Dem britischen Berliner, der sich Ant Orange nennt, gelingen immer wieder interessante Variationen des zum Überdruss Bekannten – von Neunziger-Drum’n’Bass über Neunziger-IDM zu Neunziger-Electronica, die sich dann doch immer erfreulich ungewohnt anhören. Ein bisschen so wie der Jazz heutzutage. Sein vor ziemlich genau zwei Jahren erschienenes Album hat Jazz in diesem Sinne verstanden, als Methode, das Alte und Eingeübte zu respektieren, aber doch noch einmal einige Umdrehungen weiterzuspinnen, neu zu vernetzen und in sich zu verschieben – auf angenehm lockere, spielerische Weise. Die nun erscheinenden Bearbeitungen You’re Super In Diagonal Remixed (Karaoke Kalk, 26. August) nehmen diese Idee gerne an und machen etwas damit, etwas typisches Eigenes; wie Ricardo Villalobos’ „Siebhouse Mix”, der durchaus so klingt wie sehr viel anderes von ihm aus den vergangenen 20 Jahren, nur eben noch um eine weiteres Produktionslevel verfeinert. Ada, wie toll, endlich wieder öfter von ihr zu hören, und Tolouse Low Trax machen ebenfalls ihr jeweils typisches Ding, aber doch ganz nah an der offenen wie unverkrampften Spielweise der Originale – in Dub.

Ein originellen Zugriff auf altbewährte Styles hat auch der südafrikanische, in London lebende Produzent OKZharp für sich entwickelt. Naheliegend geht er von Gqom aus, nimmt noch den eingefrorenen Hyperspeed von Footwork und Juke, ähnlich abstrahiert wie bei Jlin, und setzt noch Saugbässe und relativ gerade Breakbeats aus dem Spätneunziger-Tech-Step darunter – letzteres ein Genre, das für den Kolumnisten seinerzeit das finale Abklingen jeglicher Faszination für Drum’n’Bass einläutete. Auf der feinen EP Outside The Ride (Hyperdub, 5. August) klingt alles, sogar die Tech-Step-Bässe, wieder frisch, weil es eben nicht nur angeeignet wird, sondern in etwas anderes transformiert ist.

Im dekadenlang bespielten, bis in kleinste Verästelungen ausdifferenzierten Genre Ambient noch eine wiedererkennbar eigene Stimme zu etablieren, ist eine beachtliche Leistung. Dem Italiener Lorenzo Bracaloni ist es mit dem Alias Fallen gelungen, indem er die üblichen Zutaten des modernen Ambient, digitales Soundprocessing, Klassik- oder Soundtrack-Samples, synthetische Flächen und eher impressionistisch im Raum verteilte denn melodisch funktionale Pianotupfer, in eigenwillige klangliche Extreme geführt hat, die direkt wiedererkennbar sind. Vom Klavier bleiben nur kristalline Spitzen, die Synth-Pads liegen blank und das orchestrale Pathos ist eingedampft zu einem elegisch simmernden Emotionskonzentrat.

In konzentrierter Perfektion nachzuhören auf dem jüngsten Album Our Dreams Will Be Told (ROHS! Records, 20. Mai) und dem epischen Beauty and Misery (Slow Tone Collages, 20. August) auf der neuen, speziell für langformatige Tracks ausgelegten digitalen Plattform des Amsterdamer Labels Shimmering Moods. Wie Bracaloni das spezifische Sounddesign von Fallen langsam entwickelt hat, lässt sich an Soft Skin, Eternal Verses (Mahorka, 2. Juli) spannend nachvollziehen. Das Tape auf dem bulgarischen Label Mahorka versammelt unveröffentlichtes Material aus der Anfangszeit von Fallen um 2016. Die typischen Klangelemente sind bereits alle vorhanden, sie klingen nur noch etwas normaler, sind in einem Kontext zu hören, der etwas weniger außerweltlich wirkt als die jüngeren Arbeiten. Sorgfalt und Qualität der Produktion sind aber unverkennbar.

Dem nach beinahe einer Dekade Stille wieder aktiven Japaner Tomokazu Fujimoto alias Multi-Surface(面多)gelingt es auf ähnliche Weise wie Fallen, absolut klassisch-konsistenten, meditativen Synthesizer-Ambient zu produzieren und darin doch einen eigenwilligen Sound zu kultivieren, der erkennbar und erinnerbar ist. Entlang der Prinzipien japanischer Gartenarchitektur findet Aesthetics of Inequality Triangles (Not Not Fun, 26. September) die Schönheit im minimalen Bruch mit der Symmetrie und der glatten Oberfläche. Spezifisch in hochfrequenten Resonanzen, zerrenden Obertönen, die den ruhig fließenden Klangstrom der Kassette immer wieder umlenken, neue Blickachsen öffnen, neue Flussbetten kreieren.

Elegien, Gesänge von Trauer und Verlust, sie sind eine der Fluchtlinien von Ambient heraus aus der möblierten Beliebigkeit. Schmerz ist immer individuell und spezifisch. Hymnen über Sehnsucht und Zurechtkommen bündeln das persönliche des Leids in etwas Überpersönliches aus purem Klang. Auf dem Debüt Addio (Other People, 26. August) der belgischen Oboistin und Komponistin Dienne auf subtile Weise dekonstruiert, sodass sich die Stücke weder zu Neoklassik trivialisieren, noch zu Drone verfestigen. Samples, Soundprocessing und eingespielte akustische Instrumente verbleiben im dunklen Fluss der Melancholie, frei und emotional.

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