Wie arbeiten als Künstler*in angesichts von Zerstörung und Leid, Unterdrückung und Zensur? Die Frage stellt sich in allen Kriegen und Konflikten. Für das libanesische Label Thawra war es nach der Düngemittel-Explosion im August 2020 in Beirut, die ein ganzes Viertel zerstörte, eine ebenso existenzielle Frage des Weitermachens oder Aufgebens, des Bleibens oder Gehens wie in so vielen anderen sogenannten Krisengebieten. Mit Hilfe der US-amerikanischen Organisation Found Sound Nation sendet Thawra nun ein klares Statement für lokales Agieren bei globalem Denken in Form einer Reihe von EPs, die die Spannungen in der arabischen Welt in Klänge packen, die wunderbar zwischen globaler Elektronik, hiesigem Mainstream und hiesiger Tradition vermitteln. Bei der Beirut-New-York-Connection Baada Ab auf der Baada Ab EP (Thawra Records / Found Sound Nation / Tiny House Music) klingt das nach wehmütigem Folk-Pop, bei der Sängerin Mayssa Jallad (auch in Baada Ab) und Produzent Khaled Allaf auf Madina min Baeed (Thawra Records / Found Sound Nation) nach melancholischen Erinnerungen an Trip-Hop. Und nach einer Post-Club-Dekonstruktion traditioneller Klänge von Etyen & Salwa Jaradat auf Galah Waji (Thawra Records / Found Sound Nation). Allesamt so schwer interessant wie leicht verständlich.

Es war in den frühen Nullerjahren, als so manche ehemaligen Indierocker ihre Liebe zu Ambient und Drone entdeckten. Barn Owl aus San Francisco waren dabei mit die stetigsten Weiterentwickler und Fortführer von Wüsten-Rock-Psychedelik mit anderen, vor allem viel leiseren Mitteln. Die beiden verbleibenden Mitglieder von Barn Owl haben seit dem letzten Album von 2013 diesen Weg ebenso konsequent solo beschritten, Evan Caminiti eher in Gitarrendrones und avancierter Elektroakustik. Jon Porras hingegen hat auf Arroyo (Thrill Jockey, 20. Mai) das Klavier für sich entdeckt. Er nutzt es allerdings konsequent gegen jede Anmutung von Neoklassik oder klassischen Piano-Ambient à la Harold Budd. Sanfteste Anschläge, überaus vorsichtig und sparsam gesetzt, verwehen in einem wüstenhaft weiten und klaren Ambientraum, subtil in Americana, Folk und Country verwurzelte Songs verschwinden in Melancholie und Hall.

Ben Bondy kommt von Glitch und IDM, für ein Kassette des benachbarten Labels Quiet Time kann er allerdings seine Ausdrucksform anpassen. Sein persönliches Tape Ben Bondy (Quiet Time Tapes, 20. April) bedient Konventionen des verrauscht-verschlissenen Lo-Fi-Tape-Ambient perfekt und schafft es doch, via ungewöhnlicher Dynamik und unerwarteten Spitzen im Sounddesign die Erwartungen an das Genre leicht zu irritieren und damit zu übertreffen. Mürbe wie fragile Soundsplitter mit einzelnen Spitzen, die aber nicht schmerzen, verhandeln private Themen, eine Arbeit close to home, in jeder Hinsicht.

Émily Tiersen, geborene Quinquis, fügt das Naturerleben und die Folklore, die alten und neuen Geschichten ihrer bretonischen Heimat an der französischen Atlantikküste mit den Traditionen anderer eher herber Landstriche wie den Färöer Inseln oder der walisischen Küste in gar nicht so herbe Pop-Electronica zusammen. Im instrumentalen Zentrum der Songs steht dabei jeweils das warme Zwitschern eines analogen Synthesizers, von meist kleiner, intimer Bandbesetzung begleitet. SEIM (Mute, 20. Mai) ist Tiersens Debüt unter dem eigenen Namen, eine wunderbare Demonstration, wie wohlkonstruierte (nicht dekonstruierte) elektronische Popmusik aus eher traditionellen Zutaten heute modern und zeitgemäß klingen kann. Ihr ausgefeilt-elegantes Songwriting hilft dabei natürlich ebenso.

Sonnendurchwirkte Electronica, balearische Slow-House-Mirrorball-Psychedelik in der Yacht-Disco, sanfter Hedonismus, ein grundloses Lächeln, die Freundlichkeit von Fremden, das kann es in diesen inwendig noch so dunklen Tagen nicht genug geben. Kenny „Torello” Torella aus Washington D.C. hat das mehr als verinnerlicht und in das mächtig-freundliche Mittwippalbum Out Of Office (House of Silk, 3. Juni) transformiert, das genau da weitermacht, wo zum Beispiel in letzter Zeit Octo Octa, Logic1000, Anz oder AceMo schon mal reingeschnuppert haben. Wo Ballroom und Chicago House keinen Gegenentwurf zum poshen R’n’B-Chillout des urbanen Beach Clubs darstellen müssen. Unter dem Pflaster, der Strand.

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