen Securitys durch die Menge und sorgen dafür, dass sich niemand zu lange an einem Fleck aufhält. Eingänge müssen frei bleiben, genauso wie die Zulieferungswege der Bedienungen.

Das Pacha bebt während BLOND:ISHs Set (Foto: Pacha Ibiza)
Das Pacha bebt während BLOND:ISHs Set (Foto: Pacha Ibiza)

Vorne an der Kanzel stehen Ben Sterling und Gastgeberin BLOND:ISH und heizen ein. Besonders die Kanadierin versteht sich als Animateurin und beherrscht das große Einmaleins der DJ-Gesten: Das theatralische Wedeln mit beiden Armen bei Drops, selbstherrliche Posen, die an römische Kaiser im Kolosseum erinnern, das dramatische Hin- und Herwogen hinter den Decks. Gelegenheit dazu gibt es genug, weil ihr Set nicht kontinuierlich fließt, sondern immer wieder Pausen einlegt, um die nächsten einzigartigen Momente heraufzubeschwören, die das Publikum gierig mit seinen Smartphones einfängt. Der glatte, großräumige Tech-House-Sound in Verbindung mit Pop-Elementen eignet sich dafür hervorragend und unterscheidet sich kaum von EDM, nicht zuletzt wegen Mitsing-Passagen: „Come On, Baby, Light My Fire”, schallt Jim Morrisons legendäres Organ mit seiner unterkühlten Dringlichkeit aus den Boxen. „Try To Set The Night On Fire”, heißt es auch im Tech-House-Edit des The-Doors-Songs.

BLOND:ISH hat Bock (Foto: Pacha Ibiza)
BLOND:ISH hat Bock (Foto: Pacha Ibiza)

Das gelingt nicht ganz, wie ein Besuch auf dem Normalo-Dancefloor unterhalb von BLOND:ISH nahelegt. Was vom VIP-Balkon alleine wegen der schieren Menge an Menschen spektakulär aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als statisches Schauspiel von für mich ungekannter Qualität. Locker jede dritte Person unterhalb der Booth hat ihr Handy im Anschlag, bereit fürs perfekte Video, das suggeriert, man hätte eine gute Zeit. Und, vielleicht noch wichtiger, das Gemeinschaft konstituiert. Jede:r hier tanzt seltsam neben- und nicht wirklich miteinander, verbunden in der angestrebten, aber nicht erreichten Sehnsuchtsvorstellung eines Raves, den man sich auf Bildschirmen zusammenfilmt.

Viele Typen tanzen oberkörperfrei oder mit Harnessen stark schwitzend den TikTok-Techno-Tanz, betreiben ein Workout, wie in der Hard-Techno-Szene so gerne gefordert.

„Kommst du noch?”, schreibt Phrank um 3 Uhr morgens. Er fotografiert im Amnesia, wo heute die Techno-Party Pyramid mit Adiel, Charlotte de Witte, Nico Moreno und, tatsächlich, Mathias Kaden steigt, und hat mich auf die Gästeliste setzen lassen. 15 Euro kostet ein Taxi vom Pacha aus – überraschend günstig. In der 5000-Besucher:innen-Disko gibt es zwei Floors, Main Room und Terrace. Gerade spielt Nico Moreno und reiht bei über 150 BPM einen Hard-Techno-Track mit grob verzerrten Kicks, Hardstyle-Claps und Hoover-Sounds nach dem anderen aneinander. Das Publikum unterscheidet sich dementsprechend vom Pacha: Viele Typen tanzen oberkörperfrei oder mit Harnessen stark schwitzend den TikTok-Techno-Tanz, betreiben ein Workout, wie in der Hard-Techno-Szene so gerne gefordert. Der Dancefloor ist ihr Gym, Nico Moreno liefert zusammen mit den Podest-Tänzerinnen, die sichtlich Mühe haben, sich zur Musik zu bewegen, den Soundtrack zum Abschwitzen.

Nico Moreno im Amnesia (Foto: phrank.net)
Nico Moreno macht das Amnesia zum Gym (Foto: phrank.net)

Die Surrealität des Ganzen

Ein Raver im Amnesia (Foto: phrank.net)
Ein Raver im Amnesia (Foto: phrank.net)

Das hätte ich hier nicht erwartet. Sonnenschein, Afterhours, Open Airs – Ibiza war für mich die Insel des mitunter geschmackssicheren, nie endenden Tech-House. Einer funktionalen musikalischen Untermalung, ungezwungen, tanzbar, die niemanden verschreckt und einen niedrigschwelligen Zugang ermöglicht. Dass es hier zugeht wie auf einem UNREAL-Rave, überrascht.

Charlotte de Wittes Set auf der Terrace kommt dagegen beinahe zahm daher. Sie steht im weißen R&S-Longsleeve hinter der Booth und spielt zwar intensiven, aber nicht aggressiven Techno. Am gegenüberliegenden Ende des ellenlangen Raumes dreht sich ihr Name, projiziert von einem Beamer an der Decke. „Das war hier mal eine riesige Finca”, schreit mir Phrank ins Ohr, den ich neben der etwas erhöhten Booth treffe. Hier ist es erstaunlich ruhig, und man hat einen optimalen Blick auf die ersten Reihen. Nicht wenige der Anwesenden tragen Sonnenbrillen, die Crowd hier dürfte etwas jünger sein als im Pacha. Der Dancefloor ist von einer Galerie eingehegt, von der aus das Publikum sich selbst beobachtet und den riesigen Raum zu begreifen versucht.

Nebel, Handys, Exzess: Die Stimmung im Amnesia (Foto: phrank.net)
Nebel, Handys, Exzess: Die Stimmung im Amnesia (Foto: phrank.net)

Damit hat man einiges zu tun: Neonfarben strahlen aus jeder Ecke, auf Podesten befinden sich Tänzerinnen und Gäste, dazu die schiere Größe und die ohrenbetäubende Lautstärke. Einzig Charlotte de Witte zeigt sich davon nicht beeindruckt, posiert mit unnahbarer Miene für Kameras und versucht wie ihr Kollege nebenan, ihrem Set mit einem der ältesten aller Taschenspielertricks Live-Charakter einzuhauchen: Bei langen Breaks dreht sie vermeintlich angestrengt am Mixer und erweckt so den Eindruck, sie erzeuge diese Töne. Auch in dieser Hinsicht hat Ibiza viel mit dem tradierten Bild von Los Angeles gemein: Die Performanz, die Oberflächlichkeit, mit der man sich inszeniert – und die Surrealität des Ganzen.

Auch die Podeste wurden im Amnesia betanzt (Foto: phrank.net)
Auch die Podeste wurden im Amnesia betanzt (Foto: phrank.net)

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