Foto: Frank P. Eckert
Das Debütalbum von Teneil Throssell, oder besser gesagt HAAi, stößt etwas an, mit dem eventuell schon lange zu rechnen war, das aber immer mit den Fragezeichen kam: Wer will das? Wer braucht das? Das Revival von Big Beat, mindestens von Big-Room-Rave, Neunziger-Großraum-Geballer und schwer bouncenden Bollerbeats, gerade oder nicht gerade – nicht ignorierbar und nicht egal. Die mehr als üppigen 13 Tracks von Baby We’re Ascending (Mute, 27. Mai) biegen die maximalistischen Sounds dann allerdings in ganz andere Richtungen als erwartet. Die Anmutungen von gnadenfrei kathartischem Stadiontechno werden von annähernd melancholischem, urbanem Dance-Pop und experimentellen Post-Gabber- und Spät-IDM-Sounds gebrochen. Was zusammen ein Album hart am Puls der Zeit ergibt. Vielleicht der Weg, den die Dust Brothers, betagtere Leser*innen werden sich erinnern, nie eingeschlagen haben, um stattdessen zu den Chemical Brothers zu werden. „Louder Always Better” heißt der Track mit Hot Chips Alexis Taylor, definitiv keiner der Lauten, an den Vocals.
Sanil Sudan aus Delhi scheint als Kind ebenfalls in einen Topf aus Big Beats und milde nostalgischen Rave- und Jungle-Breaks gefallen zu sein. Als FILM cruist sein gleichnamiges Debüt FILM (Qilla Records, 28. Mai) gut gelaunt, um nicht zu sagen: mit gude Laune, durch die Neunziger; die nicht unbedingt alle in den real existierenden Neunzigern gewesen sein müssen, denn wer sich an die erinnert, war nicht dabei – ihr kennt den Spruch. Eine beschwingte Neuerfindung von etwas, das es vielleicht so nie gab, also.
Beim Großonkel der dicken Beats und beschwingten Sample-Hooks Moby scheint Müdigkeit ebenso unwahrscheinlich. Seit jeher aktiv in Remixen, ist ein Sampler wie Reprise Remixes (Deutsche Grammophon, 20. Mai), also die Sammlung eigener und fremder Bearbeitungen seiner Neubearbeitungen von eigenem und fremdem Material und allen alten Hits vom vergangenen Jahr, natürlich keine Überraschung, sondern eher eine logische Folge, vor allem ökonomisch. Da macht aber doch unerwartet großen Spaß, weil die Verbindungen bisweilen so absurd geraten und die Bearbeitenden bisweilen so over the top agieren, dass das Endergebnis schwer widerstehlich wird. Etwa der unverwüstliche David-Bowie-Gassenhauer „Heroes” mit Moby-Stampf in der Patrick-Cowley-Hi-NRG-Disco mit nichtbinären Vocals von planningtorock: Das ist in jeder Hinsicht viel zu viel, in dem Fall also genau richtig.
Ebenfalls dem derben Böllern nicht abgeneigt agiert das schottisch-englische Produzent*innen-Duo Klahrk & KAVARI auf seinem Debütalbum Wax (Genot Centre, 15.Mai). Als wären sie mit einer Diät aus abstraktmöglichsten Beats der Neunziger aufgewachsen, so ab Autechre und aufsteigend, und hätten diese dann in ein brillant schillerndes Post-Techno-Gewand gekleidet, das sich an maximal hedonistische Champagnernächte mit VIP-Table noch von ferne erinnert. Hybride Erinnerungskultur mit Lust auf ein Morgen. Wenn hier aus Drum’n’Bass oder IDM altbekannte Klischee-Breaks auftauchen, dann garantiert in maximaler Verfremdung in einem völlig neuartigen, experimentellen Kontext. Ganz weit vorne ist das.
Dass sich klassische Modularsynthesizer noch einmal so akut zukunftsweisend anhören dürfen und können, ist ebenfalls ganz schön spektakulär. Wundert aber keineswegs, denn der panafrikanische Experimentalismus mit Hirn-Durchpust- und Körper-Durchrüttel-Garantie, der uns in den vergangenen Jahren immer wieder aus dem Umfeld des Nyege-Nyege-Festivals und Labels aus Uganda erreichte, hat sich in den musikalischen Artefakten des Brian Bamanya alias Afrorack schon im Namen niedergeschlagen. Sein Debüt The Afrorack (Hakuna Kulala, 27.Mai) etabliert eine einerseits vollständig klassische Herangehensweise an die Bedienung der verkabelten Analogmaschinen: Hüllkurven, Dub-Effekte, die sich respektvoll vor der Arbeit der altvorderen Kraut- und Dubrocker verneigen, diese aber auf derart eigenwillige Weise verbiegen und verkomplizieren, dass es all das Altbekannte und unmittelbar Einleuchtende, das analoge Synthesizerklänge oft so heimisch und wollpullovergemütlich wirken lässt, zum Abheben bringt, zum Wegdriften, zur Stimulation unüblicher Hirnregionen. In Afrofuturismus und Modulartradition verwurzelt entsteht hier etwas Neues. Wie glücklich wir uns schätzen, dabei zuhören zu dürfen.
Der Brite Sebastian Reynolds wurde mit einem Sound groß, der zwischen Piano-Neoklassik und Electronica vermittelt, zwischen kleinen Beats und große Gefühlen, hat aber noch andere Interessen, etwa den Laufsport, den er als ambitionierter Amateur noch immer betreibt, zudem Dub, Techno und Pop. Auf der Athletics EP (Faith & Reason, 20. Mai) kommen diese Seiten energetischer als bei Reynolds üblich zusammen, unter vollständiger Abwesenheit von Klavier und Kitsch.