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Motherboard: Juni 2021

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Der japanische Pianist Takuma Watanabe bestreitet seinen Lebensunterhalt ebenfalls vorwiegend mit funktionalen Kompositionen für Film und Theater. Seine nicht zweckgebundenen Kompositionen orientieren sich eher in den Koordinaten von experimentellem Jazz und freier Improvisation, tragen aber immer einen Rest von möglicher Funktionalität als Film, Möbel oder Lebensbegleitung in sich, der sie unmittelbar zugänglich und verständlich macht. Sein erstes außerhalb Japan erschienenes Album Last Afternoon (Constructive/SN Variations) nimmt die Sounds eines von Watanabe instruierten Streichquartetts und dekonstruiert diese digital. Trotz aller Splitterungen und Soundmodernismen bleibt der Gesamtsound freundlich, einfach und schön.

Und nach sovielen Nicht-Soundtracks von Soundtrack-Komponist*innen ist Wonderful Losers (Midira) vom in Berlin lebenden Alberto Lucendo endlich tatsächlich ein Soundtrack, nämlich zu der gleichnamigen Dokumentation des litauischen Regisseurs Arûnas Matelis. Es geht um Radrennprofis, nicht um die Sieger, sondern um die Teamplayer und Zuarbeiter, die von elegisch-freundlichem, von Streichern dominiertem Drone-Ambient adäquat und würdig musikalisch begleitet werden.

Ein weiterer „richtiger” Soundtrack ist The Proposal (Constellation, 11. Juni) des New Yorker Komponisten T. Griffin. Der ist ebenfalls ein Profi im Genre, immer solide passend, unterstüzend und ausdrucksstark. Wie in diesem Begleitalbum zu der gleichnamigen Künstlerdokumentation von Jill Magid. Das langsame, elegische Tempo des Flms korrespondiert mit den neoklassisch bis modernistisch klingenden organischen Loops des Soundtracks. Dies ist einer der Glücksfälle, in denen sowohl Film wie Musik mehr als nur die eigene Existenzberechtigung finden, sondern irgendwie zusammengehören wollen, nie müssen.

Als ganz feine Überraschung baut das Bandprojekt Hotel Kali filigrane Bambusbrücken zwischen Berlin und Kolkata. Die Kollaboration von Golden Diskó Ship (Teresa Stroetges), dem E-Cello-Virtuosen Debjit Mahalanobis, Bassist Varun Desai und der Produzentin Plastic Parvati (Suyasha Sengupta) bespielt ihr lässiges Debüt Hotel Kali (Antime, 4. Juni) mit soft-psychedelischer Electronica mit fluffigem Sechziger-Geschmack und Spurenelementen von Retro-Funk.

Eine verwandte Entspanntheit, einen chilligen Sound, organisch-folkig-erdig, aber ebenso wolkig leicht und fließend zwischen jazzigem Pop und elektronischem Funk hat der Berliner Multimusiker Adem Mahmutoglu alias Jeff Özdemir in seinen unzähligen Kollaborationsprojekten immer wieder kultivieren können. Sein jüngster Streich Jeff Özdemir & Friends Volume 3 (Karaoke Kalk, 16. Juni) führt das mit durchgehend spannenden Gästen wie Elke „Paula” Brauweiler, Knarf Rellöm oder F.S. Blumm in die ganz lange Form. Eine dieser Platten, die so unaufdringlich daherkommt, dass sie fast unbemerkt im Hintergrund vorbeirauschen könnte – bis man eben doch irgendwann bemerkt, wie toll, musikalisch inspiriert und gut gemacht das ist, was einem da grade so freundlich den Tag versüßt.

In seiner tiefenentspannten, milde-psychedelischen Art klingt mir Jeff Özdemir immer ein wenig nach den Japan-Indie-Explorationen der Notwist-Tenniscoats-Connection. Diese hat jüngst schon wieder ein ganz wunderbares Übersichtsalbum zutage befördert, nämlich die tolle Doppel-LP 間違いの実/The Fruit Of Errata (Morr, 4. Juni) von Yumbo. Die Combo aus Sendai um den Bandleader Koji Shibuya bringt den inspiriert-manischen Lo-Fi-Amateurismus von Tori Kudos Maher Shalal Hash Baz mit dem Blech einer vom Blatt spielenden Marching Band und dem minimalistischen J-Folk der Tenniscoats zusammen. Flauschiger Jazz-Folk-Pop, in dem ein Song auch mal in einem psychedelischen Freakout enden darf. Oder irgendwo im Backkatalog der Beatles, hätten die Humor gehabt. Das Album ist tatsächlich so etwas wie ein Best-Of, das versucht, der unglaublichen Produktivität der Band gerecht zu werden, was nur bedingt gelingen kann, aber als Teaser und natürlich allemal total sinnig ist.

Die im Umarmen zupackendste Electronica der Saison kommt vom hawaiianische Produzenten John Keaka Friend alias Trip Show. In über 20 clubaktiven Jahren als Labelbetreiber, Produzent und DJ zwischen Honolulu und San Francisco hat Friend einen Stil entwickelt, der die unmittelbare Techno- und House-Funktionalitäts-Perspektive überschreiten kann, aber doch immer wieder zu ihr zurückkehrt, auf freiwilliger Basis, unter seinen eigenen Bedingungen. The Far East Is The Near West And The Wild West Is The Near East (Broken Clover, 17. Juni) fängt diese Haltung mit einer guten Menge Sonnenwärme ein und wirkt vermutlich genau deswegen so frisch.

Ein Extraportion Sonne, Schwimmbad, House und Dub liefert wie immer die exzentrisch großartige DJ Marcelle/Another Nice Mess, deren Freundlichkeit, Produktivität und Plattendigger-Fähigkeiten keine Grenzen zu kennen scheinen. Explain the Food, Bitte (Play Loud! Productions, 11. Juni) reiht sich nahtlos in ihren Lebens- und DJ-Mix aus global gefundenen Beat-Obskuritäten und straightem Party-House. Es mag eine Binse sein, aber manchmal hört man der Musik eben doch direkt an, wenn ein guter Mensch dahinter steckt.

In diesen Mix passt ebenfalls der nette Ambient-Techno von Panta Rex aus Köln, der sich im warmen Analog-Synthiebad suhlt, in einer melodischen Fülle aufgeht, aus der man nicht mehr auftauchen möchte. Dass diese Produktion als Kombination aus altbewährter Hip-Technologie (Modular-Racks) und modernster Hip-Technologie (KI-Algorithmen) gebaut wurde, fällt da kaum auf. Wenn der Emo-Content stimmt, dann stimmt halt auch alles andere.

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