Revier Südost (Foto: Leon Schuck)

Nachdem es bereits Pilotprojekte, etwa in Barcelona oder Liverpool, gab, bei denen wissenschaftlich begleitete Tanzveranstaltungen mit tausenden Menschen auf ein mögliches Infektionsrisiko hin überprüft wurden, konnte sich nun auch Berlin beweisen. Mit einer stark reduzierten Personenzahl durften 300 glückliche Gewinner*innen einen Tag auf Abstand – auf dem Dancefloor aber nicht auf die Maske – verzichten und endlich wieder tanzen. Unser Autor Leon Schuck war dabei.


Geschäftsführer David Ciura war auf der Pressekonferenz sichtlich aufgeregt. Monatelange akribische Planungen waren dem Open-Air-Rave im Revier Südost vorausgegangen. In enger Zusammenarbeit mit der Clubcommission Berlin und der Universitätsmedizin Greifswald entstand in den letzten Monaten ein vom Gesundheitsamt genehmigtes Hygienekonzept, das es den Gästen möglich machen sollte, mit Maske, jedoch ohne Abstand gemeinsam zu tanzen.

Das Verhalten der Gäste vor Ort sollte von eingesetzten Mitarbeiter*innen überwacht werden, die bei möglichen Verstößen gegen die Richtlinien einschreiten. Klar, dass dieses Pilotprojekt ein Traum für viele ausgehungerte Raver*innen war und trotz der gegeben Richtlinien ein Stück Freiheit bedeutete. So meldeten sich für die 300 zu vergebenden kostenlosen Tickets ungefähr 11.000 Personen an. Das war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass zwei Techno-Koryphäen das Test-Event beschallen durften, Inhalt der Nacht und die Berliner Techno-Ikone Ellen Allien, die übrigens beide auf eine Gage verzichteten.

Die letzten Partys mit einem kuratierten DJ-Programm, ordentlicher Soundanlage und jeder Menge Menschen auf engem Raum fanden in Berlin im Frühjahr 2020 statt. Dementsprechend waren die Aufregung und der Hunger grenzenlos. Die 300 Auserwählten konnten es kaum erwarten, einerseits ein Teil dieser Studie zu sein, und es damit hoffentlich in Zukunft möglich zu machen, solche Veranstaltungen mit dem richtigen Hygienekonzept durchzuführen. Andererseits freute sich die Meute natürlich auf Techno, der mit 140BPM durch die Soundanlage in die Magengrube gedrückt wird.

Am Revier Südost angekommen, erwartet die 300 glücklichen Gewinner*innen erstmal der mittlerweile obligatorische Corona-Test im integrierten Testzentrum. Außer für diejenigen, die nachweislich bereits ein halbes Jahr genesen waren oder den vollen Impfschutz hatten.

Nachdem die Handy-Kameras abgeklebt werden, weist ein Mitarbeiter die Gäste an, den Hinterhof entlang zu den Kolleg*innen zu gehen und sich dort auf die mit genug Abstand aufgestellten Liegen zu platzieren, um auf das hoffentlich negative Testergebnis zu warten. In der Zwischenzeit erhält man eine Einverständniserklärung, in der man sich bereiterklärt, einen Tracker um den Hals zu tragen, der anonym den Abstand zu den anderen Besucher*innen misst, um das generelle Verhalten in Erfahrung zu bringen und mögliche Risiko-Zonen und Engpässe bei zukünftigen Veranstaltungen vermeiden zu können. Ich zücke den desinfizierten Stift und setze meine Unterschrift.

Während ich auf das Ergebnis warte und die anderen Test-Raver*innen mustere, stehen in regelmäßigen Abständen Menschen auf, die bereits ihr negatives Testergebnis erhalten und sich in Richtung der bereits zu vernehmenden Klänge machen. Die Vorfreude ist den meisten sichtlich ins Gesicht geschrieben. Nach einer gefühlten Ewigkeit bekomme auch ich die frohe Botschaft und begebe mich an den Eingang. Nochmals das negative Ergebnis vorzeigen, den Namen auf dem Ticket mit dem auf meinem Ausweis vergleichen, Abtasten und Tasche kontrollieren, den Tracker sichtbar um den Hals hängen: „Viel Spaß!”

Beim Betreten des Geländes verhalte ich mich anfangs etwas unsicher. Solche Szenen ist man nicht mehr gewohnt. Durch die Präsenz in den Nachrichten wurde man in den letzten eineinhalb Jahren sensibilisiert, solche Ansammlungen zu vermeiden. Schnell streiche ich das aus meinem Kopf, es ist ja schließlich erwünscht, sich normal zu verhalten und zu tanzen. Außerdem sind alle Teilnehmer*innen ein Teil der drei Gs: Getestete, Geimpfte oder Genesene.

Ich hole mir also ein Bier, eine Schlange bei der Bar gibt es dank der geringen Teilnehmer*innenzahl nicht, und begebe mich in einen der vielen Sitzbereiche, in denen man die Maske absetzen und auch mit anderen Menschen entspannen kann. Ich beobachte die Tanzenden erstmal von außen und wippe glücklich zu den Klängen von Inhalt der Nacht. Noch ist die Stimmung gediegen, die Tanzfläche weist Lücken auf, was aber daran liegt, dass diese für 900 Personen ausgelegt ist. Dadurch ist das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduziert. Lange kann ich mich nicht auf der Sitzfläche halten. Ich hole mir ein weiteres Getränk und gliedere mich in die Menge ein. Die Euphorie und Dankbarkeit ist gleichermaßen zu spüren.

Dadurch, dass alle Tracker am Hals tragen, fallen die mit einem Ausweis behangenen Aufpasser*innen kaum auf, was sehr angenehm ist. Nur das Klemmbrett verrät sie. Ich lasse mich treiben, die Frequenz auf der Tanzfläche ist angenehm, die Stimmung passt. Ich nehme einen kurzen Schluck aus meiner Flasche, natürlich habe ich dabei meine Maske kurz heruntergezogen. Währenddessen kreuzt sich ein Blick mit dem einer Mitarbeiterin, die, als sie meine Handlung bemerkt, sofort auf mich zusteuert. Sofort ist mir klar, dass mir ein Fauxpas unterlaufen ist. Freundlich weist sie mich darauf hin, dass man seine Maske nur in den Sitzbereichen abnehmen darf. Ich entschuldige mich sofort und gebe klein bei, möchte das Ergebnis des Projektes natürlich nicht gefährden.

Das ist natürlich etwas ungewohnt aus prä-pandemischen Erfahrungen in Clubs oder auf Open-Airs, aber eben notwendig. Ansonsten fällt mir positiv auf, dass sich jede*r an die Richtlinien hält und man trotz Masken das Lächeln in den Augen aller Anwesenden sieht. Außerdem ist es erlaubt, sich auch mit Fremden in einen der Sitzbereiche zu setzen. Anfangs ist es etwas ungewohnt, mit Unbekannten ohne Maske wieder ins Gespräch zu kommen. Doch einfach mal wieder die Lebensgeschichte von interessanten Menschen zu hören, gemeinsam lachen und selbstverständlich tanzen – das hat gefehlt.

Es fühlt sich an, als wäre man in einer von der Omnipräsenz des Virus geschützten Oase. Das Einzige, was natürlich bleibt, ist die Maske, die man allerdings auch zu vergessen scheint, sobald man sich der Musik hingibt. Einzig an der verminderten Kondition und den scheinbar öfter eingeführten Sitzpausen merkt man ihre Existenz.

Mit dem näherkommenden Ende der Veranstaltung verzichte ich allerdings auf Pausen, um die Musik förmlich aufzusaugen, die Ellen Allien präsentiert. Am Ende wird sie mit ausgelassenem Applaus verabschiedet, der mit Sicherheit auch der Veranstaltung und der Menge selbst galt. Immerhin bestand für das Projekt zu jeder Zeit die Möglichkeit des Abbruchs, gäbe es vermehrten Verstöße gegen die Richtlinien. Diese wurden aber weitestgehend eingehalten.

Was bleibt von diesem Abend? Der Rahmen hält, was er verspricht. Der Ansatz ist es eine optimale Übergangslösung, um einerseits kein Risiko für das Infektionsgeschehen darzustellen und andererseits die tanzhungrigen Berliner*innen zu besänftigen. Wer denkt, er könne auf diesen Veranstaltungen zurück ins Jahr 2019, ist aber fehl am Platz.

Vorheriger ArtikelA Guy Called Gerald: Fundraiser für Klage gegen ehemaliges Label
Nächster ArtikelJuni 2021: Mixe des Monats